Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740912307
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brauste Norbert Wichner auf und trat dich vor die Ärztin hin. »O nein, mit mir macht man das nicht. Ich…« Er unterbrach sich und sah zur Tür, die sich geöffnet hatte und in deren Rahmen plötzlich eine junge Krankenschwester stand.

      »Frau Doktor, ich soll…«

      »Verschwinden Sie, Schwester!« fuhr Norbert Wichner die weißgekleidete junge Frau an. »Na los! Sie sehen doch, daß Sie stören.«

      Die Schwester blickte verwirrt auf die Ärztin und zog sich eiligst wieder zurück, als diese ihr zunickte. Sie lief den Gang entlang, und um ein Haar hätte sie Dr. Lindau umgerannt, der gerade zusammen mit Dr. Bernau aus dem Stationszimmer kam. Er war auf dem Weg zu Frau Dr. Westphal, um ihr zu sagen, daß er in wenigen Minuten nach München fahren würde, um seine Tochter abzuholen.

      Erstaunt sah er die Schwester an. »Was ist denn los?« fragte er. »Sie sind ja ganz aufgeregt.«

      »Das… das… muß ein Verrückter sein«, stieß die Schwester hervor. »Er hat mich hinausgeworfen.«

      »Langsam!« Dr. Lindau wechselte einen kurzen Blick mit dem Assistenzarzt. »Wer ist verrückt, und von wo hat man Sie hinausgeworfen?« wollte er wissen.

      »Er ist bei der Frau Doktor und schaut so böse«, kam es über die Lippen der Schwester.

      Über Dr. Lindaus Nasenwurzel bildete sich eine kleine senkrechte Falte. Hatte die Kollegin Westphal etwa Probleme? Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, eilte er mit weit ausgreifenden Schritten den Gang entlang – gefolgt von Dr. Bernau. Vor dem Dienstzimmer der Ärztin blieb er stehen. Er stutzte, als er die laute Stimme eines Mannes vernahm, dazwischen aber auch das hellere Organ der Ärztin, das empört klang.

      Dr. Lindau zögerte nicht länger. Er klopfte kurz an und betrat das Dienstzimmer von Anja Westphal. In Sekundenschnelle erfaßte er, daß zwischen der Kollegin und einem ihm fremden jüngeren Mann eine heftige Diskussion im Gange war. Mehr noch – er sah, daß der Mann die Ärztin am Arm festhielt.

      »… sofort loslassen, sage ich!« stieß die Ärztin in diesem Augenblick erregt hervor.

      Dr. Lindau, der nicht wußte, worum es hier ging, reagierte aber sofort. Mit zwei großen Schritten trat er auf den ihm den Rücken zuwendenden Mann zu und riß dessen rechten Arm kräftig zurück. »Was soll das?« fragte er scharf. »Warum belästigen Sie die Frau Doktor?«

      Norbert Wichner fuhr herum. »Wenn Sie mich nochmals anrühren, schlage ich Sie zusammen«, fuhr er Dr. Lindau an. Man merkte ihm an, daß er die Kontrolle über sich verloren hatte. Er hätte später nicht einmal sagen können, wie das gekommen war. Seine Absicht war ja nur gewesen, der Ärztin seine Meinung zu sagen. Nichts weiter. Doch nun war bei ihm etwas ausgerastet. Als Dr. Lindau nicht sofort auf die drohenden Worte des ihm unbekannten Mannes reagierte, und nicht seine zupackende Hand vom Arm des verrückt Spielenden löste, hob der auch schon die linke zur Faust geballte Hand.

      In diesem Augenblick reagierte Dr. Bernau, der auch in das Zimmer gekommen war. Er sprang hinzu und griff nach dem erhobenen linken Arm Norbert Wichners. Mit aller Kraft drückte er ihn nach unten, während Dr. Lindau das rechte Handgelenk des sich nur Wehr setzenden und Flüche ausstoßenden Mannes umklammerte.

      Das alles geschah in Sekundenschnelle.

      Norbert Wichner keuchte. Trotz seiner Kräfte konnte er aber gegen die festhaltenden Griffe der beiden Ärzte nichts ausrichten. Seine Gegenwehr ließ nach.

      »Haben Sie sich wieder beruhigt?« fragte Dr. Lindau und lockerte seinen Griff. Er nickte Dr. Bernau zu, der daraufhin den Arm Norbert Wichners losließ.

      »Ist ja schon gut«, brummte Norbert Wichner, der wieder seine Fassung gewonnen hatte. Zumindest war seine Aggressivität verschwunden. Er verstand sich plötzlich selbst nicht mehr und begriff nicht, weshalb er seine Beherrschung verloren hatte. Finster sah er zuerst die Ärztin und dann Dr. Lindau an.

      »Darf ich nun erfahren, was es hier gegeben hat?« Dr. Lindau richtete diese Frage an Anja Westphal.

