SKIN MEDICINE - Die letzte Grenze. Tim Curran. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tim Curran
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350298
Скачать книгу
von denen ich rede … gottverdammt, die Opfer sind abgeschlachtet worden, Tyler. Auf schlimmste Weise verstümmelt. Abgerissene Köpfe, aufgeschlitzte Bäuche, abgetrennte Glieder. Ich habe Gerüchte gehört, dass diese Leichen … gegessen wurden

      Ein langes Stück Asche fiel von Cabes Zigarette herunter. »Gegessen? Scheiße noch mal, das hört sich eher nach Wölfen an oder einem Rudel wilder Hunde. Ich habe Geschichten von den Mormonen gehört, aber niemals, dass sie Menschen essen würden.«

      »Da stimme ich dir zu. Aber noch mal, versuche, davon die Leute hier zu überzeugen. Sie haben Bürgerwehr-Komitees gegründet, und sie fangen schon an zu schießen, wenn sie nur einen Schatten sehen. Die Dinge fangen an, außer Kontrolle zu geraten.«

      Aber Cabe konnte das nachvollziehen. Die Mormonen. Sie waren anders, sie gaben gute Ziele ab. Gute Ziele, gerade wenn man frustriert war und Dampf ablassen musste. Denn wenn die Menschen Angst bekamen, bildeten sie Gangs, und diese Gangs brauchten einen gemeinsamen Feind. Wenn sie keinen fanden, schufen sie sich einen.

      »Schätze, was ich sagen will, ist«, begann Carny, »dass dein Sin City Strangler keinen besseren Platz hätte finden können. Er passt in dieses Irrenhaus wie die Faust aufs Auge.«

      Daran hatte Cabe überhaupt keinen Zweifel.

      2-8

      Später, zurück in seinem Zimmer, dachte Cabe nach. Eine Minenstadt. Tanzhäuser, Spielhallen, Saloons, Bordelle. An so einem Ort gab es nichts, was man mit Geld nicht kaufen konnte. Die Reichtümer aus dem Boden zogen Mörder und Diebe und alle möglichen Halunken an. Einwanderer kamen in Scharen und brachten Müll aus jeder Ecke des Landes mit sich. Die Minengesellschaften zahlten ihren Männern drei Dollar am Tag, bei Arbeitstagen von zehn bis zwölf Stunden und sechs, wenn nicht sieben Tagen die Woche. Arbeiter zum Hauen, Bohren und Schaufeln. Sie trieben Stollen voran, höhlten die Erde aus und brachten das Erz nach oben. Rund um die Uhr erfüllte ein geschäftiges Summen die Minen, und die baumbewachsenen Berghänge wurden abgeholzt für Schlafbaracken, Hütten und Verwaltungsgebäude. Der Abstich der Schmelze vernichtete die Pflanzen und vergiftete die Bäche, Flüsse und Seen. Die Fische starben und die Überlebenden waren voller giftiger Substanzen. Die Stadt selbst war eine schmutzige und stinkende Kloake. Der Minengesellschaft – oder in diesem Fall drei Gesellschaften – gehörte so gut wie alles und jeder. Ihre Geschäfte verkauften alles von Brot über Bibeln bis Bettlaken, und die Minenarbeiter mussten in der firmeneigenen Währung bezahlen und waren ganz und gar abhängig. Die Gesellschaften betrieben Arztpraxen, Immobiliengeschäfte und Reitställe. Und wenn alles andere scheiterte, boten sie einen firmeneigenen Sarg sechs Fuß unter dem fruchtbaren Boden, der der Gesellschaft gehörte.

      Zu Hunderten kamen die Männer, um ihre Seele dem ruchlosen Gott der Minengesellschaften zu verkaufen. Viele Männer kamen in den Schächten um – durch Einstürze, Gas, Explosionen, gefährliche Ausrüstung – aber das machte den Gesellschaften überhaupt nichts aus, denn da standen schon zehn andere Männer in der Schlange, bereit, den Firmeneid abzulegen … sobald sie deine Leiche aus dem Weg geschoben hatten.

      Yeah, das war Whisper Lake.

      Ein riesiger, menschlicher Bienenstock, in dem Fleisch und Blut so billig wie Wüstensand waren und die reichen Eigentümer und ihr schneeweißes Direktorium oben in ihren Spitzenämtern saßen, gebügelt und gestärkt und makellos. Die sich nie Gedanken darüber machten, wie viel Blut an ihren Händen klebte, denn das ließ sich immer abwaschen, und wenn es nur genug Geldscheine gab, sah man vor lauter Grün die Ozeane voller Rot nicht.

      Whisper Lake. Eine menschliche Kloake, in der Menschlichkeit eine Ware war wie Häute oder Huren.

      Wenn man zu dieser berauschenden Mischung die Morde, die Mormonen und die Bürgerwehr hinzunahm und es zu viele Hitzköpfe und zu wenige mit kühlem Kopf gab, hatte man ein echtes Problem.

