SKIN MEDICINE - Die letzte Grenze. Tim Curran. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tim Curran
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350298
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Hillbilly stierte ihn geradezu an, aber das galt ebenso für Cabe.

      Cabe war sprachlos. Etwas Heißes und Flüssiges war in ihm übergelaufen, machte ihn zittern, machte ihn wütend, sorgte dafür, dass er innerlich kochte. Aber er sagte nichts, noch nicht.

      »Orv«, sagte der Sheriff mit leiser Stimme. »Gib mir deine Waffe. Wenn du das nicht tust, und ich schwöre zu Gott, dann erschieße ich dich an Ort und Stelle.«

      Der Sheriff hatte noch nicht einmal seinen Mantel geöffnet, um seine Schießeisen zu zeigen … wenn er überhaupt welche trug. Aber diese Augen … Cabe erinnerte sich an diese Augen … sie waren erbarmungslos. Und wenn sie dich an- und in dich hineinblickten, dann schmolz dein Inneres wie Butter auf einer heißen Ofenklappe.

      Der Hillbilly schaute beinahe verzweifelt zu Cabe. Sein Kopf schwankte leicht von einer Seite zur anderen.

      Der Sheriff kam herüber. »Die Waffe«, sagte er. »Jetzt sofort.«

      Der alte Orv sah aus wie kurz vor dem Hosenschiss, außer dass der Gestank eher darauf hindeutete, dass er das bereits getan hatte. Seine Finger klammerten sich fester an den großen, Leben fressenden 1851er Colt. Seine Knöchel waren weiß wie Perlenknöpfe. Er blickte von Cabe zu Carny, warf einen Seitenblick auf die Minenarbeiter. Merkwürdig hilflos sah er aus.

      Der Sheriff knöpfte seinen Mantel auf und achtete höllisch darauf, dass der Hillbilly sah, wie ruhig und gelassen er das tat. Und er gab acht, dass er einen guten Blick auf den Griff des kurzläufigen 45er Peacemaker bekam, der in seinem Holster wartete.

      Er streckte seine linke Hand aus. »Die Waffe«, sagte er, und die Wörter waren scharf genug, um Stahl zu schneiden.

      Der alte Orv war dabei, seinen Revolver auszuhändigen … bis vielleicht die Spannung des Moments, vielleicht aber auch nur blanker Größenwahn ihn überkam, denn er brachte die Waffe zurück nach oben, seine Augen verhärtet und wild. Aber der Sheriff war zu schnell, zu sicher. Mit der Rechten griff er nach dem Handgelenk des Hillbillys, gab diesem eine hässliche Drehung, und der große Revolver fiel in seine linke Hand. Er nahm ihn beim Lauf und, ohne länger nachzudenken, als beim Töten einer Fliege, prügelte er dem alten Orv fünf-, sechsmal den Griff quer durch das Gesicht, bis er zu Boden ging. Orv umklammerte sein blutendes Gesicht mit seinen schmutzigen Fingern, stöhnend und sabbernd.

      Ein kräftiger Kerl, der einen Blechstern an seinem Regenmantel trug, trat durch die Tür und blickte zuerst zum Hinterwäldler, dann zum Sheriff.

      »Sperr diesen Mistkerl weg«, sagte der Sheriff. Dann wandte er sich Cabe zu. »Sir, wenn Sie die Pistole bitte zurück ins Holster stecken würden.«

      Cabe merkte, wie er der Bitte nachkam, ohne auch nur einmal nachzudenken. Diese Stimme, diese Augen … auf gewisse Weise waren sie beinahe hypnotisch. Aber dann kam er wieder zu sich, als der Deputy den Hillbilly nicht allzu sanft durch die Tür nach draußen beförderte. In seinem Gesicht leuchtete dieses freche, schiefe Grinsen auf. »Well, well, well, Jackson Dirker«, sagte er. »So wahr ich hier stehe.«

      Der Sheriff hob eine Augenbraue, aber zeigte keine Anzeichen des Wiedererkennens. »Kennen wir uns, Sir?«

      Cabe lächelte, und dieses Lächeln brannte vor Hass. »Das will ich meinen.« Er berührte die alten Narben, die sich über den Nasenrücken von einer Wange zur anderen zogen. »Diese Narben …«

      »Was ist damit?«

      »Die habe ich dir zu verdanken«, sagte Cabe.

      2-2

      Das Büro des Sheriffs von Beaver County. Es war ein schmutziger, einstöckiger Backsteinbau, der zwischen dem County-Gerichtsgebäude und einem Maklerbüro eingeklemmt war und geradewegs auf den Marktplatz und die dahinter liegenden Lokale blickte, die aufgereiht wie Prostituierte einen leichten Zeitvertreib feilboten.

      Cabe stand draußen im stürmischen, nassen Wind, seine Stiefel verkrustet mit Schlamm wie mit feuchtem Zement.

