a) Einstweilige Einstellung
14.19
Das Gericht kann anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung des Schuldners einstweilen eingestellt werde. Die Sicherheitsleistung erfolgt nach § 108[26].
Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist aber grundsätzlich nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde[27]. § 707 Abs. 1 Satz 2 ist streng auszulegen[28]: Es muss glaubhaft gemacht werden, dass die Zwangsvollstreckung einen Zustand herbeiführt oder eine Wirkung auslöst, die nachträglich nicht wieder beseitigt oder ausgeglichen werden kann. Reparable geldwerte Schäden reichen also regelmäßig nicht aus, z.B. die Insolvenz einer ohnehin in Liquidation befindlichen Gesellschaft[29] oder die fragwürdige Realisierbarkeit von Rückforderungsansprüchen wegen beigetriebener Unterhaltsansprüche[30], wohl aber Betriebsstillegung mit Arbeitsplatzverlusten[31]. Typische unmittelbare Vollstreckungsfolgen, z.B. Offenbarungsversicherung oder Unterlassungszwang, sind für sich genommen noch kein unersetzbarer Nachteil[32], wenn keine besonderen weitergehenden Nachteile entstehen[33].
14.20
In der im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Befugnis, die Zwangsvollstreckung einzustellen, ist auch die Befugnis enthalten, sie zu beschränken, insbesondere zu bestimmen, dass die Vollstreckung nicht über ein bestimmtes Stadium hinaus fortgesetzt oder in bestimmte Gegenstände nicht vorgenommen werden darf[34]. Das Gericht kann z.B. anordnen, dass zwar die Pfändung, nicht aber die Verwertung der gepfändeten Gegenstände statthaft ist (vgl. § 720a).
Die einstweilige Einstellung erstreckt sich auch auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse zu dem Urteil, dessen Vollstreckung eingestellt ist; die Einstellung ist auf dem Kostenfestsetzungsbeschluss zu vermerken[35].
b) Sicherheitsleistung des Gläubigers
14.21
Das Gericht kann anordnen, dass die Zwangsvollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers stattfinde oder, wenn sie bereits begonnen hatte, dass sie nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werde.
Ist – wie im Regelfall (§ 709 S. 1) – das nicht rechtskräftige Urteil nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar, so ist dem Sicherungsbedürfnis des Schuldners Rechnung getragen; eine Einstellung gegen Sicherheitsleistung (§§ 719, 707) des Schuldners wird also nur unter besonderen Umständen erfolgen können[36].
c) Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme
14.22
Schließlich kann das Gericht auch anordnen, dass die erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen gegen Sicherheitsleistung des Schuldners aufzuheben seien. Die bloße Anordnung der Aufhebung hat noch keine unmittelbare Wirkung; sie muss vielmehr noch durch das jeweils zuständige Vollstreckungsorgan vollzogen werden (§ 775 Nr. 2, § 776; Rn. 9.18).
d) Höhe und Art der Sicherheitsleistung
14.23
Das Gericht bestimmt gemäß § 108 nach freiem Ermessen, in welcher Höhe und in welcher Art die Sicherheit zu leisten ist (Bürgschaft, Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren)[37].
Die Sicherheit des Schuldners haftet dem Gläubiger für Verzögerungsschaden und den Schaden aus Aufhebung nicht mehr wiederholbarer Vollstreckungsmaßnahmen[38]. Die Sicherheit des Gläubigers haftet für aus späterer Sicht ungerechtfertigte Vollstreckung. Das genaue Schicksal der Sicherheitsleistung wird bei den Folgen der Rechtsmittel für die vorläufige Vollstreckbarkeit behandelt (Rn. 15.24, 15.35 ff.).
3. Zuständigkeit und Form der Entscheidung
14.24
Zuständig zur Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer vorläufigen Maßnahme ist das Prozessgericht, also das Gericht, das über die Wiederaufnahme des Verfahrens, die Berufung usw. zu entscheiden hat (§ 707 Abs. 1 S. 1)[39].