      »Werde ich noch benötigt?« warf Dr. Bernau ein.

      Dr. Lindau schüttelte den Kopf, und der Assistenzarzt zog sich zurück.

      »Herr Wichner ist der Lebensgefährte von…«‚ begann die Ärztin, wurde aber sofort von Norbert Wichner unterbrochen.

      »Ich wollte doch nur…«

      »Sie halten jetzt den Mund!« fiel Dr. Lindau dem immer noch etwas Aufgeregten scharf ins Wort. »Bitte, Frau Kollegin, weiter…!« Ein Blick auf die Uhr ließ ihn zusammenzucken. Er hätte eigentlich schon unterwegs nach München sein müssen, um Astrids Ankunft nicht zu verpassen. Andererseits jedoch konnte er jetzt nicht einfach gehen. Nicht nur, weil er die Kollegin Westphal nicht allein lassen wollte mit diesem jungen Mann, der sich so daneben benommen hatte, sondern auch, weil es ihn interessierte, wie und weshalb es zu diesem Auftritt gekommen war. Als Chefarzt dieser Klinik waren ihm derartige Zwischenfälle nicht gleichgültig.

      Anja Westphal gab einen knappen Bericht. »So war es«, schloß sie.

      »Was hatten Sie überhaupt vor, Herr Wichner?« drang Dr. Lindau auf eine Erklärung von Norbert Wichner. »Weshalb haben Sie die Frau Doktor angegriffen?«

      »Quatsch«, erwiderte der junge Mann mit heiser klingender Stimme. »Ich habe sie nicht angegriffen.«

      »Ich habe es doch gesehen«, entgegnete Dr. Lindau.

      »Na ja, ich habe eben die Nerven verloren«, räumte Norbert Wichner widerwillig ein. »Aber tun wollte ich ihr nichts«, betonte er.

      »Was wollten Sie denn?«

      »Ihr die Meinung sagen über…«

      »Ich weiß Bescheid«, unterbrach Dr. Lindau den Besucher. »Aber nun werde ich Ihnen etwas sagen«, fuhr er fort. »Das, was meine Kollegin Ihrer Lebensgefährtin dringend geraten hat, ist mit meinem vollsten Einverständnis geschehen. Himmelherrgott noch mal«, verfiel er in die Ausdrucksweise der Menschen dieser Gegend. »Sie werden Ihre Triebhaftigkeit doch wohl eine kurze Zeit zügeln können. Sind Sie ein Mannsbild oder ein Waschlappen?«

      Verblüfft starrte Norbert Wichner den Arzt an. Diesen Ton, diese Sprache verstand er. Daß ein Studierter, ein Arzt, auch so reden konnte, war ihm neu. »Natürlich bin ich ein gestandenes Mannsbild«, antwortete er. »Eben deshalb trifft es mich ja, daß…« Er sprach nicht weiter, sondern warf nur einen wütenden Blick auf die Ärztin, die schweigend der Diskussion zuhörte.

      »In meinen Augen sind Sie kein Kerl, sondern schon fast ein Choleriker«, hielt Dr. Lindau dem Mann vor. »Egoistisch und rücksichtslos.«

      »Na, erlauben Sie mal«, regte sich Norbert Wichner auf.

      »Nichts erlaube ich, Herr Wichner«, entgegnete Dr. Lindau scharf.

      »Aber… aber… das Verbot von der Frau Doktor…«

      »Kein Verbot, sondern ein ärztlicher Rat«, warf Anja Westphal ein.

      »Meinetwegen«, knurrte Norbert Wichner. »Also dieser Rat trifft ja auch Irmgard… meine Lebensgefährtin also.«

      »Das glaube ich nicht«, meinte Dr. Lindau. »Frau Ehlers hat den Rat meiner Kollegin akzeptiert. Sie ist vernünftiger als Sie. Sonst wären Sie doch nicht hergekommen und hätten hier den wilden Mann markiert.« Dr. Lindau zwang sich zu einem freundlicheren Ton. »Wenn Sie diese Frau lieben, wie Sie betonen, dann wäre es doch Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Rücksicht auf sie und ihre Gesundheit zu nehmen. Meinen Sie nicht auch?«

      Norbert Wichner gab keine Antwort. Die Worte des Arztes waren nicht wirkungslos an ihm abgeprallt.

      »Ich kenne Frau Ehlers«, ergriff Dr. Lindau sofort wieder das Wort. »Sie ist eine gute und tapfere Frau, und Sie haben das Glück, von ihr geliebt zu werden. Denken Sie daran! Zeigen Sie Rücksichtnahme! Tun Sie das aber nicht…«‚ seine Stimme bekam einen warnenden Unterton, »… und Frau Ehlers’ derzeitiges Leiden kompliziert sich und führt zu bleibenden Schäden, dann… dann… Sie verdammter Narr, bekommen