Man erreicht ein Ziel nicht, ein Ziel erreicht einen.
So ist auch dieses Buch zu mir gekommen, nicht ich zu ihm. Achim Schneyder hatte die Idee, dem Verlag hat sie gefallen, und mich brauchte Achim dann nicht mehr lange zu überreden.
Dass im Wort »Autobiografie« übrigens ausgerechnet das Wort »Auto« steckt, hat Charme. Insofern, als Sie sich mit der eingefleischten Cabriofahrerin Angelika Kirchschlager auf eine Reise begeben. Auf eine Reise durch mein Leben mit freier Sicht auf einen Himmel, von dem häufig die Sonne strahlt, der mitunter aber auch verhangen ist mit dunklen Wolken. Und es ist eine Reise, die nicht von A nach B führt. Jedenfalls nicht auf direktem Weg.
Im Grunde ist es eine Fahrt ins Blaue. Über Landstraßen und Autobahnen, in Sackgassen, über Brücken, oft auf der Überholspur und hin und wieder auch gegen die Einbahn. Bisweilen auch gegen die Wand. Umwege sind ganz bewusst gewählt, und mitunter verfahre ich mich. Da schweife ich ab, da greife ich vor, vereinzelt viele Jahre, um schließlich wieder umzudrehen und abermals einen anderen Weg zu wählen. Aber schließlich führen alle Wege zu mir.
In diesem Sinn wünsche ich eine vergnügliche Reise.
Angelika Kirchschlager im Sommer 2013
PS: Ich gehe übrigens kaum in die Oper. In erster Linie dann, wenn ich arbeiten muss. Doch dazu später.
Die Zeit in Salzburg
Der richtige Moment
und andere Gedanken
Ich hatte glatte Haare. Ja, wirklich, als kleines Kind hatte ich nahezu ganz glatte Haare. Später dann, als ich in die Schule kam, bildeten sich die ersten kräftigeren Wellen, und in der Pubertät sind meine Haare schließlich regelrecht explodiert. Und ich würde lügen, wenn ich sagte, ich hätte meinen Lockenkopf nicht zu bändigen versucht. Über Jahre, über Jahrzehnte in Wahrheit, habe ich nahezu alles ausprobiert, diesem wilden Treiben auf meinem Haupt ein Ende zu setzen. Heute jedoch lasse ich meiner Mähne mehr oder weniger freien Lauf, heute lasse ich ihr ihren Willen. Und es ist tatsächlich nicht sehr lange her, dass ich mich endgültig zu diesem Schritt durchringen konnte.
Es war ein Akt der Befreiung. Nicht der einzige in der jüngsten Vergangenheit, denn ich verändere mich seit ein paar Jahren zunehmend auch künstlerisch. Und ich verändere mich zunehmend als Mensch.
Insofern ist nach meinem Gefühl gerade derzeit der richtige Moment, all das niederzuschreiben, was bisher geschah. Was mich bewegt und geprägt hat im Positiven wie im Negativen. Weil ich ausmiste in der jetzigen Phase meines Lebens, und im Ausmisten bin ich ein wahrer Meister. Ich kann mich ganz ohne Wehmut von Dingen trennen. Ich kann mich von einem endlos oft getragenen und geliebten und mit Geschichten bekleckerten Kleid in aller Freundschaft verabschieden, ich kann akzeptieren, wenn etwas vorbei ist, wenn etwas seine Zeit und meist auch seine Berechtigung hatte.
Und das gilt auch für Lebensabschnitte. Ich kann Regale ausräumen, weil ich zu wissen glaube und spüre, dass sie sich sogleich wieder füllen werden mit Menschen und Materien, die in mein Jetzt passen. Und bevor ich neugierig aufbreche zu neuen Ufern, weil ich nicht müde werden will, meinen Horizont zu erweitern, werde ich von alten Stränden erzählen.
Aber nicht sofort. Denn auch wenn die ersten Kapitel dieses Buches unter dem Sammeltitel »Die Zeit in Salzburg« vor Ihnen liegen, möchte ich an dieser Stelle bereits ein erstes Mal abschweifen und vorgreifen und eingangs ein wenig vom Heute und nicht vom Gestern erzählen. Vom heißen Sommer 2013, in dem ich mich an bald schon 48 Jahre meines Lebens erinnere und diese Erinnerungen notiere. Ich erzähle vom Status quo.
47 Jahre und ein paar Monate. Das ist ein Alter, mit dem ich kein Problem habe. Ganz im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, im besten Alter zu sein und würde auch keine Sekunde meiner gesammelten Erfahrungen tauschen wollen gegen eine körperliche und vermeintlich Glück verheißende Jugend. Natürlich wäre es optimal, steckte ich mit meinem Schatz an Erkenntnissen und sogenannten Weisheiten im Körper einer 30- oder 35-Jährigen, aber würde das auch zusammenpassen? Würde das stimmen? Ich denke nicht. Außerdem verheißen auch meine bald 48 Jahre Glück.
