Der andere nickte und entgegnete mit krächzender Stimme:
»Yeah, da können Sie recht haben.«
Holliday lehnte sich gegen die Wand.
»Der da ist nur ein kleiner Fisch. Ein Rinderdieb. Ich weiß aber genau, daß es hier ganz andere Halunken gibt…«
Der Mann sah ihn plinkernd an.
»Yeah«, meinte der Georgier, »Hardac ist ein harmloser Bursche.« Und plötzlich wandte er dem anderen das Gesicht zu. »Sie kennen ihn doch…?«
»Hardac…? Nein, ich…«
»Thanks, Mister. Sie kennen ihn also. Ich hatte seinen Namen nämlich absichtlich falsch ausgesprochen. Sie aber haben ihn eben richtig genannt…«
Da federte der Mann zurück und warf sich in das Dunkel, das zwischen dem Sheriffs Office und dem nächsten Haus herrschte.
*
Jack Hardac saß im Jail. Immer noch trennten ihn über zweihundet Meilen vom Straflager. Zweihundert Meilen – und auf jedem Yard würde er weiterhin auf Flucht sinnen.
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten gegenüber im Grand-Hotel Quartier genommen.
Jerry Owen war ein Mann, auf den man sich verlassen konnte. Der Missourier hatte ein Gefühl dafür. Dieser grauhaarige Sheriff würde den Gefangenen bewachen, als ob er allein für ihn verantwortlich wäre.
Es war gegen ein Uhr in der Nacht. Der Sheriff hockte an seinem Schreibtisch und blickte auf seine rissigen, mit braunen Flecken besäten Hände. Vor ihm lag ein aufgeschlagenes Buch. Er hatte hin und wieder darin gelesen. Aber das Lesen beim zuckenden Licht der Kerosinlampe schmerzte seine Augen.
Hinzu kam, daß er das Buch schon dreimal gelesen hatte. Es war der Bericht von der Erstürmung des Fort Orea von Frank Hellmers.
Jerry Owen selbst hatte den Kampf auf Seiten der Südarmee erlebt.
Es war jener Tag gewesen, an dem eine dicht hinter ihm krepierende Granate sein rechtes Trommelfell zerrissen hatte. Es war der düsterste Tag im Leben des Texaners Jeremias Owen gewesen. Seit jenem Tag war sein Hörvermögen um mehr als die Hälfte zusammengeschrumpft, denn das linke, von nun an stark überanstrengte Ohr hatte plötzlich aus irgendwelchen Gründen auch einen Teil seiner Hörkraft verloren.
Diesem Umstand war es zuzuschreiben, daß der Sheriff die Angewohnheit hatte, oft mitten in der Bewegung innezuhalten, um zu lauschen.
Auch jetzt richtete er sich steil auf und lauschte mit angehaltenem Atem in die Stille des Raumes.
Es rührte sich nichts.
Owens verkrampftes Gesicht entspannte sich, um aber augenblicklich wieder einen lauschenden Ausdruck anzunehmen.
Ein winziges Geräusch war an sein Ohr gedrungen.
Der Sheriff erhob sich, nahm seinen Revolver aus dem Halfter und ließ die Trommel leise rotieren.
Das Magazin war gefüllt.
Fast lautlos näherte sich Owen der Tür, um sie plötzlich mit einem Ruck aufzureißen.
Er sah den Hieb kaum noch, der krachend auf seinen Schädel nieder-sauste.
Mit einem ächzenden Röcheln brach der schwere Mann in sich zusammen.
Wie ein Schatten huschte der andere, der ihn niedergeschlagen hatte, in den Raum und zerrte den betäubten Sheriff von der Tür.
Jack Hardac war bei dem dumpfen Aufprall von seiner Pritsche hochgefahen und starrte entgeistert zur Tür hinüber. Völlig verdutzt blickte er auf den ohnmächtigen Sheriff und dann auf den Mann, der ihn niedergeschlagen hatte.
Der kam ganz langsam auf die Zellentür zu. Ein schwarzes Tuch verdeckte die ganze untere Hälfte seines Gesichtes.
Hardac suchte die Augen des anderen zu durchforschen. Ein würgendes Gefühl saß plötzlich wie ein Kloß in seiner Kehle. Da öffnete der andere die Lippen.
