Meine Garderobe befand sich in der Sakristei, und hätte mich damals jemand beobachtet, hätte sich dieser Jemand ein Grinsen wohl nicht verbeißen können. In der Sakristei hingen nämlich zahlreiche päpstliche und andere wertvolle kirchliche Gewänder. Alle hinter Glas, und zwar in einem rechten Winkel zur Wand und so, dass man sie nach links und rechts bewegen konnte. Man konnte in diesen Gewändern also regelrecht blättern wie in einem überdimensionalen und aufgestellten Buch. Das tat ich. Und zwar in Unterwäsche, wie’s eben vorkommt in Künstlergarderoben. Und dass diese Garderobe ausgerechnet die Sakristei war, dafür konnte ja ich nichts …
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich den Respekt vor diesen heiligen Hallen abgelegt hätte wie mein Gewand, dennoch verschwand wie durch Zufall ein weißes, geripptes Handtuch in meiner Tasche, das dort für mich hergerichtet und in das in roter Farbe »Cappella Sistina« eingestickt war. Als ich am folgenden Tag einem italienischen Radiosender auf Englisch ein Interview gab, wollte der Reporter von mir wissen, was ich alles an Erinnerungen an die Sixtinische Kapelle mitnehmen würde. Vermutlich rechnete er in etwa mit einer Antwort wie dieser: »Den Geist Michelangelos und auf den Spuren der Päpste gewandelt zu sein.« Das aber hätte für mich zu sehr nach Plattitüde geklungen, also grinste ich nur und sagte spontan: »A towel.« Ein Handtuch also … Und dieses Handtuch hing danach lange Zeit bei mir zuhause. Hinter Glas.
Weitere zwei Jahre später feierte der Papst seinen 80. Geburtstag. Und wieder war Muti gleichsam als Zeremonienmeister auserkoren. Diesmal entschied er sich für die H-Moll-Messe von Bach, für vier Solisten, darunter auch meine Wenigkeit, und für die Wiener Philharmoniker. Als wir ankamen, wurden wir gleich einmal instruiert, was wir alles keinesfalls durften und was wir alles unbedingt mussten. Beispielsweise, wie sich nach dem Konzert jeder Einzelne von uns vor dem Papst richtig hinzuknien hatte, wie der Ring richtig zu küssen sei und dass wir Damen nicht kurzärmlig erscheinen durften, geschweige denn schulterfrei. Was wir schon gar nicht durften: den Papst bereits im Vorfeld zufällig, und sei es nur aus der Ferne, sehen oder ihm, schlimmer noch, über den Weg laufen.
Und dann geschah Folgendes: Muti, die anderen Solisten und ich waren, begleitet von mehreren Vatikan-Bediensteten, auf dem Weg durch irgendwelche Gänge zur großen vatikanischen Veranstaltungshalle. Plötzlich brach regelrechte Panik aus, denn der Papst war offenbar auch gerade auf dem Weg. Auf dem gleichen wie wir. Und so wurden der Weltstar Muti und die vier Solisten von Weltrang kurzerhand in eine nur sehr schwach erleuchtete Besenkammer geschubst und eingesperrt. Und da harrten wir dann im Dämmerlicht ein paar Minuten, ehe wir gnadenhalber wieder aus unserem Gefängnis entlassen wurden.
Simon Keenlyside, der Bariton und einer von uns Solisten, der mir in weiterer Folge ein sehr guter Freund werden sollte, erwies dem Papst schließlich auf seine ganz spezielle Art und Weise die Ehre. Als wir nach dem Konzert einer nach dem anderen am Heiligen Vater vorbeidefilierten, niederknieten und ihm den Ring küssten, ging Simon einfach auf Karol Wojtyla zu, streckte ihm aufrecht stehend die Hand entgegen, schüttelte die päpstliche und meinte schlicht: »I wish you the very best.« Und jeder, der Simon kennt, weiß, dass das aufrichtig und ehrlich gemeint war. Und nicht, wie manche vermuteten, aus respektlosen Rachegelüsten für das Eingesperrtsein im Besenkammerl.
Aber nun zurück von Italien nach Österreich. Und in Österreich von Salzburg nach Wien.
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