Pommerle war gar nicht scheu und verlegen. Es spielte sich wunderschön mit Hella, und da Frau Wangler eine sehr freundliche und kinderliebe Dame war, faßte die Kleine rasch Vertrauen und erzählte von dem hohen Doppelwagen, in dem man hierher gefahren sei, von den roten Lampen, die gelb wurden, und von all dem Neuen, was es heute gesehen hatte.
»Heute nachmittag wirst du noch mehr Neues sehen, mein kleines Mädchen. Wir fahren hinaus nach dem Lunapark.«
»Einen Park gibt es auch in Hirschberg.«
Hella klatschte vergnügt in die Hände. »Oh, der Lunapark, da ist es herrlich, da fahren wir auf der Gebirgsbahn, dann gibt es Spiegel, darin siehst du ganz klein und dick aus oder ganz dünn und groß. Ach, du wirst dich halbtot lachen. Dann gibt es einen Topf, der mächtig wackelt, darin fährt man spazieren. Dann gibt es ein Indianerdorf und einen lebenden Elefanten. Ach, fein!«
Pommerle konnte das alles noch nicht fassen. Als es aber hörte, daß man mit einem eigenen Auto fuhr, wurde es völlig erregt. Vielleicht konnte man nun bei dem roten Licht mal ein bißchen vorrutschen. Pommerle wollte zu gern hören, was der Mann auf dem kleinen Turme dann sagen würde.
Man nahm das Mittagessen ein, Herr Wangler war noch beschäftigt, aber heute wollte man ohne ihn speisen, um recht früh den Lunapark zu besuchen.
»Hat dein Vater denn so viele Bücher zu schreiben?« fragte Pommerle.
»Nein, mein Papa arbeitet auf dem Gericht.«
Vor Pommerles Augen stieg das Hirschberger Amtsgericht empor. Es wußte, daß dort täglich viele Herren ein und aus gingen, die schrieben, rechneten und dicke Akten zusammennähten. Wenn ein Mensch etwas Schlimmes getan hatte, so hatte Anna gesagt, wurden für ihn Papierbogen zusammengenäht, dort hinein wurde alles geschrieben, was er getan hatte, dann wurden sie lange verwahrt. Das nannte man Akten.
»Macht dein Vater auch für alle Leute Akten?«
»Wenn einer was Schlimmes tut, dann sagt er: du bist ein schlechter Mensch, du mußt ins Gefängnis, und dann sperrt er ihn ein.«
Pommerle, das eben im Begriff gewesen war, etwas Papier zu zerreißen, hielt in dieser Beschäftigung inne. Es schien ihm doch gefährlich, in diesem Hause unnütz zu sein.
»Der Jule würde nicht zu euch kommen, der macht manchmal einen tollen Streich. Aber einsperren läßt er sich auch nicht. – Wenn man mit dem Wagen ein bißchen weiterfährt, auch wenn das rote Licht brennt, sperrt uns dein Vater dann auch ein?«
»Ja,« meinte Hella, die über die Tätigkeit des Vaters wenig unterrichtet war.
Eingesperrt wollte Pommerle nun nicht werden, aber vielleicht konnte man einen anderen Kutscher bitten, daß er ein Stückchen weiterfuhr. Vielleicht fand sich heute nachmittag dazu eine Gelegenheit.
Nach dem Essen rüstete man sich zum Ausfahren. Das Auto des Oberstaatsanwalts fuhr vor, und als Frau Wangler mit den beiden Kindern aus dem Garten trat, legte der Chauffeur grüßend die Hand an die Mütze. Pommerle machte einen artigen Knicks. Dann bestieg man den Wagen.
Aufs neue begannen die Fragen. Frau Wangler konnte so schön erzählen, warum der Wagen ohne Pferde lief, warum der Chauffeur tuten mußte, wie die Straßen hießen, durch die man fuhr, was auf den Plätzen für Denkmäler standen. Oh, es war herrlich! Pommerle wippte dauernd auf dem weichen Polster und freute sich jedesmal, wenn es um eine scharfe Ecke ging und sie gegen Hella und Frau Wangler stieß.
Dann kamen wieder hohe Häuser, man fuhr eine breite Straße entlang, über eine große Brücke. Pommerle hatte hundert Fragen zu stellen. Da hielt der Wagen, und das Kind las: Lunapark.
Schon das bunte Eingangstor erregte hellstes Entzücken. Ein buntgekleideter Verkäufer, der einen Zigarrenkasten trug, kam ihnen entgegen. Pommerle staunte ihn an. Es wollte hinter ihm herlaufen, aber Frau Wangler zog die Kinder mit sich fort.
