Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740912307
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noch am Boden liegenden Jungen ansichtig wurde.

      »Nichts, außer ein paar Abschürfungen am Arm und am Knie.« Der Arzt mit den gletscherfarbenen Augen richtete sich auf und half gleichzeitig dem Jungen auf die Beine. »Ist das deine Mutti?« fragte er.

      »Ja…«

      »Was hast du nur wieder angestellt, Junge?« fragte die junge Mutter und zog den Kleinen an sich. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst in meiner Nähe bleiben.«

      »Wahrscheinlich hat er die Rolltreppe ausprobieren wollen und ist dabei heruntergefallen«, meinte der schlanke Mann, der sich der schweigend daneben stehenden Astrid als Kinderarzt vorgestellt hatte. »Wie schon gesagt – nichts Schlimmes. Gehen Sie aber sicherheitshalber mit Ihrem Söhnchen zur Sanitätsstube des Flughafens und lassen Sie die Schürfwunden reinigen und verpflastern.«

      »Danke, Herr Doktor, vielen Dank.« Mutter und Sohn verschwanden zwischen den Menschen. Auch die Umstehenden verteilten sich wieder nach allen Richtungen, denn es gab nichts Sensationelles mehr zu sehen.

      Nur Astrid und der gutaussehende und ungeheuer sympathisch wirkende Mediziner blieben am Fuß der Rolltreppe zurück. Astrid hätte sich schon längst wieder zurückziehen können, aber eigenartigerweise hatte sie dazu keine Lust.

      »Das war nett von Ihnen, daß Sie sich sofort um den Jungen gekümmert haben, Herr Doktor«, kam es über Astrids Lippen.

      »Erlauben Sie? Alexander Mertens ist mein Name. Ich bin Kinderarzt am Münchener Klinikum. Und mit wem habe ich das Vergnügen, Frau Kollegin?«

      Astrid wurde verlegen. »Sagen Sie bitte nicht Kollegin zu mir, denn das bin ich noch nicht«, erwiderte sie leise. »Ich heiße Astrid Lindau und bin noch im Studium begriffen.«

      »Medizin?«

      »Ja«, bestätigte Astrid. »Ich will Kinderärztin werden.«

      Dr. Mertens hatte bei der Nennung des Namens Lindau aufgehorcht. Interesse zeigte sich in seinen Augen, denn dieser Name war ihm nicht ganz unbekannt. Im Augenblick jedoch interessierte ihn dieses hübsche Mädchen, das sich Astrid nannte. »Eigentlich hätte ich jetzt Lust auf eine Tasse Kaffee«, entfuhr es ihm. »Sie nicht auch?« fragte er. »Oder warten Sie auf jemanden?«

      Astrid zögerte mit der Antwort. Sie blickte sich um. Von ihrem Vater war nichts zu sehen. »Ein Kaffee könnte mir ganz guttun«, sagte sie kurz entschlossen.

      »Ich darf Sie dazu einladen«, erklärte Dr. Mertens. Er nahm seinen Koffer in die Rechte und mit der Linken griff er nach Astrids Reisetasche. »Gehen wir hinüber ins Restaurant…«

      Wenig später saßen sie an einem Fenstertisch und ließen sich den servierten Kaffee schmecken. »Sind Sie mit einer der Maschinen vorhin angekommen?« fragte der Kinderarzt. »Oder wollen Sie etwa abfliegen?«

      »Ich bin aus Indien zurückgekommen«, erwiderte Astrid lächelnd.

      »Waren Sie dort etwa im Urlaub?« wurde Dr. Mertens neugierig.

      Astrid schüttelte den Kopf, gab aber keine erklärende Antwort. Ihr war überhaupt sonderbar zumute. Da saß sie nun mit einem Mann zusammen, den sie erst vor zwanzig Minuten kennengelernt hatte, der ihr aber gar nicht fremd vorkam. Sie war direkt froh, ihn getroffen zu haben, konnte sich aber nicht erklären, weshalb sie sich über dieses Zusammentreffen freute. »Was ist mit Ihnen, Herr Doktor…«, sie deutete auf den Koffer, »… sind Sie auch von irgendwoher gekommen?«

      Der Arzt lachte verhalten. »Zuerst möchte ich Sie bitten, mich nicht mit ›Herr Doktor‹ anzusprechen – wenn es Ihnen nicht schwerfällt«, sagte er. »Es klingt so unendlich fremd, und das sind wir uns doch nicht, nachdem wir gemeinsam einen schweren Unglücksfall zum guten Ende gebracht haben.«

      Astrid mußte lachen. »Das war auch wirklich ein schwerer Unglücksfall«, ging sie auf den scherzhaften Ton ihres neuen Bekannten ein. »Sie sind sehr humorvoll, Herr…«

      »Pssst«, machte Alexander Mertens. »Nicht schon wieder…«

      Astrid verstand. »Wie soll ich Sie denn sonst nennen?« fragte sie.

