Minuten später habe ich mich allerdings dabei ertappt, dass ich völlig versunken war in diese Schraube, dass ich mich gefragt habe, wann sie wohl hineingedreht wurde, wie viele Menschen schon auf sie draufgetreten sind, wie lange sie wohl noch halten wird und wie der Mensch ausgesehen haben mag, der sie eingesetzt hat. Und prompt habe ich die Station, bei der ich hätte raus müssen, verpasst.
Die Salzburger Journalistin Caroline Kleibel hat mich vor einigen Jahren zu einem Gespräch gebeten, an das ich mich sehr gerne erinnere und dem schließlich sogar ein kleines Büchlein entsprang. Was damals an Gedanken und Überlegungen zu ausgewählten Stichworten aus mir herausgesprudelt ist, möchte ich an dieser Stelle noch einmal sinngemäß wiedergeben, weil es viel über mich und meine Einstellungen sagt. Und weil es in weiterer Folge vielleicht so manches verständlicher oder nachvollziehbarer macht, was ich in diesem Buch von mir und von meinem Leben erzählen werde.
Ehrlichkeit. Ich glaube, wenn wir auf unser Innerstes hören und ganz ehrlich zu uns sind, können wir spüren, was gut für uns ist. Das zu erkennen ist schon schwierig genug, aber die Umsetzung scheint dann oft völlig unmöglich. Aus Angst vor den Konsequenzen. Vielleicht geht es darum, im Wesentlichen zu erkennen, was du tun musst, um bei dir selbst zu bleiben und nicht vor dir selbst zurückzuschrecken. Das ist bereits ein sehr großer Schritt, der viele Lösungen nach sich zieht.
Verantwortung. Manche Menschen schaffen es ihr Leben lang nicht, ihrem eigenen Wesen zu folgen. Je mehr Freiheit man für sich in Anspruch nimmt, umso größere Verantwortung trägt man. Ich will frei sein und trage dafür eine hohe Verantwortung. Das ist nicht leicht, aber ich bin so und kann anders nicht leben. Freiheit und Verantwortung sind ein Paar, das man nicht trennen darf.
Bühne und Leben. Die Rollen, die ich vor allem in der Oper verkörpere, verändern sich mit dem Leben. Sie sind Spiegel für alles. Wenn ich offen bin für die Persönlichkeit, die der Regisseur meiner Rolle zudenkt, habe ich die Chance, auch neue Seiten an mir kennenzulernen. Das ist spannend. Auf der Bühne wie im Leben.
Selbstbewusstsein. Der Weg zu sich bedeutet harte Arbeit. Sowohl im Kopf als auch im Herzen. Und man erleidet immer wieder Rückschläge. Es ist notwendig, sich unabhängig zu machen, Dinge und Menschen hinter sich zu lassen, sich abzunabeln. Das ist nicht einfach. Einfacher ist es meist, allem zuzustimmen, anstatt etwas abzulehnen. Aber Nein sagen muss gelernt sein.
Überwindung. Manche Bühnenrollen sind eine ungeheure Herausforderung, fast wie eine Therapie. Es sind Dinge zu tun, die einen nicht schöner oder besser erscheinen lassen, sondern die Abgründe aufzeigen – Verzweiflung, Lüge, Wut, Erniedrigung. So etwas darzustellen kann sehr unangenehm sein. Man will es nicht fühlen und auch nicht zeigen. Die Überwindung dieser inneren Grenzen hat mich sehr verändert. Und vielleicht ist gerade das ein Geschenk des Lebens, wenn es sich verdichtet und dich in eine Situation bringt, in der du dich entscheiden musst »zu springen«.
Gegen den Strom. Du kannst gegen viele Strömungen ankämpfen, aber dem großen Strom des Lebens kannst du ohne Verletzungen nicht entkommen. Es ist spannend zu sehen, wohin er einen trägt. Das Ruder heißt Verantwortung, für sich und für andere. Auch wenn wir all unsere Kraft aufwenden, werden wir im Kampf gegen die Strömung nicht einen einzigen Zentimeter gewinnen. Eigentlich kann man nur erschöpft untergehen. Wenn du dich aber der Strömung ergibst und deine Energie dorthin wendest, kannst du unglaublich weite Strecken zurücklegen. Auch wenn du diese Richtung nie erhofft oder erwartet hast.
Gelassenheit. Es ist ein schmaler Grat zwischen Gleichgültigkeit und Gelassenheit. Gelassenheit zu besitzen ist ein großes Geschenk, das Freiheit und Ruhe bringen kann. Vielleicht kommt die Gelassenheit gerade mit der Freiheit.