Die Entscheidung ergeht durch Beschluss; eine vorherige mündliche Verhandlung ist nicht notwendig (§§ 707 Abs. 2 S. 1, 128 Abs. 4), jedoch darf dem Gläubiger das rechtliche Gehör nur ausnahmsweise bei ganz besonderer Eilbedürftigkeit versagt werden[40]. War mündliche Verhandlung angeordnet, dann ist der Beschluss zu verkünden (§ 329 Abs. 1). Hat das Gericht ohne mündliche Verhandlung entschieden, dann wird die Entscheidung den Parteien zwar von Amts wegen schriftlich bekannt gemacht, wobei formlose Mitteilung genügt. Wirksam wird der Beschluss jedoch schon mit seiner Existenz, d.h. dem Zeitpunkt, in dem er vom Gericht hinausgegeben wird[41].
4. Vorläufigkeit der Anordnungen
14.25
Die Anordnungen sind nur vorläufig; sie treten von selbst außer Kraft, wenn der Wiedereinsetzungsantrag oder die Wiederaufnahmeklage oder das Rechtsmittel rechtskräftig abgewiesen oder zurückgenommen werden. Durch Aufhebung des zu vollstreckenden Urteils werden sie gegenstandslos[42].
5. Abänderung und Aufhebung der Maßnahmen
14.26
Das Gericht ist an seinen Beschluss nicht gebunden; es kann ihn jederzeit auf Antrag abändern oder ganz aufheben, so etwa dann, wenn eine nachträgliche Anhörung des Klägers ergibt, dass die Voraussetzungen für die einstweilige Einstellung nicht gegeben waren[43].
Das Gesetz (§ 707 Abs. 2 S. 2) sagt, dass der Beschluss des Gerichts unanfechtbar ist[44]. Gegen die Unanfechtbarkeit des Gerichtsbeschlusses ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nichts zu erinnern[45].
Dennoch gab die früher h.M. die sofortige Beschwerde in Fällen „greifbarer Gesetzeswidrigkeit“[46], insbesondere dann, wenn um die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 707, nicht nur um den Inhalt der Ermessensausübung gestritten wurde[47]. Letztere Praxis war sehr bedenklich, weil sie dem Rechtsmittelgericht gerade die Prüfung einräumt, die § 707 Abs. 2 S. 2 verbietet. Denn dass das Beschwerdegericht sein Ermessen nicht an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts setzen darf, ist selbstverständlich; darin kann sich deshalb der Sinn des § 707 Abs. 2 S. 2 nicht erschöpfen. Der BGH und ihm folgend die Obersten und Obergerichte sind von der Möglichkeit außerordentlicher (Rechts-) Beschwerde inzwischen abgerückt[48]. Zunächst ließ die Rechtsprechung zur Korrektur von Verfahrensfehlern verfassungsrechtlicher Qualität eine Gegenvorstellung analog § 321a a.F. zu, der ursprünglich auf Urteile beschränkt war[49]. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber in einer Plenarentscheidung eine ausdrückliche umfassende Regelung fachgerichtlicher Abhilfe bei Gehörsverletzung bis 31.12.2004 aufgegeben[50]. Der Gesetzgeber ist dieser Aufforderung in Gestalt des Anhörungsrügengesetzes vom 9.12.2004 (BGBl. I, S. 3220) nachgekommen und hat den Anwendungsbereich der Gehörsrüge auf alle Entscheidungen ausgedehnt. Ein Manko der Neuregelung ist die fehlende Einbeziehung anderer prozessualer Verfassungsverstöße, für die analoge Anwendung von § 321a dem Gebot fachgerichtlicher Remedur entspricht (Rn. 18.12, 44.5).
Beispiel:
s. Baur/Stürner, Fälle, Fall 13.