An dieser und jener Bude mit Sehenswürdigkeiten kam man vorüber. Pommerle wußte nicht, ob es wache oder träume.
»Bleib 'mal stehen, Tante,« sagte es heiser vor Erregung, »ich muß mich erst 'mal zwicken. – Der Onkel sagt immer, wenn man nicht weiß, ob man wach ist, soll man sich zwicken.«
»Du schläfst nicht, mein liebes Kind, das hier ist ein Vergnügungspark, darin ist alles aufgebaut, um die Leute zu belustigen.«
»Ich bin schon so lustig, Tante.«
»Dort, dort ist sie!« rief Hella und wies auf eine Gebirgslandschaft, die hoch über alles hinwegragte. Ein Geschrei ertönte, man sah mehrere kleine Wagen, die aus der Tiefe hervorkamen, an der Bergwand hinauffuhren, wieder abwärts schossen und in einem Tunnel verschwanden.
Pommerle war stehengeblieben, es war wie zu Stein erstarrt. So etwas hatte es in seinem Leben noch nicht gesehen. Und als jetzt an einer ganz anderen Stelle die kleinen Wagen wieder an einer Felsenwand sichtbar wurden, klammerte sich Pommerle fest an den Mantel der Tante Wangler.
»Was ist das?« Hanna war ganz blaß vor Erregung.
»Die Gebirgsbahn, mein Kind. – Möchtest du auch einmal fahren?«
Pommerle wagte nicht zu antworten. Erst wollte es sich dieses rätselhafte Ungeheuer ein wenig besehen. Aber die Leute, die in den Hexenwagen saßen, lachten gar so vergnügt. Das mußte also ein großer Spaß sein.
Nun stand man am Eingange der Gebirgsbahn; Pommerle sah die ankommenden und abfahrenden Wagen, sah auch das schwarze Loch, in dem die Wagen verschwanden; dabei wurde ihm ein wenig bänglich zumute.
»Aber in Hirschberg gibt es keine solche Bahn.«
»Wir wollen mitfahren,« drängelte Hella.
»Willst du, Pommerle?« fragte Frau Wangler.
»Noch etwas warten.«
»Komm, so wollen wir uns zuerst etwas anderes ansehen.« Frau Wangler ging mit den beiden Kindern weiter. Jetzt schwenkte sie links ab, ging mehrere Stufen hoch, da tönte aus Pommerles Munde ein langgezogener Aufschrei.
»Tante, ich bin verhext!«
Frau Wangler lachte. Der Rundspiegel gab Pommerles Bild zurück, aber die Kleine war durch den eigenartigen Schliff riesengroß und dünn, hatte ein verzerrtes Gesicht, lange dünne Arme und Beine.
»Tante – Tante – – ich bin verhext und mein Frosch auch!«
Frau Wangler trat neben die Erregte, da schrie Pommerle zum zweitenmal auf.
»Komm rasch fort, du bist auch verhext!«
»Du brauchst keine Sorge zu haben, Pommerle, schau 'mal Hella an.«
Im Spiegel nebenan war Hella zu sehen. Sie lachte, daß sie sich krümmte. Ein zweiter Spiegel machte Hella zu einer kleinen, dicken Kugel, die sich kaum bewegen konnte.
Es dauerte noch einige Augenblicke, ehe sich Pommerle gefaßt hatte. Als es aber bemerkte, daß alle Vorübergehenden ihre Gestalt veränderten, begann es ebenfalls herzlich zu lachen. Soeben kam ein hochaufgeschossener junger Mann des Weges.
»Tante, Tante,« rief Pommerle, »wie wird denn der aussehen?« Pommerle blickte dem Näherkommenden erwartungsvoll entgegen. Er schien an dem Spiegel vorübergehen zu wollen, da rief das erregte Kind: »Bitte, gucken Sie doch mal in den Spiegel, ach, bitte, bitte!«
Der Herr schaute die Kleine lachend an, dann ging er zu dem Spiegel. Aber er sah auch nicht anders aus als alle die anderen, nur noch ein wenig größer, aber Pommerle und Hella standen hinter ihm und lachten, daß es weithin schallte.
Nun ging man weiter. Pommerle wurde ein wenig ängstlich, als man sich dem Indianerdorfe näherte, als es die rothäutigen Gestalten sah, von denen zahlreiche einen prachtvollen Federschmuck trugen.
»Tun sie uns was?«
»Nein, Pommerle, das sind Leute, die in einem anderen Erdteil wohnen.«
»Warum ziehen sie sich aber so komisch an?«
»Das