      »Wie wär’s mit… mit… Kollege?« gab der Arzt fragend zurück.

      »Sie machen sich lustig über mich.« Astrid zeigte einen Schmollmund. In ihren Augen aber blitzte es vergnügt auf.

      »Nichts liegt mir ferner als das«, versicherte Dr. Mertens tiefernst. »Aber um zu einer Einigung zu kommen – was sagen Sie zu Alexander?« fragte er lächelnd. »Das ist nämlich mein Vorname.«

      Einen Augenblick lang zögerte Astrid. Dann lachte sie leise. »Komisch«, kam es danach über ihre Lippen, »mein Vorname beginnt auch mit A.«

      Alexander Mertens lächelte. »Komisch würde ich das nicht nennen«, sagte er leise. »Ich würde es eher als ein gutes Omen betrachten – Astrid. Meinen Sie nicht auch?« Der Blick, mit dem er dabei die junge Frau ansah, redete eine deutliche Sprache. Seine Hand tastete sich über die Tischplatte und legte sich auf Astrids rechten Handrücken. Er wunderte sich gar nicht darüber, als er erkannte, daß er im Begriff war, sich zu verlieben.

      Oder war das bereits geschehen? »Ja, ich glaube ja…«, murmelte er.

      Astrid war bei der Berührung unmerklich zusammengezuckt. Sie fühlte es wohlig in ihrem Innern aufsteigen. In ihre Augen trat ein feines Leuchten. Sie konnte sich den Blicken des Mannes nicht entziehen und wahrscheinlich wollte sie das auch gar nicht. Sie fühlte sich plötzlich auf eine ganz bestimmte Weise beschwingt. Hatte sie noch vor einer knappen halben Stunde etwas ungeduldig auf das Erscheinen ihres Vaters gewartet, so war das jetzt geradezu bedeutungslos geworden. Mehr noch – in ihrem tiefsten Innern wünschte sie sich, daß Vater sich gern noch Zeit lassen würde mit seinem Kommen.

      »Sie fragten vorhin, weshalb ich einen Koffer bei mir habe«, ergriff Alexander Mertens wieder das Wort.

      »Ganz einfach – ich war im Begriff zu verreisen, weil ich fünf Tage Kurzurlaub habe, den ich an der Nordsee verbringen wollte.«

      Über Astrids Züge huschte ein Schatten. »Sie fliegen nach dem Norden?« fragte sie leise. »Wann geht Ihre Maschine?«

      Dr. Mertens sah auf die Uhr und feixte. »Sie ist schon weg«, sagte er.

      »Das tut mir leid«, gab Astrid zurück.

      »Mir nicht«, entgegnete der Arzt betont und sah Astrid tief in die Augen. »Das Beisammensein mit Ihnen bedeutet mir mehr. Aber wie ist es mit Ihnen?« fragte er. »Wo wollen Sie eigentlich hin? Wohnen Sie hier in München?«

      »Nein, mein Zuhause ist in Auefelden.«

      »Ich erinnere mich an diesen Ort«, stieß Dr. Mertens hervor.

      »Sie kennen ihn!« fragte Astrid erstaunt.

      »Ich bin noch nie dort gewesen, weiß aber aus verschiedenen medizinischen Fachblättern, daß es dort eine Frauenklinik gibt, die von einem Dr. Lindau geleitet wird. Herr­jeee…,« fuhr er plötzlich auf, »… sind Sie etwa mit jenem Dr. Lindau verwandt, weil Sie auch so heißen?«

      Astrid lächelte. »Das kann man wohl sagen«, bestätigte sie. »Er ist mein Vater.«

      Sekundenlang wußte Alexander Mertens nicht, was er sagen sollte. Hinter seiner Stirn arbeitete es. War das nun ein Glücksfall, daß er sich ausgerechnet in die hübsche Tochter eines Klinikchefs verliebte, der sich eines guten Rufes erfreute, und das nicht nur in Fachkreisen? »Wollte Ihr Vater Sie denn abholen?« fand er die Sprache wieder.

      Astrid nickte. »Ich verstehe allerdings nicht, daß er noch nicht da ist«, sagte sie. »Mein Telegramm hat er sicher rechtzeitig bekommen.«

      »Vielleicht ist ihm etwas dazwischen gekommen«, meinte Dr. Mertens. »Ein Notfall vielleicht, eine Operation oder etwas ähnliches. Als Chefarzt einer Klinik muß er immer damit rechnen, daß sich sein Zeitplan etwas verschieben kann.«

      »Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Astrid zurück. »Aber ich kann doch nicht ewig hier am Flughafen