SKIN MEDICINE - Die letzte Grenze. Tim Curran. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tim Curran
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350298
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Tyler Cabe die Hirschlederjacke über, stieg in ein Paar Hosen aus grauer Wolle und ging zurück hinaus in Wind und Wetter. Der Regen hatte aufgehört und der Wind nachgelassen, aber es war immer noch kalt, und seine Stiefel versanken vier Zoll im Meer aus Schlamm auf der Straße.

      In der Oase war Frank Carny immer noch im Dienst. Ein Gehilfe wischte blutige Sägespäne von den Bodenbrettern. Es hatte einen Messerkampf gegeben, erfuhr Cabe. Gestorben war niemand, aber es war eine schmutzige Angelegenheit gewesen, wie das so oft der Fall war. Ein paar Männer spielten Poker, ein paar andere kauerten an ihren Tischen und erzählten Geschichten von Funden in den Goldfeldern Montanas.

      Cabe trank Bier und erzählte Carny, weshalb er hier war, und die beiden begannen ein ernsthaftes Gespräch.

      »Tut mir leid zu hören, dass du mit dem Sheriff nicht so gut klarkommst. Soweit ich das sagen kann, ist er ein anständiger Mann«, sagte Carny. »Egal wie du zu ihm stehst, du musst zugeben, dass der Junge ganz schön was drauf hat. Scheiße, mit den Fäusten würde ich es mit jedem aufnehmen, aber … wenn die eine Knarre haben? Vergiss es. Dann werde ich zum Feigling. Dirker? Zur Hölle, der setzt jedem nach, der in seinem County Ärger macht.«

      Cabe nahm einen Schluck Bier. »Ich sage ja nicht, dass er ein übler Kerl ist, Frank. Ganz und gar nicht. Wir haben nur eine Vorgeschichte, das ist es. Unter dieser Brücke fließt so viel Wasser, dass ein Elefantenbulle darin ersaufen würde.«

      Alles hatte er Frank Carny nicht erzählt. Nur so viel, dass er ungefähr die Lage einschätzen konnte. Verstehen konnte, wer Tyler Cabe war und was Jackson Dirker für ihn bedeutete. Cabe hielt das für wichtig, denn er brauchte einen Freund in dieser Stadt, jemanden, dem er vertrauen konnte und der sich ab und an in der Gerüchteküche etwas zu essen holte. Manchmal ließen sich die Leute durch ein kleines Geständnis erweichen. Manchmal musste man die Flanken öffnen, um die Schlacht zu gewinnen.

      Carny setzte seine Ellenbogen auf die Bar und sah Cabe direkt in die Augen. »Hör zu, Tyler. Du scheinst mir zu den Guten zu gehören, also will ich dir was erzählen. Dirker hat eine Menge Freunde in der Stadt … und er hat eine Menge Feinde. Ich sage dir das, damit du aufpasst, wem du was erzählst. Ich mag Dirker … aber ich habe viel gesehen, ich kann verstehen, wie es für dich sein muss. Bei mir ist auch einiges kaputt, ich habe genug Narben … aber lass uns sagen, dass die selbst verschuldet sind. Deine Narben gehören zu der anderen Sorte, richtig?«

      Cabe trank einen Schluck Bier. »Das würde ich sagen, ja.«

      Carny zapfte sich ein Bier aus einem Holzfass. »Darf ich direkt sein, Tyler?«

      »Sehr gerne.«

      Carny schüttete in einem Zug den halben Krug die Kehle hinunter und wischte sich den Schaum von seinem drahtigen Schnurrbart. »Kriege sind eine üble Sache. War bei keinem dabei, aber das muss man nicht, um das zu sehen. Du und Dirker … ihr wart zwanzig Jahre jünger damals. Voller Saft und Kraft. Habt beide eure Ärsche hingehalten für etwas, an das ihr fest geglaubt habt. Aber ihr wart Jungs, keiner von euch hatte gesunden Menschenverstand und die Toleranz, die mit dem Alter und der Erfahrung kommt. Daran solltest du denken.«

      Cabe leckte sich die Lippen. »Jung und rollig?«

      Carny lachte. »Exakt. Hitzköpfig, stinksauer und vollgepumpt mit einer Verrücktheit, wie sie nur die Jugend kennt und die von Kriegen und den Bastarden, die damit anfangen, gerne ausgenutzt wird. Das sollte dir einfach klar sein, mein Freund. Ich vermute, dass keiner von euch beiden derselbe Mann ist, der er war.«

      Ein Teil von Cabe mochte es nicht, von Carny erzählt zu bekommen, wie die Sache lag und wie er sich fühlen sollte angesichts der Scheiße, durch die er gewatet war … aber er hatte verdammt noch mal dazu eingeladen. Das hier war Futter zum Nachdenken. Also nahm er einen Bissen, schluckte ihn herunter und stellte fest, dass er nicht so schwer im Magen lag wie gedacht. Er hasste die Yankees nicht, so wie andere das taten. Vielleicht die Reichen von der Ostküste, die die Fäden zogen, aber nicht den einfachen Mann oder Soldaten. Sie waren nur Rädchen im Getriebe, so sah er das. Zur Hölle, oben im Dakota-Territorium hatte er sich mit einem Unionsveteranen angefreundet, der bei Gettysburg ein Bein verloren hatte. Und unterm Strich war es doch so, dass manchmal nur Veteranen einander verstehen konnten. Egal ob alte Feinde oder nicht, sie verstanden, was der andere durchgemacht hatte.