Und weil ich erwähnte, ich sei im besten Alter, so trifft das auch auf meinen Beruf, auf das Singen zu. Meine Stimme ist in den vergangenen drei, vier Jahren auf- und mehr und mehr aus sich herausgegangen. Und zwar deshalb, weil ich seit einiger Zeit mit größter Konsequenz nur noch das singe, was mir als Mensch guttut, weil ich nur noch das singe, womit ich mich wohlfühle, was ich vor mir verantworten kann und womit ich mit mir im Reinen bin.
Mein Geist ist entspannt, meine Stimme dankt es ihm. Sie muss, wie der Mensch Angelika Kirchschlager ebenfalls, nichts mehr sein, was sie vielleicht nicht immer sein wollte. Meine Stimme ist mein Stimmungsbarometer, und so gut es ihr momentan geht, so gut geht es mir. Und umgekehrt.
Früher habe ich so manches in meinem Beruf mit Kraft kompensiert. Heute natürlich auch noch mitunter, aber heute kommt das Wissen um mein gelebtes Leben hinzu, und diese Erfahrungen machen es um ein Vielfaches leichter.
Natürlich wird es dereinst so sein, dass ich noch mehr gelebt und erlebt haben werde und gleichzeitig die Kraft für das Singen sukzessive weniger wird. Stimme, Klang und Körper verändern sich – ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr unbedingt zum Vorteil. Aber auch damit werde ich mich nicht nur anfreunden müssen, ich werde mich damit anfreunden können. Ich werde mich ganz allgemein mit allen scheinbar unerfreulichen Zuständen zu arrangieren versuchen und werde sie akzeptieren, weil mit jedem Tag, den ich lebe, mein Leben reicher wird. Noch reicher. Selbst wenn man körperlich nicht mehr ganz so auf der Höhe ist, heißt das hoffentlich noch lange nicht, dass die Lebenslust verloren geht. Vielleicht braucht man beim Heurigen dereinst ein weiches Kissen, damit man nicht ganz so hart sitzt, aber immerhin sitzt man noch beim Heurigen. Es ist einfach so, dass die Dinge, die mir wichtig sind, nur wenig mit dem Alter zu tun haben. In zehn Jahren bin ich 57. Und auch das wird nur eine Zahl sein und, da bin ich zuversichtlich und klopfe auf Holz, kein bedauernswerter Zustand.
Ich bin zufrieden mit mir und finde es schmeichelhaft, wenn Menschen mir Komplimente machen. Auch wenn ich gerade beginne, mich von gängigen Schönheitsidealen zu befreien. Wenn ich einmal das eine oder andere Kilo zu viel habe, dann habe ich eben das eine oder andere Kilo zu viel. Wird schon wieder weggehen, denke und sage ich mir, kein Grund, hysterisch zu werden. Und meine Falten erzählen Geschichten, die ich nicht leugnen will. Wobei die meisten Falten ohnehin Lachfalten sind.
Und noch etwas ist passiert mit mir in den vergangenen Jahren: Ich habe gelernt, mein Licht nicht mehr unter den Scheffel zu stellen. Auch das war ein Akt der Befreiung, dieses Eingeständnis, irgendetwas möglicherweise doch besser zu können als andere. Heute spreche ich das auch voller Überzeugung aus, aber ich musste es mir tatsächlich erst Schritt für Schritt aneignen, statt hauptsächlich von meinen weniger guten auch von meinen guten Eigenschaften sprechen zu können. Und seit ich es kann, und zwar ohne überheblich oder hochmütig zu sein, habe ich an Stärke gewonnen. Seit ich es kann, bin ich aber auch wählerischer geworden. Nicht zuletzt was die Menschen betrifft, mit denen ich mich umgebe und näher auseinandersetze.
Ich bin süchtig nach Menschen. Süchtig danach, immer neue kennenzulernen. In allen Variationen. Ich tendiere dabei zu solchen, die – nennen wir es so – eine Herausforderung darstellen. Das liegt, und ein bisschen glaube ich daran, an meinem Sternzeichen. Ich bin Schütze. Und ich bin dabei tolerant in einem Ausmaß, das manchmal schon an Einfalt grenzt. Meine Philosophie ist es aber, mich zu öffnen und von jedem vorweg nur das Beste anzunehmen. Je mehr ich selbst erlebe, umso weniger möchte ich über andere urteilen. Ich bemerke immer wieder, dass Menschen ehrliche, positive Erwartungen wirklich gerne erfüllen und dabei selbst viel glücklicher werden. Das funktioniert an der Kassa im Supermarkt genauso wie in den Büros der Intendanten. Und mit jedem Menschen, der mir begegnet, werden andere Eigenschaften ans Tageslicht gebracht. Das gilt für Stärken und Schwächen