      Und so und nicht anders, das wusste Cabe, war Whisper Lake, nackt und bloßgelegt. Zog man der Stadt die Haut ab, bekam man rohe Muskelstränge, gelbes Fett und schmieriges, ranziges Blut, das nach ätzender Fäulnis stank.

      Das perfekte Jagdrevier für den Sin City Strangler.

      Cabe sah aus seinem Fenster auf die schlammigen Straßen hinunter und wartete. Vielleicht auf den Strangler. Vielleicht auf etwas anderes. Denn was auch immer es war, es war auf dem Weg. Und es würde schlimm werden.

      2-9

      Die Prostituierte hieß Katherine Modine, aber die Einwohner von Whisper Lake kannten sie nur als Mizzy Modine, »dreckige Mizzy« oder »altes Lustfleisch«. Hinter ihrem Rücken nannte man sie »die Krabbenkönigin von Beaver County«, und mehr als ein sich kratzender Minenarbeiter konnte das bezeugen. Aber von Angesicht zu Angesicht nannten sie alle nur Mizzy. Und das vor allem deshalb, weil sie leicht reizbar war und eine Smith & Wesson Pocket Kaliber 38 bei sich trug und nicht davor zurückschreckte, sie zu benutzen. Einen Mann hatte sie getötet, drei andere angeschossen.

      Mizzy war selbstständig und arbeitete in ihrem kleinen Puff oben in Piney Hill, im brütenden, grauen Schatten der Arcadia-Mine … oder jedenfalls einer von ihnen. Ihr Puff war eine bessere Bretterbude, die nach billigem Whiskey und noch billigerem Parfüm, Körpergerüchen und Zwanzig-Dollar-Sex stank. Wenn der Wind wehte, dann knarrte und schwankte die Hütte, und recht häufig knarrte und schwankte sie auch, wenn kein Wind wehte. Während die Leute sagten, dass die alte dreckige Mizzy dem horizontalen Gewerbe nachging, betrachtete Mizzy sich selbst nicht als Hure. Seit sie fünfzehn war, hatte sie das verkauft, was Gott ihr gegeben hatte, in dutzenden Minencamps, Kuhstädten und Militärdepots von West Texas bis zum Wyoming-Territorium, und sie hatte wenige Ansiedlungen dazwischen verpasst.

      Mizzy betrachtete sich selbst als Unternehmerin.

      Und vielleicht war sie das. In Whisper Lake bediente sie die stetig hereinströmenden Kunden, die sich nicht groß darum scherten, wo sie ihr Teil hinsteckten … sie waren nur dankbar, dass es so einen Platz gab. Für diejenigen, die mehr Respekt für das aufbrachten, was zwischen ihren Beinen baumelte, gab es immer noch die bemalten Damen in den Casinos oder hochpreisigen Bordellen, in denen zehn Minuten importiertes Entzücken aus Frankreich oder Portugal vierhundert Dollar oder mehr kosteten.

      Mizzy war eine Nachtarbeiterin, der Chancengleichheit wichtig war und die bereitwillig für jeden ihre Beine breitmachte, der den Preis bezahlen konnte, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft. Und bei zwanzig Dollar für eine Runde hatte sie ein wirkliches Schnäppchen im Angebot. Ganz besonders in einer teuren Minenstadt. Und wenn man keine zwanzig Dollar hatte, war Mizzy immer bereit, das zu nehmen, was man besaß. Ob Pferde oder Rinder, Büffelfelle oder Winchester-Gewehre, indianische Zeremoniendolche oder Stiefel aus Echsenleder. Denn wenn sie nicht ihrem ersten Gewerbe nachging, verkaufte sie Waren in ihrem kleinen Laden, und sie hatte immer ein Auge auf den Lagerbestand.

      In manchen Nächten war viel zu tun, in manchen Nächten wenig.

      Und heute Nacht war einfach gar nichts los. Als es also an der Tür klopfte, grinste Mizzy, und die Kasse in ihrem Kopf klingelte. Rasch entzündete sie die großen roten Standkerzen, drehte die Öllampe herunter und bereitete sich darauf vor, einen Liebhaber zu empfangen.

      Er kam aus der windigen Nacht herein, sein Gesicht so fahl wie verschüttete Milch, gegen die sich der scharfe, schwarze Schnurrbart deutlich absetzte. Seine Augen waren so dunkel wie Kohlensplitter. Er war groß und dünn, gekleidet in einen knöchellangen Mantel mit passender Melone auf dem Kopf.

      »Nur herein, Verehrtester«, sagte Mizzy zu ihm, »machen Sie es sich nur gemütlich. Mein Name ist Mizzy. Möchten Sie etwas trinken, Mister …«

      »Nein danke, Madam. Deswegen bin ich nicht hier.«

      Musik in Mizzys Ohren. Sie setzte sich auf das Bett, eine massive, fleischige Frau mit Brüsten so groß wie kleine Kopfkissen und einem Gesicht, das farbiger angemalt war als Buntglas. Ihr Besucher ließ ein Zwanzig-Dollar-Goldstück in Mizzys gläserne Kompottschale fallen und legte Hut und Mantel auf der Kommode ab. Mizzy liebte das klingende Geräusch, das die