Erstinstanzliche Urteile werden grundsätzlich erst mit Ablauf der Berufungsfrist formell rechtskräftig, denn über die Höhe des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 511 Abs. 2 Nr. 1) entscheidet das Berufungsgericht[10]. Berufungsurteile erlangen formelle Rechtskraft erst mit Ablauf der Revisionsfrist (§ 548), wenn das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat (§ 543 Abs. 1 Nr. 1), anderenfalls mit Ablauf der Frist für die Nichtzulassungsbeschwerde (§§ 543 Abs. 1 Nr. 2, 544 Abs. 1 S. 2); die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hemmt den Eintritt der Rechtskraft bis zum Zeitpunkt der Ablehnungsentscheidung durch das Revisionsgericht (§ 544 Abs. 5). Die Rechtskraft von Entscheidungen, gegen die ein an sich statthaftes Rechtsmittel rechtzeitig, aber erfolglos eingelegt worden ist, tritt, auch wenn die Verwerfung oder Zurückweisung nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgt, erst mit Rechtskraft der Verwerfungs- bzw. Zurückweisungsentscheidung ein[11]. Letztlich hat grundsätzlich das jeweilige Rechtsmittelgericht abschließend über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu entscheiden[12]. Sofort rechtskräftig sind Urteile, die über Arreste oder einstweilige Verfügungen entscheiden (§ 542 Abs. 2)[13]. Die Möglichkeit zur Verfassungsbeschwerde hemmt die formelle Rechtskraft nicht[14].
2. Rechtsmittelverzicht
14.8
Ein Urteil wird auch dann formell rechtskräftig, wenn beide Parteien auf ein Rechtsmittel verzichtet haben[15].
3. Teilanfechtung
14.9
Ist ein Urteil erster Instanz nur teilweise angefochten, so wird der nicht angefochtene Teil erst mit dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz rechtskräftig; denn solange kann der Berufungskläger seinen Berufungsantrag erweitern[16] oder der Gegner – in den Grenzen einer etwa gesetzten Berufungserwiderungsfrist – Anschlussberufung einlegen (§ 524 Abs. 1 und 2)[17]. Eine Teilrechtskraft durch Forderungsteilverzicht tritt nur ein, wenn zugleich ein Rechtsmittelverzicht eindeutig erklärt wird[18]. Soweit ein Urteil nicht angefochten, aber eben auch noch nicht rechtskräftig ist, ist es allenfalls vorläufig vollstreckbar (s. §§ 537 Abs. 1, 558; Rn. 15.33).
4. Bedingte Urteile
14.10
Urteile, die durch Aufrechterhaltung eines – noch nicht rechtskräftigen – Zwischenurteils (§ 280) oder Grundurteils (§ 304) bedingt sind, können trotz Eintritts ihrer formellen Rechtskraft entgegen § 704 Abs. 1 nicht endgültig vollstreckbar sein, so lange die zugrunde liegenden Urteile nicht ebenfalls formell rechtskräftig sind[19]. Denn solange bilden diese Endurteile noch keinen gesichert dauerhaften Vollstreckungstitel. In Betracht kommt jedoch ihre vorläufige Vollstreckbarkeit[20]. Das Gleiche gilt für Urteile im Nachverfahren, die ausnahmsweise vor Rechtskraft der Vorbehaltsurteile (§§ 302, 599) erlassen worden sind.
5. Künftige Leistungen
14.11
Trotz Eintritts der Rechtskraft ist die Vollstreckung erst zu einem späteren Zeitpunkt zulässig, wenn zu einer künftigen Leistung verurteilt worden ist (§§ 257–259); ferner auch dann, wenn der Schuldner zu einer Ersatzleistung nach Ablauf einer von der Rechtskraft des Urteils an laufender Frist verurteilt worden ist (§ 510b).
III. Vorläufige Maßnahmen zur Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (§ 707)
14.12
Die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil kann im Allgemeinen unbedenklich vorgenommen werden. Denn hier ist es die seltene Ausnahme, dass der Titel in einem Wiederaufnahmeverfahren wieder beseitigt wird. Dennoch hat der Gesetzgeber auch diese Fälle, in denen ein Wegfall des Vollstreckungstitels droht, bedacht – das sind die Wiedereinsetzung (§ 233), die Wiederaufnahme (§ 578) oder die Fortsetzung des Rechtsstreits nach Verkündung eines Vorbehaltsurteils (§§ 302, 600) – und in § 707 vorläufige Maßnahmen vorgesehen[21], die zu einer Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung durch das Prozessgericht (nicht das Vollstreckungsgericht!) führen. Seine Hauptbedeutung gewinnt § 707 freilich dadurch, dass er gemäß § 719 Abs. 1 entsprechende Anwendung findet, wenn gegen ein nur vorläufig vollstreckbares Urteil Einspruch oder Berufung eingelegt wird. Denn in diesen Fällen besteht die Gefahr sehr viel häufiger, dass das „vorläufig“ der Zwangsvollstreckung zu Grunde liegende Urteil später auf den Einspruch oder das Rechtsmittel hin aufgehoben wird. Eine vergleichbare Situation entsteht bei der im Zuge der ZPO-Reform eingeführten Gehörsrüge, deren Einlegung den Anwendungsbereich von § 707 Abs. 1 eröffnet.
1. Voraussetzungen
14.13
Die Voraussetzungen für den Erlass vorläufiger Maßnahmen:
a) Antrag
14.14
Das Prozessgericht wird nur auf Antrag des Schuldners tätig[22]. Der Antrag kann gestellt werden in der mündlichen Verhandlung oder schriftlich oder – vor dem Amtsgericht – zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle; vor den Kollegialgerichten besteht auch insofern Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1).
b) Keine Beendigung der Vollstreckung
14.15
Die Zwangsvollstreckung aus dem Titel, gegen den sich der Rechtsbehelf richtet, darf noch nicht beendet sein (vgl. hierzu Rn. 9.13), wobei eine Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung einen Einstellungsantrag nicht hindert[23]. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die Zwangsvollstreckung bereits begonnen hat (vgl. hierzu Rn. 9.2); auch eine künftige Zwangsvollstreckung kann gemäß § 707 eingestellt werden[24].
c) Einlegung des Rechtsbehelfs
14.16
Der Schuldner muss den in Frage kommenden Rechtsbehelf (z.B. § 580) bereits ergriffen haben, also z.B. die Restitutionsklage erhoben, die Berufung eingelegt haben. Vorbereitende Akte, wie z.B. die Einreichung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe, reichen nicht aus (zu dem Parallelproblem in § 769 vgl. unten Rn. 45.34).
d) Möglicher Erfolg des Rechtsbehelfs
14.17
Im Übrigen steht es im Ermessen des Gerichts, ob und welche der zulässigen Anordnungen (s. Rn. 14.19) es treffen will. Damit ist aber nicht die verbreitete Praxis „formularmäßiger“ Einstellungen gedeckt, vielmehr eine sorgfältige Prüfung aller Umstände des Einzelfalles verlangt. Insbesondere muss das Gericht auch berücksichtigen, ob der gegen das Urteil eingelegte Rechtsbehelf zulässig ist und bei summarischer Würdigung voraussichtlich Erfolg haben wird, denn es wäre „mit einer geordneten Rechtspflege unvereinbar, die gesetzlich gegebene Vollstreckbarkeit durch einen Federstrich zu beseitigen“[25].
2. Inhalt der Maßnahmen
14.18
Zulässig