SURVIVAL INSTINCT. Kristal Stittle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kristal Stittle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350250
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      »Warum die Eile?« Jessica schaffte es, trotz ihrer unpraktischen High Heels Schritt zu halten. »Mir wird ganz schwindlig vom ständigen Umdrehen.«

      »Ich habe ein richtig schlechtes Gefühl, okay? Ich möchte gerne nach Hause zu Andrew.«

      Jessica konnte sich nicht daran erinnern, dass sich Jack einmal vor irgendetwas gefürchtet hatte. Laut der Geschichte, die man ihr erzählt hatte, seien Andrew und er einander begegnet, als Jack mit gebrochenem Bein in die Notaufnahme gebracht worden war. Anscheinend hatte es bei seinem Fallschirmsprung wechselhaften Wind gegeben, wobei eine Bö seinen Schirm erfasst und ihn direkt in eine Gruppe Kiefern geweht hatte. Er war ein Glückspilz, nur mit einem einzigen gebrochenen Bein davongekommen zu sein.

      Endlich erreichten sie das Erdgeschoss und verließen das Treppenhaus. Im Foyer hielten sich mehrere andere Hausangestellte auf, die durch die Glasfront nach draußen schauten. Jessica fiel eine kleine Gruppe von Menschen auf, die gerade aus dem Fahrstuhl trat, und warf Jack einen verdrießlichen Blick zu, doch der bekam davon nichts mit.

      »Was ist los?«, fragte er die Schaulustigen an den Scheiben.

      »Chaos«, antwortete ein Mann, ohne sich umzudrehen.

      Jack und Jessica gingen nach vorne und gesellten sich zu ihnen. Draußen auf der Straße wimmelte es vor panischen Menschen und Autos. Jessica sah nicht bis zum Park, doch dass die Scharen von dort kamen, war augenfällig. Sie beobachteten, wie ein Mann das Schaufenster eines Warenhauses gegenüber einschlug, wozu er einen Ersatzreifen benutzte. Kurz nachdem er drinnen verschwunden war, folgten ihm drei andere. Jessica bemerkte, dass einer von ihnen barfuß lief, anscheinend ohne sich um die Scherben am Boden zu scheren.

      »Was ist los?«, wiederholte Jack, weil ihm die erste Antwort nicht genügt hatte.

      »Wir sind uns nicht ganz sicher«, entgegnete eine Frau in den Kleidern der Gebäudereinigung. »Sieht nach einem großangelegten Bandenkrieg oder so aus.«

      »Was meinen Sie damit?«, fragte Jessica.

      »Na ja, eine Partei greift eine andere an«, erklärte sie, schien sich aber ihrer eigenen Worte nicht sicher zu sein.

      »Haben Sie irgendwo Nachrichten gehört?« Jack stellte sich vor die Scheibe und schaute in beide Richtungen die Straße entlang.

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein, mein Radio hat vor einer Weile den Geist aufgegeben – und schauen Sie sich das an.« Die Frau nahm ihr Handy heraus und zeigte es Jessica. »Ich habe keine Balken hier, was zuvor immer der Fall war. Jetzt passen Sie auf.« Sie hielt das Telefon dichter ans Fenster. Als es die Scheibe berührte, füllte sich einer der Empfangsbalken.

      »Sieht so aus, als sei das ganze Gebäude von Funksignalen isoliert, ob Handy, Radio oder Internet.« Jessica dachte an die Geräte oben. »Wie kann es dazu gekommen sein?«

      »Weiß ich nicht.« Die Frau zog die Schultern hoch. »Aber die Sicherheitssysteme überall im Haus wurden aktiviert und haben die Türen verriegelt. Vielleicht hat es damit zu tun.«

      »Also, ich verlasse den Bunker, bevor auch die Ausgänge im Erdgeschoss dicht sind.« Jack ging zur Haupttür.

      »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?« Jessica ging ihm nach. Jack war der einzige, den sie hier kannte, und sie wollte nicht mit einem Haufen Fremder festsitzen.

      »Egal, ich möchte bei Andrew sein. Er ist krank. Falls die Situation wirklich außer Kontrolle geraten ist – wonach es hier aussieht – mag jemand daheim einbrechen, und dann wird er sich nicht verteidigen können.« Als Jack durch die Drehtür ging, sah Jessica den entschlossenen Ausdruck in seinem Gesicht, als es sich im Glas spiegelte.

      Sie folgte ihm hinaus auf die Straße. Der Lärm von Sirenen und fernen Schreien griff ihre Ohren an und ließ sie sofort nervös werden. Sie hatte bislang nicht gewusst, wie gut die Gebäudewand gegen Schall isoliert war. Irgendwo weit weg wurden Schüsse abgegeben, dann weitere, die deutlich näher zu sein schienen. Jessica erging sich in ein paar raschen Atemübungen und verdrängte einen Gedanken, der sich ihr auftat. Lieber konzentrierte sie sich auf Jack.

