ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Graham
Издательство: Bookwire
Серия: Black Shuck
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351257
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sein persönlicher Assistent, Laufbursche und dieser Tage auch alles andere«, ergänzte Levitt heiter. »Manchmal ist mir, als sei ich zu alt für diese Tätigkeit.«

      »Ich wette, Ihr Reisepensum ist anstrengend«, sagte Constance.

      »Oy, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich kenne meine E-Mail-Adresse, vergesse aber beinahe schon, wie meine Postadresse lautet. Nun denn, wenn Sie beide mir bitte folgen würden; ich führe Sie durch den Saal zu Dr. Kafni. Er ist hoch erfreut, dass Sie beschlossen haben, an der Veranstaltung teilzunehmen.«

      Levitt wandte sich um und ging an den Wachen vorbei durch die Flügeltür. Er mochte nicht der Größte sein, glich dies aber mit einem breiten Oberkörper aus. Declan wusste, irgendwo in dem akademisch gebildeten Männlein in Tweed mit struppigem, grauen Bart und dickem Brillengestell steckte wie in seinem Arbeitgeber Dr. Kafni ein ehemaliger Agent des Mossad.

      Schließlich nahm er seine Frau bei der Hand und ging langsam in den gefüllten Saal.

      Man hatte jegliche Einrichtungsgegenstände aus dem Erdgeschoss des Barton Centers entfernt, mit welchen es ausgestattet sein würde, wenn es nach der Einführung der neuen Studiengänge an der Universität in Gebrauch kam. An den acht umgebenden Wänden hingen hinter einem Absperrband aus blauem Samt, das zwischen bronzefarbenen Stempeln gespannt war, Gemälde mit Szenen aus Thomas Jeffersons Amtszeit als Diplomat in Frankreich und als Staatssekretär. Auf dem Fußboden aus dunklem Mahagoni standen im gleichen Abstand zueinander 25 runde Esstische, jeder mit dunkelblauer Decke und einem so großen Umfang, dass zwölf Gäste daran Platz fanden.

      Das Gemurmel im Saal war ohrenbetäubend. Wie ein Crescendo sich paarender Heuschrecken buhlten vier- oder fünfköpfige Trauben von Politikern, ihren Beratern, Journalisten und solchen, die zu den Herrschenden emporsteigen wollten, lautstark um Aufmerksamkeit. Declan erkannte auf der Stelle mehrere Gäste aus diversen Nachrichten- und Postwurfsendungen wieder, die seinen Briefkasten während der letzten Wahlen verstopft hatten. Quälend langsam wie Schnecken, die obendrein durch Sirup krochen, gingen sie an den Tischen vorbei zu einer Bühne, die mit den Nationalflaggen verschiedener Staaten geschmückt war. Mitten darauf stand ein ansehnliches Rednerpult mit dem Universitätswappen.

      »Osman und Nazari machen einen Rundgang durchs Gebäude. Sie stoßen später zu uns«, bemerkte Levitt mit Bezug auf zwei andere Leibwächter, mit denen Declan während seiner Zeit in Kafnis Dienst eng zusammengearbeitet hatte.

      »Großartig«, sagte er, während sie der Bühne näherkamen.

      »Diese Tafel ist für Sie reserviert.« Levitt zeigte auf einem Tisch mit einem Faltkärtchen, auf dem eine Sechs stand.

      »Gleich vorne, das lasse ich mir gefallen.«

      »Dr. Kafni wollte, dass Sie die besten Plätze im Saal bekommen«, erklärte der Israeli. »Sie werden Dr. Coulson Gesellschaft leisten, dem Dekan des Barton Centers, und Kanzler Falwell, wenn er denn eintrifft. Zuerst aber will ich Sie zu Dr. Kafni bringen.«

      Declan und Constance folgten ihm an der letzten Tischreihe vorbei neben die Bühne, wo man links und rechts mit einem blauen Seidenschleier einen Backstagebereich abgetrennt hatte. Levitt zog den Stoff zurück und hielt ihn fest, um das Paar durchgehen zu lassen.

      In der Mitte des Raumes standen zwei Männer, beide in Anzügen. Declan erkannte sofort Abidan Kafni – Abe, wie er ihn als Freund ehrenhalber nennen durfte –, hatte aber keine Ahnung, wer der andere war.

      Kafnis Äußeres geziemte dem gebildeten Experten: Schwarz-grauer Nadelstreifenanzug, in dem seine langen Gliedmaßen verloren aussahen, ein Gesicht mit breiter Stirn, das wie straff über den Schädel gespannt anmutete, und große Ohren auf geringfügig niedrigerer Höhe als üblich. Er strahlte ausgelassen, als er Levitt zurückkehren sah, dicht gefolgt von Declan.

      »Ich fand ihn, als er gerade das Wachpersonal belästigte«, kündigte Levitt verschmitzt an, als er auf halbem Weg zwischen dem Vorhang und den zwei Männern stehen blieb.

