SKIN MEDICINE - Die letzte Grenze. Tim Curran. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tim Curran
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350298
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zog seinen Army-Colt und schoss ihm in den Kopf. Little Willys Schädel brach auseinander wie eine zersplitternde Glasvase, sein Gehirn ergoss sich auf das Gras, und er fiel um wie ein gefällter Baum.

      Cabe und die anderen fingen an zu schreien und zu brüllen, und blitzartig wurden sie von den Yankees überwältigt. Cabe wurde mit einem Schlag von einem Gewehrkolben an die Schläfe zu Boden gestreckt, Sammy und Pete wurden an Eschenbäume gebunden und dann bis zum Gürtel entkleidet.

      Dirker kam mit einer Bullenpeitsche von seinem Pferd zurück, und er hatte etwas so Dunkles und Giftiges an sich wie ein Haufen sich windender Klapperschlangen in einer Grube. »Grabschänder, Leichenfledderer«, sagte er mit einer seltsam flüsternden Stimme. »Einen Mann zu töten, ist eine Sache … aber ihn zu verstümmeln, so etwas zu tun wie … das hier …«

      Die Peitsche knallte in der Luft, rollte sich zusammen und breitete sich dann in ganzer geflochtener Länge aus, erwachte und streckte sich … und dann explodierte Dirker. Die Peitsche traf das bloße Fleisch von Petes und Sammys Rücken und überzog beide mit klaffenden Wunden. Dirker ließ die Peitsche knallen, bis beide Männer aufhörten zu schreien und schlaff zusammensackten. Ihre Rücken bestanden nur noch aus blutendem Fleisch. Jetzt kam Cabe wieder zu Sinnen, warf zwei Yankees aus dem Weg, stürzte auf Dirker zu – und dann leckte die Peitsche quer über sein Gesicht mit einer Explosion beißender Qual, die ihn auf die Knie zwang. Und wieder schlug die Peitsche zu, riss seine Wangen auf und machte aus seiner Nase eine zerfetzte Fleischwunde. Dann lag er am Boden, nahezu bewusstlos, und die Peitsche krallte sich wieder und wieder in sein Gesicht.

      Als Cabe wieder zu sich kam, fand er sich auf einem Feld mit vielleicht hundert anderen konföderierten Soldaten wieder. In Gewaltmärschen wurden sie zum Mississippi getrieben und dort auf halb verrottete alte Dampfschiffe geladen. Die nächsten beiden Wochen verbrachten sie in den unteren Decks in kalter, verdreckter Dunkelheit und aßen, schliefen und lebten direkt auf der zwei Fuß hoch geschichteten Steinkohle. Die Schiffe brachten sie den Mississippi hinauf über St. Louis nach Alton in Illinois, wo man sie für die Fahrt nach Chicago auf Viehwagen verfrachtete. Als sie ihr Ziel erreichten, teilten sie die Dunkelheit mit Dutzenden starr blickender Leichen von Männern, die sich der Kälte, dem Hunger, den Krankheiten ergeben hatten.

      Von Chicago aus trieben die konföderierten Soldaten sie zu einem Marsch von zwei Meilen durch eiskalten Schlamm und sumpfiges Gelände zum Camp Douglas. Ihre nassen Uniformen waren festgefroren, steif wie Ochsenleder. Die Menschen kamen heraus, gafften und glotzten und johlten, als die Kolonne besiegter Südstaatler vorüberzog … doch es gab auch einige, die Mitleid zu haben schienen und beinahe beschämt aussahen. Manchmal bewarfen die Kinder sie, manchmal lachten sie und winkten. Zumindest bis ihre Eltern sie eines Besseren belehrten.

      Cabe verbrachte sechs Monate in Camp Douglas.

      Das Camp war ursprünglich als Ausbildungslager für die Unionsarmee errichtet worden, aber nach der Kapitulation der Konföderierten bei Fort Donelson hatte man es zu einem Kriegsgefangenenlager umgebaut. Über siebentausend Männer waren hier gefangen, und es gab nur einen einzigen Arzt, der sich um ihre Leiden kümmern sollte, von denen es mehr als genug gab. Das Lager war eine Jauchegrube voll mit stehendem, gammeligem Wasser, unbegrabenen Leichen, verrottenden Knochen, grassierenden Krankheiten und Ungeziefer. Ratten durchstreiften ungestört das Gelände und fraßen an den Toten und manchmal auch an den Lebenden, die zu schwach und krank waren, sich zu bewegen. Männer erfroren. Männer wurden zu Tode geprügelt. Männer wurden für die kleinsten Vergehen hingerichtet und gefoltert. Der Hunger tötete Hunderte. Ausbrüche von Blattern und Ruhr töteten Hunderte mehr. Das Wasser war dermaßen mit dem Abfluss aus den Latrinen verseucht, dass sich die mit dem fauligen Zeug behandelten Wunden schnell entzündeten. Im Sommer wurde das Lager zu einer Brutstätte umherschwirrender Fliegen und bissiger Mücken, die die Luft mit dichten Schwärmen bevölkerten. In den Bergen von Müll und herumliegenden Toten vermehrten sich Maden und Ratten.

