Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740912307
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danach damit begann, das kleine Gästezimmer, das ja schon lange nicht mehr benutzt worden war, ein wenig in Ordnung zu bringen. Ein zufriedenes Lächeln umspielte dabei ihre Lippen, und in ihren Augen war ein frohes Leuchten.

      *

      »Ist sie da?« Das war die erste Frage Marga Stäubers, als Dr. Lindau mit seinem Gast ihr Vorzimmer betrat.

      »Sie ist, Frau Stäuber«, antwortete Dr. Lindau lächelnd, stellte Dr. Mertens seine Sekretärin vor und umgekehrt und verzog sich mit seinem Gast in das Sprechzimmer.

      »Nehmen Sie Platz, Herr Kollege«, sagte er und griff zum Haustelefon. »Ich muß nur rasch telefonieren. Anschließend führe ich Sie gern durch die Klinik.« Er wählte die Nummer von Frau Dr. Westphal.

      »Ich bin wieder hier, Frau Kollegin«, sagte er, als sich die Ärztin meldete. »War etwas während meiner Abwesenheit?«

      »Keine besonderen Vorkommnisse«

      »Für die morgige Operation ist alles vorbereitet?«

      Die Ärztin bestätigte das. »Es gibt allerdings ein kleines Problem.«

      »Was für eines?« frage Dr. Lindau interessiert.

      »Frau Neubert hatte bis vor einer halben Stunde Besuch«, erklärte Anja Westphal. »Von einer Freundin anscheinend. Seit die aber wieder weg ist, spielt Frau Neubert ein wenig… sagen wir mal verrückt.«

      »Wie darf ich das verstehen?« wollte Dr. Lindau wissen.

      »Sie will sich unter keinen Umständen operieren lassen«, kam die Antwort. »Ich vermute, daß die Besucherin ihr einen Floh ins Ohr gesetzt hat. Sie hat unheimliche Angst vor einem Eingriff und will nach Hause. Ich habe versucht, sie zu beruhigen und ihr die dringende Notwendigkeit einer Operation zu erklären, aber sie will partout nicht zur Einsicht kommen.«

      »Keine angenehme Situation, Frau Kollegin«, gab Dr. Lindau zurück. »Daß die Patientin Angst vor einem Eingriff hat, ist ja verständlich und kann nicht als… nun ja… verrücktes Verhalten bezeichnet werden…«

      »Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise«, wurde der Chefarzt von der Gynäkologin unterbrochen. »Mir ist im Augenblick keine andere Definition eingefallen.«

      »Schon gut, Frau Kollegin«, erwiderte Dr. Lindau. »Ich wollte Sie deswegen auch nicht tadeln. Das Problem ist jetzt nur, daß wir ohne Einwilligung der Patientin nicht operieren dürfen.«

      »Aber wenn wir es nicht tun, dann wird ihr Leben ziemlich schnell bald beendet sein, und das nicht gerade angenehm«, gab die Ärztin zurück.

      »Das weiß ich«, entgegnete Dr. Lindau gepreßt. »Wir müssen eben alles versuchen, Frau Neubert von der Notwendigkeit der Operation zu überzeugen.«

      »Ich habe es versucht und auch der Kollege Hoff – aber ohne Erfolg«, kam die Antwort. »Vielleicht können Sie mit der Patientin einmal reden.«

      »Das will ich gern tun«, erklärte sich Dr. Lindau sofort bereit. »Hm, ist die Patientin verheiratet?« wollte er wissen.

      »Soviel ich weiß, nein«, entgegnete Anja Westphal. »Anders gesagt – sie ist geschieden, hat aber einen Jungen, der in einem Internat in der Nähe von München lebt.«

      »Ist sie berufstätig?«

      »Frau Neubert ist Lehrerin…«

      »Es gibt also kaum jemanden, keinen sehr nahen Verwandten, der einen guten Einfluß auf sie hätte, wenn ich das alles richtig verstanden habe?« fragte Dr. Lindau.

      »Das ist mir nicht bekannt«, kam Dr. Westphals Antwort.

      »Gut, ich komme gleich mal hinauf und rede mit ihr«, beendete Dr. Lindau das Telefonat. Er wandte sich an Dr. Mertens, der schweigend, aber mit Interesse das Telefonat mitverfolgt hatte. »Da haben Sie es als Kinderarzt sicher leichter«, meinte er mit einem etwas erzwungen wirkenden Lächeln.

      »Sagen Sie das nicht«, entgegnete Alexander Mertens. »Ähnliche Probleme haben wir Kinderärzte auch mit den Kleinen. Vor allem aber seitens überängstlicher Mütter und Väter.«

      »Haben Sie mitbekommen, worum es hier geht?« fragte Dr. Lindau gespannt.

