»Dem Pommerle wollte ich sie schenken, aber nun esse ich sie selber.«
Am Abend umkreiste er mehrfach das Haus des Professors, immer wieder vor sich hinmurmelnd:
»Wozu bist du solch mächtiger Berggeist, Rübezahl, verekle ihnen doch die Ostsee. – Sie sollen hierbleiben. – Wenn ich doch nicht mit darf!«
Am nächsten Morgen war er schon zum ersten Zuge an der Bahn. Es kamen nur wenige Fahrgäste mit, und Jule schleuderte verärgert einen Stein gegen die Lokomotive, dann rannte er im Sturmschritt davon.
Der zweite Zug, der aus der entgegengesetzten Richtung kam, sah wieder den Jule auf dem Bahnhof. Und als Benders auch jetzt nicht kamen, lief er nach der Villa.
Anna war gerade damit beschäftigt, die Türschlösser zu putzen, denn alles sollte blitzblank sein. Höhnisch lachte Jule auf.
»Wozu machen Sie sich denn die Arbeit, die kommen ja doch nicht. Ich war schon am Bahnhof.«
»Aber, Jule, die Herrschaften kommen erst heute nachmittag gegen fünf Uhr.«
Endlich war es fünf geworden. Jule trat von einem Fuß auf den anderen. Um fünf Uhr sollten sie kommen, so hatte ihm die Anna gesagt, und nun kam überhaupt kein Zug. Aber jetzt sah er Anna langsam über den Platz vor dem Bahnhof kommen.
»Ich hab's ja gesagt, sie kommen überhaupt nicht,« schrie er ihr entgegen.
»Schwatz keinen Unsinn, Jule, in sieben Minuten sind sie da.«
Noch sieben Minuten! Diese kurze Zeitspanne schien dem Knaben eine Ewigkeit zu sein. Aber dann kam dampfend der Zug herein, Jule stürzte durch die Sperre.
»Deine Karte!«
Jule hörte nicht. Seine Augen hingen an der fauchenden Lokomotive. Ein Bahnbeamter trat an den Knaben heran.
»Du bist ohne Karte durchgelaufen.«
»Sie kommen – sie kommen!«
»Kommst du zurück!«
Da Jule ziemlich rauh angefaßt wurde, begann er sich energisch zu wehren. Aber der Knabe hatte jetzt an einem der Fenster sein liebes Pommerle erblickt, da war er nicht zu halten. Währenddessen verhandelte Anna, und man ließ Jule laufen.
»Pommerle, – Pommerle!«
Obwohl der Zug noch nicht hielt, war Jule schon auf das Trittbrett gesprungen.
»Jule!« jauchzte die Kleine.
Der Knabe riß die Tür auf, versperrte den Ausgang und sagte jubelnd: »Na, endlich bist du wieder da, ich warte schon seit Monaten auf dich. Nun fährst du doch nicht wieder weg? – Pommerle, die Katze hat Junge gekriegt, und ein weißes Karnickel habe ich jetzt auch.«
»Ach, Jule, – ich bin auf einer Bergbahn gefahren, immer 'rauf und 'runter, und dann habe ich mich in einem Spiegel gesehen – –«
»Nun, Jule, du siehst uns wohl gar nicht?« sagte Professor Bender.
»Jawohl, – und einen zweiten Karnickel soll ich auch noch bekommen. Meiner hat rote Augen.«
»Willst du uns nicht wenigstens aussteigen lasten, Jule?«
Da trat er vom Trittbrett herunter, faßte aber sogleich nach Pommerles Hand. Er schien zu fürchten, daß sie ihm wieder entschwinden könnte.
»Und jetzt mache ich ihm einen Stall mit einer Drahttür. Kommst du gleich mit, ich zeig' dir alles?«
Aber auch Pommerle hatte dem Gespielen sehr viel zu erzählen. Es drückte ihm fast das Herz ab, daß Jule noch nichts wußte von all den Wundern der Großstadt.