      Sie konnte nicht nachvollziehen, warum er sich solche Sorgen machte. Er wohnte in einem Apartment nur wenige Blocks entfernt. »Ich komme mit dir.«

      »Das wird gefährlich.« Jack schien seinen eigenen Widerspruch gar nicht richtig zur Kenntnis zu nehmen; er sagte die Worte automatisch.

      »Aber für dich nicht weniger als für mich.« Jessica musste mit ihren High Heels trippeln, um mitzuhalten.

      Auf einmal blieb Jack stehen und drehte sich um. »Ich lasse dich ungern zurück, aber diese Schuhe halten uns beide auf.«

      »Moment.« Jessica bückte sich und zog sie aus.

      »Barfuß? Du könntest dir überall Glassplitter einfangen.«

      Jessica sah sich um. »Dort.« Sie zeigte auf ein Ladenschild auf der anderen Straßenseite. »Ein Schuhgeschäft; ich besorge mir schnell ein anderes Paar.«

      Jack stöhnte und ließ beunruhigt den Blick schweifen. Letztlich gab er aber nach: »Also gut, aber du musst dich wirklich beeilen.«

      Jessica zog die Hochhackigen wieder an, dann liefen sie über die verstopfte Straße, wobei sie sich an den Händen hielten, um nicht getrennt zu werden. Als sie das Geschäft erreichten, stellten sie fest, dass das breite Schaufenster ebenfalls eingeschlagen worden war und kein Licht brannte.

      »Geschlossen.« Jack seufzte.

      »Na und?« Jessica langte durch die zerbrochene Scheibe und zog ein paar Freizeitschuhe heraus. Einen glich sie mit ihrem Fuß ab.

      »Das ist Diebstahl!« empörte sich Jack.

      Das Paar sah nicht groß genug aus, also nahm Jessica ein anderes und versuchte es damit. Es hatte die richtige Größe, zwar nicht ihre erste Wahl, was Farbe und Stil betraf, aber zweckdienlich. Sie fing an, die Schuhe zu wechseln.

      »Jessica!« Jack verzog das Gesicht.

      »Was denn?« Sie kramte in ihrer Tasche und zog eine Visitenkarte heraus. »Ich lasse die hier, damit die wissen, wer ich bin, und komme später zum Zahlen zurück. Das hier ist ein Notfall.« Sie hinterlegte das Kärtchen an der Stelle, wo die Schuhe gestanden hatten.

      Jack seufzte abermals, diskutierte aber nicht weiter. In jeder anderen Situation hätte er Jessica dazu gezwungen, die Schuhe zurückzustellen, doch seine Besorgnis hatte ein zu hohes Maß erreicht. Während sie weiter der Straße folgten, hielt Jessica ihre High Heels in ihrer Linken und Jacks Hand in der Rechten.

      Je weiter sie gingen, desto weniger andere Menschen trieben sich herum. Überall ringsum schwärmten sie in unterschiedliche Richtungen aus oder ging in Geschäften oder Gebäuden in Deckung. Als sie an einem großen Bürokomplex vorbeikamen, flehte ein Mann einen Sicherheitsbeamten an, ihn hineinzulassen. Er argumentierte, draußen sei es nicht sicher, gab aber keinen Grund dafür an. Niemand schien besser als Jack oder Jessica darüber Bescheid zu wissen, was vor sich ging. Jeder sah verloren und verwirrt aus, war entweder allein oder folgte kleinen Gruppen. Kaum jemand sprach, außer im Streit um irgendetwas, und einige weinten sogar. Jessica konnte das alles nicht fassen. Einzig die unterschiedlichen Schüsse hielten sie auf dem Boden der Tatsachen. Sie kannte diese Geräusche allzu gut; ihr graute davor.

      Ein Mann rempelte sie heftig von hinten an, als er vorbeilief.

      »Hey!«, rief ihm Jack hinterher, während er Jessica auffing, sonst wäre sie gestürzt. Der Flüchtige reagierte nicht, sondern rannte weiter, so schnell er konnte.

      Jessica drehte sich um. Ein weiterer Mann kam zu ihnen gelaufen … nein, nicht zu ihnen, sondern auf sie zu.

      ***

      »Jack.« Jessicas Freund drehte sich um. Die beiden sahen, wie der zweite Mann auf sie zustürzte, und wussten nicht genau, was sie tun sollten. Er sah aus wie zur Hälfte skalpiert, ein beachtlicher Fleischlappen hing in seinem Gesicht. Darüber erkannte Jessica den angerissenen Schädelknochen.

      Ein