Ein Fall für Gräfin Leonie Staffel 1. Bettina von Weerth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bettina von Weerth
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Gräfin Leonie Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740940898
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Förster« so gleichgültig gewesen, wie das Namensschild aussah?

      War sie bereits so verzweifelt gewesen, dass sie es überhaupt nicht wahrgenommen hatte?

      War sie gerade erst eingezogen?

      Nein!

      Dieses Gerattere in ihrem Kopf machte sie wahnsinnig.

      Es führte zu nichts.

      Der Hauptkommissar hatte das Namensschild ebenfalls bemerkt.

      Er schüttelte den Kopf.

      »Na, das ist ja komisch. Sie hat einige Jahre hier gewohnt.«

      Eine ihrer Fragen war also damit beantwortet.

      Er schloss ein wenig umständlich die Wohnungstür auf.

      Leonie hielt den Atem an.

      Dann folgte sie dem Kommissar in die fremde Wohnung hinein. Es war ein komisches Gefühl, einfach so in ein fremdes Leben hineinzuspazieren …

      *

      Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Das allerdings, was sie sah, war beinahe so etwas wie ein Kulturschock.

      Es sah aus, als sei die Wohnung nie bewohnt gewesen, als habe jemand nur etwas abgestellt oder habe irgendwann das zurückgelassen, was sich nicht lohnte, es mitzunehmen.

      Es gab kaum Möbel, alte, schon ein wenig verschlissene Gardinen, keine Teppiche, keine Bilder an den Wänden. Nirgendwo Fotos oder etwas hübscher Nippes, mit dem man seine vier Wände ein wenig wohnlicher, gemütlicher machte.

      So konnte doch kein Mensch wohnen!

      Sie war zwar noch niemals in einem Gefängnis gewesen, hatte noch niemals eine Zelle von innen gesehen.

      Aber sie war sich sicher, dass das alles wohnlicher war. Sie lief voller Nichtbegreifen durch die kleine Wohnung. Dann entdeckte sie die offene Badezimmertür, das offene Badezimmerfenster, kurz darauf das Katzenklo.

      Von einer Katze war nichts zu sehen, aber die Indizien deuteten darauf hin, dass es hier eine Katze gegeben hatte. Und da Katzen sehr treu und anhänglich waren, war es für ob Leonie geradezu tröstlich zu wissen, dass diese bedauernswerte Frau wenigstens nicht ganz allein gewesen war.

      Die Katze hatte sie allerdings nicht davon abhalten können, ihrem Leben auf eine so schreckliche Weise ein Ende zu bereiten.

      Leonie bekam eine Gänsehaut sah sich noch einmal voller Nichtbegreifen um.

      In dieser Tristesse musste man depressiv werden, dachte sie.

      Diese trostlose Armseligkeit … Carlotta Perucci … Förster …, dieses exclusive Schmuckstück, eine Einzelanfertigung … Nichts passte zusammen.

      Warum hatte sie den Schmuck nicht einfach verkauft? Sie hätte eine Menge Geld dafür bekommen und hätte sich das Leben erträglicher gestalten können.

      Hätte …, hätte …, hätte …

      Sie hatte nicht!

      Der Kommissar begann die Schrankschubladen aufzuziehen, die Schranktüren zu öffnen.

      Alles war weitgehend leer. Ihnen offenbarte sich ein Leben ohne Vergangenheit. Es war kaum zu ertragen. Leonie ging zum Tisch. Auf dem lag eine aufgeschlagene Zeitung. Leonie stutzte. Damit hätte sie nicht gerechnet. Es war eine italienische Zeitung neueren Datums. Die Frau musste sie einen Tag vor ihrem vermeintlichen Todestag gekauft haben.

      Sie setzte sich auf den einzigen, wackeligen Stuhl, begann den Text zu überfliegen.

      Alles, was sie las, war ohne Bedeutung. Ein Fleischskandal war in Neapel aufgedeckt worden … Anhaltende Querelen im Parlament könnten Neuwahlen auslösen … Ein korrupter Bauminister war zurückgetreten … In Italien nichts Neues. Solche Skandale gab es immer wieder.

