4.20
Erleichterte Voraussetzungen der Vermögensauskunft – seinerzeit Offenbarungsversicherung – gemäß § 807 (Durchsuchungsverweigerung, Abwesenheit des Schuldners bei Pfändungsversuchen); Pfändung unpfändbarer eigener Sachen des Vorbehaltsverkäufers für urkundlich belegbaren Eigentumsvorbehalt (§ 811 Abs. 2); Teilzahlungsvereinbarung des Gerichtsvollziehers, falls der Gläubiger nicht widerspricht (§ 813a a.F.) – heute: falls der Gläubiger eine Zahlungsvereinbarung nicht ausgeschlossen hat und nicht widerspricht (§ 802b Abs. 2, 3); Aussetzungen der Verwertung gepfändeter Sachen unter Anordnung von Zahlungsfristen durch das Vollstreckungsgericht auf Schuldnerantrag (§ 813b a.F.); unförmliche Verwertung von Mobilien (§ 825); Abgabe an das zuständige Gericht bei Forderungspfändungen (§ 828 Abs. 3); einheitlicher Pfändungsbeschluss bei mehreren Drittschuldnern (§ 829 Abs. 1 S. 3); Fortdauer der Gehaltspfändung bei Unterbrechung des Dienstverhältnisses (§ 833 Abs. 2); Offenbarungsversicherung des Schuldners bei verweigerter Auskunft nach Überweisung (§ 836 Abs. 3 S. 2).
4.21
Anhebung des Mindestbetrages für Sicherungshypotheken auf € 750 (§ 866 Abs. 3); Titulierung der Sicherungshypothek ohne neues Verfahren (§ 867 Abs. 3); Verwertungsbefugnis des Gerichtsvollziehers bei Räumungsvollstreckung für Räumungsgut (§ 885 Abs. 3 und 4); Fortfall der Androhung von Zwangsmitteln bei nicht vertretbarer Handlung (§ 888 Abs. 2).
4.22
Abgabepflicht des angegangenen Gerichts und Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers bei eidesstattlicher Versicherung (§ 802e); Flexibilisierung des Aufschubs der Offenbarungsversicherung (§ 900 a.F.); Flexibilisierung des Haftvollzugs (§§ 802g, 802h) und zeitliche Begrenzung der Haftbefehlswirkung auf drei (heute: zwei) Jahre.
4.23
Die Reform der Sachaufklärung (Gesetz v. 29.7.2009; BGBl. I, 2258) hat die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung wesentlich umgestaltet. Aufgrund eines entsprechenden Antrags des Gläubigers ist der Schuldner auch schon vor einem fehlgeschlagenen Erstzugriff verpflichtet, gegenüber dem Gerichtsvollzieher eine Vermögensauskunft zu erteilen (§§ 802a Abs. 2 Nr. 2, 802c ff.), ein vorheriger Vollstreckungsfehlschlag ist nicht mehr erforderlich. Die Rolle des Gerichtsvollziehers wurde gestärkt, u.a. durch den Auftrag zur gütlichen Erledigung (§ 802 b).
4.24
Neu eingeführt wurde ferner das Pfändungsschutzkonto, das dem Schuldner den automatischen Schutz des pfändungsfreien Teils seines Arbeitseinkommens ermöglichen soll (§§ 850k, 850l)[27]. § 885a hat für die Räumung von Grundstücken die Möglichkeit eines beschränkten Vollstreckungszugriffs geschaffen, was die Vollstreckung von Räumungstiteln vereinfachen soll[28]. Ferner wurde an verschiedenen Stellen Formularzwang bei Einleitung der Zwangsvollstreckung eingeführt (§§ 753 Abs. 3; 758a Abs. 6; 829 Abs. 4).