»Freut mich, dich wiederzusehen, Jack.« Beim Klang dieser Stimme flog der Kopf des Sträflings hoch.
»Griffith! Fred Griffith!« brach es heiser aus der Kehle des Mörders.
Der Eindringling nahm mit einer raschen Bewegung die Maske vom Gesicht. Es war der Mann, der vorhin neben Doc Holliday in der Office-Tür angesprochen worden war.
Hardac schluckte.
Das ist sie, die Chance! Die große Chance, auf die er so lange gewartet hatte.
War sie es wirklich? Brachte ihm der einstige Genosse, mit dem er oben in Utah monatelang zusammen geritten war, die Freiheit?
Hardac erinnerte sich noch sehr genau an diesen Fred Griffith. Es war ein verschlagener untersetzter Bursche, der nie viel mehr als sein eigenes Wohl im Auge gehabt hatte.
Und wie war das damals am Indian Creek gewesen? War es nicht gerade dieser Frederic Griffith gewesen, der mit der kleinen Beute, die sie zu viert auf einer Ranch gemacht hatten, geflüchtet war?
Doch! Hardac würde es bis zu seiner letzten Stunde nicht vergessen, was er sich damals geschworen hatte: Wenn ich diesen Fred Griffith noch einmal irgendwo wiedersehe, werde ich ihn ohne Anruf niederschießen!
Und in seinem Haß auf seine einstigen Kameraden war Hardac hingegangen und hatte nachts Zettel an die Türen der Sheriffs Bureaus geheftet, auf die er den Namen des Banditen Griffith und die von ihm verübten Verbrechen niedergeschrieben hatte. Und ausgerechnet dieser Frederic Griffith tauchte jetzt, vielleicht in allerletzter Minute, hier vor seiner Zellentür auf.
Hardacs Unterkiefer bebte. Er senkte den Kopf ein wenig und bohrte den Blick in die Augen des anderen.
»Laß mich raus, Fred.«
Griffith nickte. »Sicher, aber vorher hätte ich noch ganz gern was gewußt.«
»Laß mich raus. Wir können draußen alles besprechen.«
Griffith schüttelte den Kopf.
»Nein, Brother. Die Frage wirst du mir noch hier beantworten, schließlich kenne ich dich.«
Hardac war schweißnaß. Das Hemd klebte ihm am Körper.
»Mach die Zelle auf«, keuchte er. »Du weißt nicht, wer mich hergebracht hat.«
»Das interessiert mich auch nicht«, entgegnete der andere. »Mich interessiert etwas ganz anderes. Der Bankraub vor drei Jahren in Santa Fé, Hardac, der roch verdammt nach deiner Arbeit. Sheriff Brock kam zwar für die Sache nach Fort Worth, aber ich fresse meinen alten Hut, wenn er das Gold auf die Seite gebracht hat.«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Hardac. »Ich habe versucht, ihn danach zu fragen. Im vergangenen Monat, als ich zusammen mit ihm aus dem Fort ausbrach.«
»Ich habe davon gehört«, meinte Griffith lauernd. »Brock ist ja zurückgekehrt. Und ich fresse zu meinem Hut meine alten Stiefel, wenn er nicht nur deshalb weggewollt hatte, um einen Weg zu suchen, seine Unschuld zu beweisen.«
»Kann sein«, erwiderte Hardac ungeduldig. »Riegle endlich das Schloß auf. Wir können uns draußen bedeutend besser unterhalten.«
»Davon bin ich nicht überzeugt«, antwortete Griffith.
»Was willst du also?« fauchte Hardac.
»Wo hast du das Gold gelassen, als Brock hinter dir her war?«
»Eine seiner Kugeln hat den Riemen zerschnitten, der die beiden schweren Taschen hielt. Erst rutschte mir die eine, dann die andere vom Sattel. Der Sheriff war so nah, daß ich keine Chance mehr hatte, abzusteigen, und einen Revolverkampf mit ihm konnte ich auch nicht riskieren, schließlich wußte ich ja, wer da hinter mir her war, und wäre ein Narr gewesen, wenn ich mich ausgerechnet mit Sheriff Brock auf einen Revolverkampf eingelassen