      »Teilweise«, antwortete Dr. Mertens. »Ich vermute, daß es um eine Operation geht, gegen die sich eine Patientin anscheinend wehrt.« Fragend sah er den Leiter der Klinik am See an.

      »So ist es«, bestätigte der und berichtete in wenigen Sätzen. »Aber operiert muß sie werden, wenn sie nicht schon nach Monaten, vielleicht schon nach Wochen ein hoffnungsloser und unheilbarer Fall werden soll«, schloß er.

      »Man muß die Patientin überzeugen«, erklärte Alexander Mertens ernst.

      »Leichter gesagt als getan«, gab Dr. Lindau zurück. »Aber ich versuche es. Jetzt gleich. Tut mir leid, aber die Führung durch meine Klinik, die einmal ein Schloß gewesen ist, müssen wir verschieben.«

      »Aber das macht doch nichts«, entgegnete Dr. Mertens. »Ich bin ja noch ein paar Tage hier.«

      Dr. Lindau stand auf. Sekundenlang überlegte er. »Möchten Sie mitkommen, Herr Kollege?« fragte er.

      Überrascht hob Alexander Mertens die Augenbrauen an. Ein, zwei Sekunden zögerte er. Begeistert war er nicht gerade von dieser Frage, die schon mehr eine Aufforderung war. Immerhin befand er sich im Urlaub. Andererseits war die Frage Dr. Lin­daus auch als eine Art Vertrauensbeweis anzusehen. Einen solchen jedoch konnte er ganz gut gebrauchen, wenn er Astrid für sich gewinnen wollte.

      Nur Sekundenbruchteile brauchte er für diese Überlegung. »Ich bin zwar Kinderarzt, Herr Dr. Lindau«, sagte er und erhob sich, »bin aber immer gern bereit, noch zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, auch wenn diese sich auf andere Gebiete beziehen. Danke für Ihr Vertrauen – ich komme selbstverständlich gern mit…«

      In Dr. Lindaus Augen blitzte es zufrieden auf. »Sie gefallen mir«, erklärte er. »Gehen wir also zu der widerspenstigen Patientin und versuchen wir sie zu überzeugen.« Er trat an einen Wandschrank und holte einen weißen Arztkittel hervor, den er Dr. Mertens reichte. »Der wird Ihnen passen, Herr Kollege«, meinte er lächelnd.

      Der Kittel paßte tatsächlich, und Sekunden später waren die beiden Mediziner schon auf dem Weg zu der Patientin, die aus lauter Angst gegen eine ihr Leben verlängernde Operation war. Der Patientin stand diese Angst im Gesicht geschrieben. So sehr Dr. Lindau auch beschwörend auf sie einredete, ihr die Ungefährlichkeit des geplanten chirurgischen Eingriffs erklärte, aber auch gleichzeitig auf die radikal verminderte Lebenserwartung hinwies, wenn die Operation nicht vorgenommen würde – Frau Neubert ließ sich nur schwer überzeugen.

      »Nein, nein, ich habe Angst«, flüsterte sie.

      »Wovor denn?« fragte Dr. Lindau. »Weil…, weil… ich…, habe gehört, daß…, daß manche eine solche Operation… nicht…, nicht… überlebt haben«, stammelte die Patientin.

      »So ein Unsinn«, entgegnete Dr. Lindau. »Sicher gab es solche Fälle«, fügte er hinzu. »Doch da spielten andere organische Schäden die entscheidende Rolle. Das trifft bei Ihnen aber nicht zu. Die Untersuchungen bei Ihnen haben ergeben, daß Herz und Kreislauf in Ordnung sind, daß also keinerlei Bedenken gegen eine Narkose bestehen und…«

      »Bitte, hören Sie auf, Herr Doktor«, unterbrach die Patientin den Chefarzt flüsternd. Sie war dem Weinen nahe.

      »Lassen Sie ihr Zeit zum Nachdenken«, raunte Dr. Mertens, der bisher kein Wort gesagt hatte, dem Chefarzt zu.

      Dr. Lindau stutzte, nickte dann aber zustimmend. »Wir lassen Sie jetzt allein, Frau Neubert«, sagte er zu der Patientin. »Denken Sie aber bitte über meine Worte nach! Wir haben die Operation für morgen vormittag elf Uhr festgesetzt. Ich hoffe in Ihrem eigenen Interesse, daß Sie einsehen, wie notwendig sie ist.« Er reichte der Frau verabschiedend die Hand und verließ mit Dr. Mertens das Krankenzimmer.

      »Keine leichte Patientin«, meinte Alexander Mertens, als er mit Dr. Lindau wenig später wieder