      Die Wachen nannte man Etappenschweine und sie waren grundlos sadistisch. Häufig warfen sie Essen lieber auf den Müll, statt es den Gefangenen zu geben. Sie schlugen die Männer erbarmungslos und ließen sie nackt im Schnee antreten. Oft wetteten sie darauf, welcher Gefangene am längsten ohne Essen und medizinische Versorgung überleben würde. Achtzehn Gefangene starben im Schnitt jeden Tag. Ab und an wurden offene Wagen durch das Lager gezogen, auf die man die Toten warf, einen über den anderen wie Holzscheite, mit Gliedern dünn wie Besenreiser und eingefallenen Gesichtern. Die Sterbenden wurden häufig gleich mit auf den Wagen geworfen. Häufig ließ man die Wagen tagelang in der Sonne stehen, bis die aufgehäuften Kadaver sich buchstäblich drehten und wanden, ausgelöst durch die fressenden Würmer und Ratten und die sich ausdehnenden Gase.

      Cabe hatte in der Konföderierten Armee nicht viel zu essen bekommen.

      Von ursprünglich hundertsiebzig Pfund waren bei Pea Ridge noch magere hundertvierzig Pfund übrig gewesen … doch als er Camp Douglas durch einen Gefangenenaustausch verlassen konnte, wog er gerade noch knapp über hundert Pfund. Ein Strichmännchen, eilig hingekritzelt von einer Kinderhand, gekleidet in Lumpen und zusammengenähte Reste aus Uniformen und schmutzverkrusteten Decken.

      Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Krankenhaus der Konföderierten wurde Cabe wieder in die Zweite Arkansas eingegliedert, die kurz darauf mit der von Bragg kommandierten Tennessee-Armee zusammengelegt wurde. Cabe kämpfte bei Murfreesboro und nahm an General Joe Johnstons glücklosem Versuch teil, die Belagerung von Vicksburg durch die Nordstaaten aufzubrechen. Danach kamen Chickamauga, Chattanooga, der Atlanta-Feldzug. Während der Carolina-Kampagne verletzten ihn Schrapnellsplitter schwer, aber er überlebte, um seinen Brüdern beizustehen, als die Tennessee-Armee im April 1865 in North Carolina kapitulierte.

      Nach dem Krieg trieb er Rinderherden von Texas nach Kansas, war Nachtarbeiter auf einer Ranch, Eisenbahndetektiv und begleitete einen Geldtransport nach Kalifornien. Kurz darauf verlegte er sich auf die Kopfgeldjagd.

      Aber bei allem, was er gesehen hatte, bei allem, was er getan hatte, bei den Gräueln des Krieges und dem durchlebten Albtraum in Camp Douglas – ein Ereignis überschattete sie alle: seine Gefangennahme bei Morgan's Woods nach der Schlacht am Pea Ridge.

      Und sein erstes Treffen mit Jackson Dirker.

      Dem Mann, der sein persönliches Feindbild wurde, der ihn jahrelang in seinen Träumen und oft genug auch im wachen Zustand verfolgte.

      2-11

      Der Job als County Sheriff war nicht einfach.

      Jackson Dirker war sieben Tage die Woche beschäftigt und hatte oft Fünfzehn-Stunden-Tage. Recht und Gesetz im County durchzusetzen, war an sich schon keine leichte Aufgabe, wenn man wilde Boomtowns wie Whisper Lake und Frisco in seinem Zuständigkeitsbereich hatte. Aber Dirker war darüber hinaus noch verantwortlich für das County-Gefängnis, er stellte Gerichtsanordnungen zu und sorgte dafür, dass das örtliche Amtsgericht funktionierte. An mehreren Tagen in der Woche war er Zeuge vor Gericht, organisierte Gefangenentransporte, wachte über seine Deputys und arbeitete sich durch den Berg von Papierkram, den all das mit sich brachte. Er war zudem in einer Person so etwas wie der Brandbeauftragte, der Gesundheitsinspektor und der Bevollmächtigte für Stadtreinigung. Man rief ihn, wenn es Konflikte zu lösen gab zwischen den Minengesellschaften und den vielen lokalen unabhängigen Erzschürfern, den Einwohnern und Zugewanderten, den Enklaven der Indianer und denen der Mormonen. Er war teils Soldat und teils Diplomat, teils Buchhalter und teils Behördenleiter.

      Für die Einwohner von Beaver County war er ihr Ein und Alles.

      Wenn etwas Gutes geschah, war er der Letzte, der es erfuhr. Wenn aber die Scheiße herabregnete, erwartete man, dass er der Erste vor Ort war und die größte Schaufel mitbrachte.

      Doch für den ganzen Ärger, den der Job mit sich brachte, gab es auch eine Menge Geld.

      Als einer der hochrangigen Amtsträger im County, der vom Gouverneur selbst ernannt wurde, war Dirker auch der oberste Steuereintreiber. Von allem, was er hereinholte, behielt er zehn Prozent – eine ganze Menge. Zudem kassierte er Zulassungsgebühren von Saloons, Bordellen und Spielhallen. Zusammen mit der Organisation von County-Aufträgen