ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Graham
Издательство: Bookwire
Серия: Black Shuck
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351257
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Herren, willkommen«, begann er. »Ursprünglich sah Kanzler Falwell vor, Ihnen kurz etwas über das Gebäude, in dem wir uns befinden, sowie seine Funktion hier für die Liberty-Universität und im Ausland zu erzählen, allerdings habe ich soeben erfahren, dass seine Mutter gestürzt und ins Krankenhaus eingeliefert worden ist, also kann er heute Abend nicht bei uns sein. Lassen Sie uns dafür beten, dass Mrs. Falwell nicht ernstlich verletzt ist, während ich Sie zwischendurch auf dem Laufenden halten werde. Nun denn, Sie werden mir nachsehen müssen, dass meine Ausführungen improvisiert wirken, doch ich will versuchen, Sie rasch über das Gebäude zu informieren, und dann unseren Festredner begrüßen.«

      Das Publikum klatschte brav Beifall, während Coulson an einem Becher Wasser nippte, den er unter dem Pult vorgenommen hatte.

      »Also, wie Sie alle wissen«, fuhr er fort, »befinden Sie sich im C.H. Barton Center für Internationale Beziehungen und Politik. Es wurde nach Dr. Charles Henry Barton benannt, der bis zu seinem Tod vor zwei Jahren geschätzter Professor der Bachelorstudenten im Fach Internationale Beziehungen hier an der Liberty war. Ferner war er ein guter Freund von Jerry Falwell Sr. und einer der wichtigsten Ratgeber im Zusammenhang mit der Universitätsgründung 1972. Abgesehen von seiner Professur hier vertrat er unser Land während der Amtszeiten von Ronald Reagan und George H.W. Bush auch als Botschafter in Frankreich und Deutschland.«

      Coulson trank einen weiteren Schluck Wasser und tupfte sich nervös die Stirn.

      »Gedulden Sie sich noch ein klein wenig, ich werde Ihnen kurz erklären, was es mit dem Gebäude und seinem akademischen Zweck auf sich hat. Es wurde offensichtlich als Replik von Thomas Jeffersons Monticello konzipiert, welches nur wenige Meilen von hier entfernt steht. Da er einer von Amerikas Landesvätern war, zu unseren ersten auswärtigen Diplomaten zählte und in Bezug zu dieser Region steht, fanden Kanzler Falwell und das Direktorium den Entwurf angemessen.« Coulson lachte zaghaft, ehe er fortfuhr: »Und wenn Sie versprechen, nicht weiterzusagen, dass Sie es von mir wissen: Ich schätze, die Idee rührte auch daher, dass wir hier an der Liberty im Geiste unseres Gründers einfach nicht anders können, als bei solchen Projekten zu klotzen, statt zu kleckern.«

      Daraufhin lachten auch seine Zuhörer vergnügt, wobei Declan kurz zu seiner Frau schaute. Sie schien sich zu amüsieren. Für ihn bedeutete gute Unterhaltung zwar wahrlich nicht, in einem Saal voller Menschen zu sitzen, mit denen ihn wenig bis gar nichts einte, und dabei einen Anzug zu tragen, doch weil er versuchen wollte, Constance über seine Vergangenheit aufzuklären, gab Abidan Kafni einen guten Ausgangspunkt, und diese Gala bot den perfekten Rahmen für ein Treffen.

      Nachdem das Gelächter verklungen war und die Gäste aufgehört hatten, untereinander zu plappern, griff Coulson seinen Faden wieder auf: »Der Saal, in welchem Sie gerade sitzen, wird als kleine Bibliothek mit Quellenmaterial über Nationen weltweit genutzt werden, darunter Karten, Fotografien, Beispiele ihrer Landessprachen in Ton und Schrift, Einzelheiten zu etwaigen Konflikten, in die sie verstrickt waren, und viele andere für Examensstudenten nützliche Dinge. Im ersten Stock sind zehn moderne Kursräume untergebracht, wo ebendiese Studenten unterrichtet werden, und das Obergeschoss ist den Büros für die Lehrkräfte des Programms – Dr. Kafni und meine Wenigkeit – vorbehalten. Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen angekommen. Ich möchte Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre freundliche Unterstützung danken.«

      Erneut klatschten die Anwesenden kurz, wobei Coulson sie sichtlich erleichtert anstrahlte. Nachdem er sich wieder geräuspert hatte, kam er zum nächsten Punkt.

      »Unser Festredner heute Abend ist ein Mann, den man nicht weiter vorzustellen braucht. Seit seinem Umzug aus Israel in die USA Mitte der 1990er lässt er sich nicht von der internationalen Politbühne wegdenken. Seine Bücher Aufziehender Sturm: Der Krieg, den wir alle austragen müssen und Gegen das Vergessen standen weltweit auf Platz Eins der Bestsellerlisten. Er gastiert regelmäßig als Kommentator in Nachrichtensendungen von Moderatoren wie Bret Baier, Piers Morgen oder Sean Hannity. Ich bitte Sie nun um einen warmen Empfang und kräftigen Applaus für meinen Kollegen, Dr. Abidan Kafni!«

      Die Gäste boten stehende Ovationen, als Kafni hinter dem blauen Seidenvorhang rechts neben der Bühne vortrat. Er hielt kurz inne, um sein Publikum ins Auge zu fassen, und winkte. Dann eilte er mit großen Schritten zum Pult, wo er mehrere Seiten Papier aus seiner Jacketttasche zog und vor sich auffaltete.