»Denk dir, Jule, ich habe Indianer gesehen – –«
»Mit ganz langen Ohren – – ganz weißen Ohren,– – fein, Pommerle.«
»Nein, sie hatten so kleine Ohren wie andere Menschen. Und die Türen in der Bahn gehen von alleine zu.«
»Ich will nur eine Tür machen, den Draht habe ich schon dafür. Und wenn der Karnickel 'raus will – –«
»Kommt jetzt, Kinder, wir können doch nicht bis zum Abend auf dem Bahnhof stehenbleiben.«
Wieder faßte Jule angstvoll nach Pommerles Hand und hielt sie krampfhaft fest.
»Nun, Jule,« sagte Frau Bender, »wie ist es dir denn in der Zeit ergangen?«
»Schlecht, – es hat sich keiner um mich gekümmert.«
»Du hast doch deine Mutter.«
»Nu ja, – aber die anderen, die fahren weg, – – und dann bleiben sie so lange. – Na ja!«
Das Gepäck wurde besorgt, Pommerle wies auf den Sandsack.
»Ich wollte dir so was Schönes mitbringen, Jule, so schöne Steine und so schönen Himbeersaft. – Nun ist alles weg.«
»Na irgendetwas wirst du doch für mich haben?«
»Nein, Jule.«
»Dann ist es ja gut, daß ich die Pfeife aufgegessen habe,« tröstete sich der Knabe.
Es war für Jule ganz selbstverständlich, daß er sogleich mit in die Villa des Professors ging. Benders hatten nichts dagegen, da sich die Kinder viel zu erzählen hatten. So einfach war das freilich nicht, denn jeder wollte seine Neuigkeiten zuerst loswerden. So schrien beide durcheinander, daß man nicht klug daraus wurde.
Als aber Pommerle jetzt von seinen Spielgefährtinnen, von Hella, Grete Bauer und Herbert Affmann berichtet, wurde Jule wütend.
»Das sind ja alles Gänse, – du sollst nicht mit denen spielen!«
»Der Herbert Affmann war zuerst unartig, er hat so viel gelogen – –«
»Mit so einem Jungen spielt man überhaupt nicht,« rief Jule, »du brauchst dich nicht belügen zu lassen, Pommerle. Du hättest mich schon mitnehmen sollen. Wir beide hätten viel schöner zusammen gespielt. Ich hätte dir hundert Schiffe gebaut – –«
»Das ist ja nicht wahr, Jule.«
»Wenn der Herbert oder die Grete 'mal herkommen, dann schmeiße ich sie 'raus.«
»Du, die Hella hat einen kleinen Wagen, mit dem kann man im Garten herumfahren, und ihr Vater hat ein Auto.«
»Ich kann dich auch 'rumfahren, ich hab' 'ne Karre. Wir wissen überhaupt viel besser zusammen zu spielen. Wir sind 'ne ganze Horde. Wir haben 'ne feine Wohnung, ganz im Stroh, in einem großen Strohschober.«
»Au fein!« Pommerle hatte schon im vorigen Herbst die hohen Strohmieten bewundert, die auf den Feldern zusammengestellt waren. In den Augen des Kindes waren das richtige Häuser, die man aus den ausgedroschenen Garben errichtet hatte, und manchesmal war Pommerle zu diesen Strohschobern hinausgelaufen, um sie anzustaunen. »Wo habt ihr denn die Wohnung?«
Jule berichtete erregt. Er und mehrere andere Mädchen und Knaben hatten sich solch eine große Miete ausgesucht, hatten Garben an der einen Seite herausgezogen und sich dadurch ein großes Loch geschaffen. Allmählich war dieses Loch erweitert worden, und jetzt bot es einen bequemen Aufenthalt für eine Schar von fünfzehn bis zwanzig Kindern.
»Wir spielen dort Räuber. Die Mädchen werden gestohlen, die machen sich jetzt in dem zweiten Strohschober ihre Wohnung. Wir umschleichen sie und nehmen sie gefangen.«
Pommerle war begeistert. Das würde ein feines Spiel werden.
»Kann ich da auch mitmachen?«
»Ja – aber die anderen Affen von deiner Ostsee dürfen nicht dabei sein. Wenn die kommen, lasse ich sie nicht mitspielen. Ich bin nämlich der Räuberhauptmann.«
»Und ich bin der Indianer! Ach, Jule, die Indianer waren so schön!«
»Gut,«