      »Mein Freund, ich freue mich, dass du dir Zeit nehmen konntest«, sprach Kafni in fehlerfreiem Englisch, wenn auch mit Akzent. Er streckte seine Rechte aus, als die McIvers an Levitt vorbeigingen.

      Declan drückte sie fest und sagte: »Nun, ich habe noch nie jemanden enttäuscht, wenn es sich vermeiden ließ.«

      »Nein, hast du nicht. Vielmehr, mein Freund, bist du von jeher sehr beständig gewesen, und das ist etwas Wertvolles.« Kafni wandte sich wieder an den Mann, mit dem er zusammenstand. »Das ist Dr. Michael Coulson. Er leitet die neuen Studienprogramme hier an der Liberty als Dekan und wird eng mit mir zusammenarbeiten, um die Jugend dieser Nation mit Herz und Kopf für uns einzunehmen. Michael, das sind Declan McIver, ein guter Freund, und seine Frau Constance.«

      »Hi, wie geht es Ihnen?«, grüßte Declan, während er Kafnis rechte Hand losließ und die des Dunkelhaarigen schütteln wollte. Mit seinem runzeligen Gesicht und der glockenförmigen Nase über einem bauschigen Schnurrbart, verkörperte Coulson den typischen Bilderbuch-Akademiker. Sein maßgeschneiderter Anzug knisterte, als er den Arm ausstreckte, als würde der Polyester die Bewegung aus Angst vor einer Falte scheuen.

      »Lassen Sie mich raten: Aus dem Osten von Belfast?«, mutmaßte Coulson, als sie sich die Hände gaben, und zeigte lächelnd die Zähne, was ihn ein wenig wie einen Politiker oder Gebrauchtwagenhändler wirken ließ.

      »Aus Galway, um genau zu sein; knapp daneben.«

      »Na dann … Was soll ich sagen? Ich bin nie gut darin gewesen, Akzente zuzuordnen, nicht einmal nach sieben Jahren an der Queens«, gestand Coulson mit Bezug auf eine Zeit, die er wohl an der Queens-Universität in Belfast verbracht hatte, sei es als Dozent oder Student. Declan interessierte sich nicht so sehr dafür, als dass er nachgehakt hätte.

      »Nein, Ihre Einschätzung war nicht schlecht. Mich überrascht, dass es Ihnen überhaupt aufgefallen ist. Ich lebe ja schon lange hier.« Declan wusste, dass der Mann vielmehr durch seinen Namen als aufgrund seiner Aussprache darauf gekommen war. Die Vorsilbe »Mc« stammte im Gegensatz zu den eher irisch anmutenden Namen, die mit »O« begannen, offensichtlich aus dem Britischen. In Ost-Belfast wohnte die Mehrheit der britisch-protestantischen Bevölkerung von Nordirlands größter Stadt, und zumindest darüber schien Coulson im Bilde zu sein.

      Da Kafni wusste, dass die Vergangenheit Ereignisse barg, die keiner von ihnen erschöpfend mit Coulson diskutieren wollte, klatschte er laut in die Hände und wechselte das Thema: »Also, das ist deine Frau? Sie ist hübscher, als du sie beschrieben hast, Declan. Du solltest dich schämen.«

      Constance errötete, als er ihre Hand leichthin in seine nahm. »Hi, Dr. Kafni, ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.«

      »Abe, bitte nennen Sie mich Abe. Auch ich bin begeistert, Sie endlich kennenlernen zu dürfen.«

      Constance lächelte und berichtigte sich: »Gut dann, Abe.«

      »Hat Ihnen Ihr Gatte je davon erzählt, wie er mir das Leben rettete?«

      »Nein, hat er nicht«, antwortete Constance, während sie Declan fragend von der Seite anschaute. »Ist bestimmt eine aufregende Geschichte.«

      »Oh ja, und ich kann es kaum erwarten, sie mit Ihnen zu teilen. Nach meiner Rede plaudern wir drei eingehend, darauf freue ich mich schon. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich einen Moment, bevor ich auf die Bühne gehe, allein mit Ihrem Mann sprechen würde?«

      »Keineswegs«, beteuerte Constance.

      »Ich begleite die Dame zu unserem Tisch«, sagte Coulson.

      Declan wartete, bis die beiden gegangen waren und der Vorhang hinter ihnen zufiel. »Hast du mir etwas so Schlimmes zu sagen?«, fragte er, als man sie nicht mehr hören konnte.

      Kafni winkte ab. »Nein. Ich war mir nur nicht sicher, inwieweit du sie aufgeklärt hast, und will sie nicht verängstigen. Mir ist sehr deutlich bewusst, wie schwer Familien Vorgänge wie jene verarbeiten, in die du und ich verwickelt waren.«

      Declan nickte. »Ja, du kannst wohl ein Lied davon singen. Wie geht es Zeva und den Kindern?«