      Ihr Blick wanderte auf die rechte Seite. Leonie hielt den Atem an. Sie las den Text einige Male, dann ächzte sie: »Unsere unbekannte Tote vom Fluss heißt nicht Förster …, es ist Carlotta Perucci.« Am liebsten hätte sie hinzugefügt: »Und das habe ich von Anfang an gewusst, gespürt.« Sie ließ es bleiben, weil sie ihn nicht gut genug kannte um zu wissen, wie er auf solche Äußerungen reagierte.

      Er schob eine Schrankschublade zu.

      »Ich weiß«, sagte er.

      Nun verstand Leonie überhaupt nichts mehr.

      Sie schaute ihn vorwurfsvoll an.

      Warum hatte er ihr das nicht längst erzählt?

      Er grinste.

      »Sie hätten es schon noch erfahren, liebe Gräfin. Ich dachte, wenn wir mit alldem hier fertig sind, an einem gemütlicheren Ort.«

      Wie war der gute Mann denn drauf?

      Solche phantastischen Neuigkeiten gab man direkt von sich. Das hob man sich nicht auf. Also, eines wusste sie. Sie wäre längst damit herausgeplatzt.

      An einem gemütlicherer Ort … Er meinte damit hoffentlich nicht sein tristes Arbeitszimmer im Polizeipräsidium.

      »Herr Schuster …«

      Er wusste, dass er sie nicht länger hinhalten konnte.

      »Wir haben von unseren italienischen Kollegen erschöpfende Informationen bekommen. Nach dem Massaker an ihrer Familie hat man Carlotta Perucci eine neue Identität gegeben …, das allerdings reichte nicht. Sie fühlte sich weiterhin verfolgt, lebte in ständiger Angst … Irgendwann wanderte sie, mit Zustimmung und mit Hilfe der italienischen Polizei nach Deutschland aus. Hier bekam sie eine neue Identität, einen deutschen Namen … Beate Förster.«

      Ein Puzzlestein fügte sich an den anderen.

      »Und hat man sie psychologisch betreut?«, wollte Leonie wissen.

      Jetzt war Paul Schuster irritiert.

      »Nach so langer Zeit? Nein, natürlich nicht. Es sind nicht genug Psychologen da, um die Traumatisierten aus akuten Fällen ausreichend zu betreuen …, der Fall liegt viele Jahre zurück.«

      »Und in den vielen Jahren war die arme Carlotta mit ihrem Schmerz allein, mit ihrer Verzweiflung, und das alles noch in einem fremden Land.«

      Er sah das anders. Das brachte vermutlich sein Beruf mit sich. Bei all den Leichen der verschiedensten Art, noch dazu in so vielen Berufsjahren, musste man wohl so reagieren. Da durfte man nicht alles an sich heranlassen.

      »Sie hätte sich an die Behörden wenden können. Das hat sie aus lauter Angst vermutlich nicht getan. Und sie hätte auch nicht so wohnen müssen. Nur, wer nicht fragt, dem kann nicht geholfen werden …, nach all diesen Jahren hätte sie nicht ins Wasser gehen müssen. Da muss der Schmerz schon etwas abgeebbt sein. Ich hätte es verstanden, wenn sie es unmittelbar nach dem schrecklichen Zwischenfall getan hätte.«

      Welche Ahnung hatte er denn?

      Und welche Theorien stellte er an!

      Sie hätte ihm gleich erzählen können, was sie gerade gelesen hatte. Nein, so einfach wollte sie es ihm nicht machen. Sie musste erst etwas loswerden, auch wenn es nur ihre subjektive Meinung war.

      »Herr Hauptkommissar Schuster«, sie sprach langsam und akzentuiert. »Unabhängig von all dem Schrecklichen, das die arme Carlotta erlebt hat, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sie zu stolz war, Almosen anzunehmen. Ich denke, sie wäre auch weiterhin recht und schlecht zurechtgekommen, wenn nicht dieser Artikel in der Zeitung gestanden hätte.«

      Leonie tippte mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand auf die Zeitung.

      Neugierig kam er näher. Blickte auf die Zeitung, zuckte die Achseln.

      »Ach so, italienisch, kann ich eh nicht lesen.«

      »In dem Artikel steht, dass es einem der seinerzeit durch Richter Perucci verurteilten Mafia-Bosse gelungen ist, aus dem Gefängnis auszubrechen …, weiterhin steht in dem Artikel, dass er sich vermutlich ins Ausland abgesetzt hat …, unter anderem