      »Hi, guten Abend«, grüßte er noch einmal winkend und mit einem zurückhaltenden Lächeln. »Ich finde es großartig, heute Abend hier bei Ihnen sein zu dürfen.«

      Die Gäste klatschten weiter, während Coulson kräftig Kafnis Hand schüttelte und die Bühne danach verließ. Nun blieb der Redner einen Moment lang mit leuchtenden Augen stehen, bis der Beifall abebbte und man wieder Platz nahm.

      »Guten Abend«, wiederholte er schließlich. »Sie haben es vermutlich schon geahnt: Ich bin Dr. Abidan Kafni.«

      Damit erntete er Gelächter.

      »Es ist wunderbar, heute Abend hier in der Liberty-Universität zu stehen. Ich bin ungeheuer gespannt darauf, in dieser Fakultät zu arbeiten und die Chance zu erhalten, gemeinsam mit anderen Kollegen prägend auf die politischen Köpfe von morgen einzuwirken. Absolventen der Liberty zogen in die Welt, um auf ihren jeweiligen Gebieten zu Koryphäen zu werden, beispielsweise als Filmemacher, Comicautoren, Kabarettisten, Schriftsteller, Musiker von Weltruhm oder natürlich Journalisten und Fernsehmoderatoren, auf die ich ja abonniert bin.«

      Das Publikum lachte wieder kurz.

      »Amerika steht an einem einschneidenden Punkt in seiner Geschichte: Wir müssen entscheiden, ob wir an den Idealen der Gründerjahre festhalten. Die Prinzipien eingeschränkter Regierungsgewalt, freier Marktkapita–«

      Plötzlich knallte es draußen markerschütternd laut, woraufhin das ganze Gebäude erzitterte. Nur einen Sekundenbruchteil lang erstarrten alle, dann rollte eine Hitzewelle durch den Saal, gefolgt von einer Trümmerlawine. Die Gäste fingen an zu schreien. Declan sprang von seinem Platz auf, als Bruchstücke einer brennenden Trockenmauer gegen seinen Rücken prasselten. Während er Constance mitzog, hechtete er unter den Tisch. Die Bühnenbeleuchtung fiel aus und der Raum hüllte sich in Finsternis. Declan drückte seine Frau fest an sich, um sie mit seinem eigenen Körper zu schützen, als der Tisch inmitten des Chaos umgeworfen wurde und Personen über sie stürzten.

      So schnell, wie der Aufruhr begonnen hatte, kehrte auch wieder Stille im Saal ein. Da seine Ohren infolge der Explosion klingelten, nahm Declan das Geflüster und Stöhnen der Verletzten nur vage wahr. Einige begannen, nach ihrer Begleitung zu rufen, um herauszufinden, ob sie unversehrt waren. Während sich Declans Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten – ein gespenstischer Rotton, erzeugt von einer Feuerwand, dort, wo der Haupteingang gewesen war –, wurde der Gästeschar allmählich bewusst, was sich ereignet hatte, und ein entsetztes Geschrei begann.

      Er brüllte in Constances Ohr dagegen an: »Bist du okay?«

      Sie erhob sich langsam – verstört – und nickte. Ungläubig blickte sie über die Verwüstung. Declan zog sie wieder an sich und ersparte ihr den Anblick entstellter Leichen, die durch die Druckwelle von ihren Stühlen gerissen und in den hinteren Teil des Saals geschleudert worden waren.

      Rasch untersuchte er Constance, entdeckte aber nichts, was auf Verletzungen hindeutete. »Wir müssen hier raus«, sagte er dann, indem er sie an den Schultern packte, umdrehte und Richtung Bühne drängen wollte. Als er sich in Bewegung setzte, umschloss jemand eines seiner Fußgelenke.

      »Helfen Sie mir«, ächzte eine Stimme. »Helfen Sie mir.«

      Er schaute auf den Boden hinter sich und erblickte zu seinen Füßen Mark Alley mit einem tiefen Schnitt über dem rechten Auge, der stark blutete und ihn halb blind machte. Declan bückte sich und zog ihn hoch. Drei weitere Überlebende gesellten sich zu ihnen, eindeutig bestürzt und verwirrt; es waren Michael Coulson und die beiden Ehefrauen. Coulson hielt sich den linken Arm und verzog sein Gesicht vor Schmerz. Die beiden anderen schienen unverletzt zu sein.

      »Wir müssen von hier verschwinden, führen Sie Ihren Mann«, sagte Declan zu Sherry Alley, die sofort gehorchte und einen von Marks Armen nahm. Declan packte Constance erneut an den Schultern