Lampenfieber. Übertriebenes Lampenfieber resultiert aus Eitelkeit und aus der Angst, Vorstellungen anderer eventuell nicht zu entsprechen. Seit ich zu mir stehe, so wie ich bin, und nicht mehr gefallen muss, habe ich keine Angst mehr. So wie im Leben.
Kunst. Kunst ist nie dafür da, einfach nur schön zu sein. Kunst zu verstehen bedeutet Konfrontation. Kunst ist, wenn sie entsteht, ihrer Zeit meist voraus, sie hat viele Gesichter und ist nie gefällig. Und Kunst und Publikum sind wie Sender und Empfänger. Sie bedürfen einander und beide tragen eine große Verantwortung.
Allein. Alleinsein ist wunderbar, wenn man nicht einsam ist. Allein in der U-Bahn in Tokio, allein in der hintersten Ecke einer Bar in New York. Es ist leicht, fortzugehen, im Wissen darum, wo du hingehörst. Es ist schön, allein zu sein, im Wissen darum, dass es Menschen gibt, die immer für dich da sind.
Zu zweit. Fast alle Menschen streben danach, zu zweit zu sein. Und glücklich. Das hält unser Leben ordentlich in Schwung. Echte Partnerschaft kann für mich aber nur dann stattfinden, wenn sie freiwillig und ohne Abhängigkeit geschieht.
Zeit für dich. Die Zeit ist ein sonderbares Ding. Die Zeit heilt Wunden, heißt es. Auf die Zeit kannst du vertrauen. Ich habe oft auf die Zeit vertraut, wenn ich nicht wusste, wohin ich mich wenden sollte. Dann bin ich ganz still gestanden und habe mich nicht mehr bewegt. Denn selbst wenn man gar nichts tut, verändert die Zeit die Dinge rundum, und vieles steht plötzlich in einem anderen Winkel, in einer anderen Perspektive. Die Zeit schiebt Türen auf und gibt Blicke frei, die zuvor verstellt waren. Du musst warten können und im richtigen Moment handeln. Denn so wie die Zeit Türen öffnet, wird sie diese auch irgendwann wieder schließen.
Und ein letzter Gedanke noch, ehe es dann wirklich losgeht in einer längst vergangenen Zeit: Unsere Erziehung und auch die Kirche lehren uns, immer auf andere zu schauen. Das sei unser höchstes Ziel. Den Menschen um dich herum soll es gut gehen, nur dann kannst du auch selbst dein Glück finden. Ich meine, dass es genau umgekehrt sein müsste: Nur wenn du mit dir selbst und deinem Leben zufrieden bist, kannst du positiv auf andere wirken.
Ich bin nicht zur Opernsängerin erzogen worden. Ich bin erzogen worden, bescheiden zu sein, in erster Linie aber bin ich liebevoll erzogen worden und dazu, ein tauglicher Mensch zu werden. Damals, in Salzburg, wo alles begann.
Mein erstes Trauma
und was ich alles nicht wurde
Ich hatte in Wahrheit keine Ahnung. Keine Ahnung, was ich mit meinem späteren Leben anfangen sollte. Die Matura stand relativ kurz bevor, und eine eher vage Idee hatte sich festgesetzt in mir, wonach ich danach eventuell Restauratorin werden wollte. Die Vision, in einer Kirche hoch oben auf einem Gerüst zu stehen und Gold auf Kunstwerke aufzutragen, hatte etwas durchaus Verlockendes für das damals 18-jährige, noch ziemlich naive und unverfälschte Mädchen Angelika. Stille rund um mich und sehr viel Eleganz und diese kühle, klare Luft, die einen in diesen alten Gotteshäusern so oft umspielt. Und ich hab’s gern kühl.
Oder Buchbinderin? Das erschien mir kreativ, man hat mit schönen Dingen zu tun, und es ist ein Beruf mit einer aufregenden Tradition. Oder doch Archäologin? Dagegen sprachen wiederum die extrem heißen Gegenden, die man als Archäologin vermutlich immer wieder zu bereisen hätte. Ich war also uneins mit mir und habe mich schon damals recht häufig neu erfunden.
Im »Zaubergarten« der Tante in Morzg: Die Eltern Walter und Inge, Angelika und ihre kleine Schwester Lissi. »Wir waren«, erinnert sich Angelika, »sehr lange meist gleich angezogen, obwohl wir – wie man sieht – keine Zwillinge sind.«