      »Ich werde das im Gedächtnis behalten«, sagte Cabe aufrichtig zum Bartender.

      Carny servierte ein paar Bier, schenkte ein paar Kurze ein und kam wieder. Er knipste das Ende einer Zigarre ab und steckte sie sich an, dann gab er Cabe Feuer. Einander anschauend, vielleicht sich gegenseitig verstehend, sagten sie eine ganze Weile nichts.

      »Erzähl mir von Whisper Lake«, sagte Cabe schließlich.

      »Es ist eine Minenstadt, Tyler. Aber keine Minenstadt, die nur einer Firma gehört. Hier gibt es drei Minengesellschaften: Southview, Arcadian, Horn Silver. Alles gehört ihnen nicht, aber das Meiste. Ständig versuchen sie, sich gegenseitig aufzukaufen, die Arbeiter abzuwerben und mehr von der Sorte. Sie spielen das ganz große Spiel. Dazwischen gefangen sind die Minenarbeiter und die unabhängigen Erzschürfer, und manche von ihnen sind ganz schön raue Kerle. Sie sind aus dem Osten oder aus Übersee, so ziemlich von überall. Dann hast du die übliche Mischung aus Prostituierten, Glücksspielern, Revolverhelden, Gesetzlosen, Kleinkriminellen, alles Mögliche. Mittendrin in dem Durcheinander stecken die Geschäftsinhaber. Einfach eine große, menschliche Suppe, die vor sich hin brodelt und in der, wie du dir vorstellen kannst, die schlechtesten Dinge passieren können. Was sie auch tun.«

      »Klingt wie jede Minenstadt, die ich je besucht habe.«

      »Sicher. Die Welt ist voll von Orten wie Whisper Lake, Tyler. Sobald sie auf Erz stoßen, geht es los. Dann beginnen die Intrigen und das Sterben. Sobald die Farbe trocken ist, kommen die Leute, der Müll türmt sich, und dieser Müll zieht wiederum Fliegen an.«

      Cabe hörte zu, aber da war nichts, was er nicht schon einmal gehört hatte … und doch überkam ihn das merkwürdige Gefühl, dass Carny versuchte, etwas zu sagen, ohne es auszusprechen. Er trank sein Bier aus. »Und?«, fragte er.

      »Und was?«

      Cabe studierte ihn lange und unnachgiebig, seine grünen Augen weigerten sich zu blinzeln. »Da ist noch was anderes. Ich kann es in deiner Stimme hören.«

      Carny legte seine Zigarre im Aschenbecher ab und setzte seine Ellenbogen wieder auf die Theke. »Dieser Ort ist ein großer Kessel, wie ich gesagt habe. Nur dass er kurz davor ist, überzukochen. Hier gibt es nämlich Ärger, weißt du. Wir haben Minenarbeiter, die draußen in den Hügeln verschwinden, und die Leute sagen, Mormonen-Milizen wären verantwortlich.«

      »Glaubst du das?«

      Carny schüttelte den Kopf. »Nein. Ich meine, zur Hölle, in Utah leben hauptsächlich Mormonen. Aber in Minenstädten wie der hier oder in Frisco gibt es nur wenige. Die Mormonen mögen Orte wie diese nicht – Bastionen der Sünde, sagen sie – aber ich denke nicht, dass sie deswegen anfangen, Leute umzubringen. Seit dem Mountain-Meadow-Massaker und dem, was danach kam, haben sie etwas Blut an den Händen, aber sonst sind sie generell friedfertig. Sie halten sich eng an ihre Sippe, sind aber immer bereit, einem Fremden in Not zu helfen. Man kann verstehen, weshalb sie Orte wie diesen nicht mögen, Orte, die ihre Söhne und Töchter verderben.«

      Cabe verstand das. In dieser Beziehung waren die Mormonen nicht anders als gewöhnliche Christen. Orte wie Whisper Lake hatten eine Art, ihre Grenzen auszudehnen und die schlimmsten Menschen und Praktiken anzuziehen. Er sagte: »Aber du denkst nicht, dass sie irgendetwas mit dem Verschwinden der Minenarbeiter zu tun haben?«

      »Nein Sir, das denke ich nicht.« Carny zündete seine Zigarre wieder an. »Aber versuch mal, die Leute hier davon zu überzeugen. Mist. Ich habe gehört, dass sich eine Bürgerwehr geformt hat, die auf Rache aus ist und es auf die Mormonensiedlungen abgesehen hat.«

      »Klingt, als hätte Dirker alle Hände voll zu tun.«

      »Mehr als du dir vorstellen kannst, mein Freund.« Carny senkte seine Stimme zu einem Flüstern herab und fuhr fort. »Weißt du, es sind nicht nur Leute verschwunden, sondern es gab Morde.