      Er war nicht sicher, was er in diesem Moment empfand, aber es war nichts Gutes. Ein Teil von ihm wollte die Tür eintreten und diesen arroganten Hurensohn von einem County-Sheriff einfach abknallen. Aber das ging nicht, das war ihm klar. So war es nicht im wirklichen Leben. Jahrelang hatte er an Jackson Dirker gedacht, Rachefantasien in seinem Kopf durchgespielt für den Moment, in dem sie sich wieder begegnen würden – falls überhaupt –, und nun fiel das alles in sich zusammen. Diese Fantasien waren tot wie die abgeworfene Haut einer Schlange.

      Cabe trat durch die Tür und sah den großen Deputy gerade an einer Blechtasse mit Kaffee nippen. Er war ein gewaltiger Mann, schwergewichtig in der Mitte, aber mit breiten Schultern und kraftvoll aussehend. Er trug keine Waffe. Auch im Saloon hatte er keine getragen. Cabe dachte sich, dass er dem guten alten Tom »Bear River« Smith vor Jahren unten in Abilene ähnelte, der Recht und Ordnung mit bloßen Fäusten durchgesetzt hatte.

      »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er. »Ich bin Henry Wilcox, Deputy-Sheriff.«

      »Tyler Cabe. Ich habe etwas mit Sheriff Dirker zu besprechen. Ist er da?«

      »Im Zimmer da hinten«, sagte Wilcox. »Ich hole ihn.«

      Cabe fand einen Stuhl mit streng gerader Rückenlehne und zog ihn an einen Tisch heran, von dem er annahm, dass es Dirkers Schreibtisch war – ein großes, wie eine Antiquität aussehendes Teil, auf dem Papiere und Ähnliches wohlgeordnet waren. Yeah, das sah nach Dirker aus. Dienstbeflissen, ernst, militärisch.

      Ganz der verdammte Dirker.

      Cabe war in den Büros von Gesetzeshütern an Dutzenden über Dutzenden Orten gewesen, wenn nicht Hunderten. Manche waren nicht mehr als baufällige Baracken mit in Betonblöcken verankerten Fußfesseln gewesen, um Gefangene zu festzuhalten. Über Fässer gelegte Holzbohlen als Schreibtische. Aber nicht hier. Nicht in einer der minenreichen Gegenden. Der Job eines County-Sheriffs war sicher sehr einträglich.

      Von Jackson Dirker war nicht weniger zu erwarten gewesen.

      Cabe wartete, steckte sich eine Zigarette an und studierte die gesuchten Gauner an der Wand, Stadtverordnungen, ein Wandregal mit Repetiergewehren.

      Die Tür nach hinten – wo Cabe die Zellen vermutete – öffnete sich, Dirker trat heraus, und Cabe hatte ein Gefühl, als würden Schmetterlinge in seinem Bauch abheben. Dirker trug einen gestreiften Anzug mit einer goldenen Uhrenkette und einer schwarzen Western-Schleife. Die Art Klamotten, die ein Banker tragen würde. Aber Dirker verfügte über ein beeindruckendes Auftreten, und er hätte selbst in Korsett und Kleid wie der Boss gewirkt.

      Er setzte sich Cabe gegenüber. »Du hast hier was zu erledigen, Cabe?«

      Cabe fühlte, wie seine Stimme in seiner Kehle feststeckte, verhakt wie Baumwollstoff auf einem Nagelkopf. Für einen Moment fragte er sich, ob er hier den richtigen Mann vor sich hatte … aber nein, es gab nur einen Jackson Dirker. Cabe war sich von dem Moment an sicher gewesen, in dem Dirker die Oase betreten hatte. Das Gesicht war älter geworden, von der Lebenserfahrung mit einem Muster makelloser Linien überzogen. An den Schläfen fand sich ein Anflug von Grau. Aber diese Augen, die konnte man unmöglich vergessen. Zwanzig Jahre hatten ihren Grimm nicht gemildert. Sie vermochten noch immer Löcher in Ziegelsteine zu brennen.

      »Du erinnerst dich an mich, Dirker?«

      Der Sheriff nickte. »Das tue ich.«

      »Das sah vorhin im Saloon anders aus …«

      »Ich habe einen Moment gebraucht.«

      »Haben die Narben deine Erinnerung aufgefrischt?«

      Dirker zog eine Augenbraue hoch. »Narben sind kaum etwas Überraschendes in diesem Land, Cabe. Also was willst du? Was machst du hier?«

      »Ich bin hier, um das Meer zu sehen, um die Gischt zu spüren.«

      »Der Ozean ist Hunderte Meilen weit weg.«

      Cabe schlug seinen Hut gegen das Knie. »Verdammt, muss einen falschen Abzweig erwischt haben.«