4.25
Eine teilweise geforderte grundlegende Reform des Gerichtsvollzieherwesens und der beamtenrechtlichen Stellung des Gerichtsvollziehers, etwa durch weitgehende Privatisierung, wurde nicht realisiert. Hingegen wurde die Gerichtsvollziehergeschäfts-Anweisung weitreichenden Änderungen unterzogen. Reformen ergaben sich ferner im Bereich des Europäischen Zwangsvollstreckungsrechts (dazu Rn. 55.1 ff.). Schließlich hat das 2021 in Kraft getretene Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz; StaRUG) im Verhältnis von Einzelzwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren für Verschiebungen gesorgt. Das StaRUG sieht bereits vorinsolvenzlich – zur Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 29 Abs. 1 StaRUG) – Restrukturierungsmöglichkeiten vor, die denen des Insolvenzplanverfahrens nachgebildet sind. Durch den gestaltenden Teil eines Restrukturierungsplans kann in ähnlicher Weise wie im Insolvenzplanverfahren auf Gläubiger- oder sonstige Rechte eingewirkt werden (§§ 7, 67 StaRUG). Das StaRUG-Verfahren soll vorinsolvenzliche Restrukturierungen zur Abwendung einer Insolvenz ermöglichen und zielt so auf eine Unternehmenserhaltung. Für die Einzelzwangsvollstreckung ist von Bedeutung, dass im Rahmen einer auf Schuldnerantrag zu treffenden Stabilisierungsanordnung gerichtlich Vollstreckungs- und Verwertungssperren angeordnet werden können (§ 49 Abs. 1 StaRUG). Diese sind in ihren Wirkungen den Anordnungen im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 5 InsO) nachgebildet.
3. Würdigung
4.26
Die Vorschläge, Reformen und Reformvorhaben bewegen sich – anders als die Grundsatzdiskussion – überwiegend im Koordinatensystem der bisherigen Grundsätze. Die Tendenz, systemfremde Reformpartikel abzustoßen, ist unverkennbar. Natürlich wird dies nur begrüßen, wer die Grundlinien des bestehenden Systems bejaht.
4.27
a) Obwohl der Schuldnerschutz teilweise verstärkt wird, sind allzu starke Eingriffe in die Disposition des Gläubigers vermieden. Die Vermittlung einer Zahlungsvereinbarung durch den Gerichtsvollzieher bremst das Verfahren nur, wenn der Gläubiger diese Möglichkeit nicht a priori ausgeschlossen hat, weitergehende Eingriffe im Sinne eines erweiterten Vollstreckungsschutzes durch vollstreckungsgerichtliche Rechtsgestaltung gegen den Gläubigerwillen sind überwiegend verworfen, auch beim Vermögensauskunfts-, Offenbarungsversicherungs- und Haftverfahren ist die Gläubigerdisposition letztlich gewahrt.
4.28
b) Bei der Sachverhaltsaufklärung wahrten ältere Reformen und Reformvorschläge die Distanz zur Inquisition und setzten auf die Gläubigerinitiative, wobei die Aufklärungsmittel des Gläubigers, nämlich vor allem die Offenbarungsversicherung des Schuldners, an geringere Voraussetzungen geknüpft und bei der Forderungspfändung erweitert wurden. Die Reform der Sachaufklärung favorisiert dagegen eine anfängliche umfassende Auskunftspflicht des Schuldners auf Antrag des Gläubigers und Verlangen des Gerichtsvollziehers. Der bisher beschrittene Weg, der Gläubigerinitiative voraussetzt, ist amtswegiger Inquisition vorzuziehen, weil er geringeren Aufwand und geringeren Eingriff zur Folge hat.
4.29
c) Nahezu alle Reformen und Reformvorschläge halten an dezentraler Organisation fest, schaffen kein zentrales Leitungsorgan und bleiben bei der herkömmlichen Rollenverteilung: die vordere Front (Sachpfändung, Herausgabe und Räumung, Erkundigung über Arbeitgeber, Vorpfändung) dem Gerichtsvollzieher, Vollstreckung in Rechte dem Rechtspfleger, Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung dem Prozessgericht. Diese Einteilung gibt dem Gläubiger den direkten Zugriff auf das sachnächste Organ und verdient deshalb gegenüber allen Versuchen einer Gewichtsverschiebung, die oft auch standespolitisch bedingt sind, Verteidigung. Das gilt auch für den Vorstoß des deutschen Gerichtsvollzieherbundes, der dem Gerichtsvollzieher nach französischem Vorbild die Forderungs- und Rechtspfändung übertragen will: die Aufgabe der bewährten Struktur des vollstreckungsrechtlichen Zuständigkeitssystems ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine Novellierung eindeutige Vorteile für die Rechtsverwirklichung brächte – diesen Nachweis bleibt der Vorschlag der berufsständischen Reformkommission letztlich schuldig[29]. Der Gesetzgeber hat von einer Realisierung deshalb zu Recht abgesehen[30].
4.30
d) Der Grundsatz