III. Verstrickung und Pfändungspfandrecht
11.4
Von der Frage, ob und wann der Vollstreckungsakt bei Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen schlechthin nichtig ist, muss das andere Problem unterschieden werden, welche Auswirkungen die Fehlerhaftigkeit eines Vollstreckungsakts bei der Pfändung wegen einer Geldforderung auf das Entstehen des Pfändungspfandrechts zu Gunsten des Gläubigers hat. Aus der Tatsache, dass der Vollstreckungsakt in seiner öffentlich-rechtlichen Wirkung – der Verstrickung – bei Gesetzesverstoß nur ausnahmsweise der Nichtigkeit verfällt, kann nicht geschlossen werden, dass das Gleiche auch für das Pfändungspfandrecht des Gläubigers gilt.
Die Gleichstellung behauptet die sog. öffentlich-rechtliche Theorie des Pfändungspfandrechts, auf die unten (Rn. 27.1 ff., 27.7) näher einzugehen ist. Hier genügt es festzustellen, dass kein Grund dafür einzusehen ist, die Wirksamkeit des Pfändungspfandrechts allein schon an die Wirksamkeit (= Nicht-Nichtigkeit) des Vollstreckungsakts zu knüpfen.
Beispiel:
Der Gerichtsvollzieher hat auf Grund eines gegen S1 gerichteten Vollstreckungstitels, dessen Vollstreckungsklausel nicht gegen den Erben des S1, den S2, umgeschrieben war (§ 727), bei S2 eine Sache gepfändet. Diese Pfändung führt trotz der Fehlerhaftigkeit der Vollstreckung zur öffentlich-rechtlichen Verstrickung der Sache. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass zu Gunsten des Gläubigers G auch ein Pfändungspfandrecht entstanden ist. Diese Frage ist vielmehr für sich zu prüfen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Nichtiger Vollstreckungsakt und Pfändungspfandrecht
11.5
Ist der Vollstreckungsakt nichtig (s. Rn. 11.2 f.), dann entsteht auch kein Pfändungspfandrecht, da der Vollstreckungsakt eine der Voraussetzungen für dessen Begründung ist (Rn. 27.12).
2. Anfechtbarer Vollstreckungsakt und Pfändungspfandrecht
11.6
Ein Pfändungspfandrecht wird aber auch dann nicht begründet, wenn das Vollstreckungsorgan gegen andere, nicht die Nichtigkeitsfolge auslösende gesetzliche Vorschriften verstoßen hat (Rn. 27.13), es sei denn, dass es sich um bloße Ordnungsvorschriften handelt[6].
Man mag im Einzelfall darüber streiten, wann lediglich eine Ordnungsvorschrift verletzt ist. Als Faustregel kann man sich merken, dass grundsätzlich alle Vorschriften, die die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung und ihre Durchführung regeln, keine bloßen Ordnungsvorschriften sind, und zwar auch dann nicht, wenn sie nur die Interessen des Schuldners und nicht auch öffentliche Interessen schützen. Ordnungsvorschriften sind in der Regel nur dort anzunehmen, wo das Gesetz von einem Verhalten des Vollstreckungsorgans spricht, das beachtet werden „soll“ oder „kann“ (z.B. §§ 730, 733, 812, 813), oder ausdrücklich auf einen Widerspruch des Schuldners abhebt (§ 777) oder lediglich Modalitäten regelt, die den Vermögensschutz des Schuldners nicht betreffen (z.B. §§ 758a Abs. 4[7], 759, 762).
3. Privatrechtliche Voraussetzungen des Pfändungspfandrechtes
11.7
Zu der Frage, ob und welche privatrechtlichen Voraussetzungen der Begründung eines Pfandrechts sich auf die Entstehung des Pfändungspfandrechts auswirken, s. unten Rn. 27.14.
IV. Die Heilung fehlerhafter Vollstreckungsakte
11.8
Ein nichtiger Vollstreckungsakt ist nicht heilbar[8]; er muss neu vorgenommen werden; die Neuvornahme hat keine Rückwirkung[9]. Ein fehlerhafter, aber nicht nichtiger Vollstreckungsakt kann durch Beseitigung des Mangels oder Verzicht seitens des Schuldners[10] unanfechtbar, das Pfändungspfandrecht kann geheilt werden.
Die Heilung erfolgt letztlich immer ex nunc. Die Anfechtbarkeit entfällt ex nunc mit Wegfall bzw. Heilung des anfechtungsbegründenden Mangels; der Vollstreckungsakt im Sinne der Verstrickung war als anfechtbarer, aber nicht angefochtener Akt allerdings gleich „wirksam“ wie nunmehr als unanfechtbarer, geheilter Vollstreckungsakt[11]. Soweit aber Heilung der Mängel des Pfändungspfandrechtes in Frage steht, wird die ex nunc-Wirkung in ihrer Bedeutung evident; denn regelmäßig wirkt sich der Mangel nicht nur auf das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern auch auf das Verhältnis zu anderen Gläubigern (Rang des Pfändungspfandrechts!) aus. Es ist nicht einzusehen, warum der fehlerhafte Vollstreckungsakt dem Gläubiger eine Vorzugsstellung gegenüber anderen, korrekt vorgehenden Gläubigern soll verschaffen können[12]. Der von der Gegenmeinung hervorgehobene Gesichtspunkt der Rechtssicherheit drückt nichts anderes aus als das Bestreben nach einer – vielleicht wünschenswerten, aber eben nicht gerechtfertigten – vereinfachenden Gleichstellung von Verstrickung und Pfändungspfandrecht (s. noch Rn. 27.18). Angesichts immer weiter ausgreifender Nichtigkeitsrechtsprechung des BGH (Rn. 11.3) ist er zudem nicht sehr überzeugend.
Beispielsfall zu I–IV: Baur/Stürner, Fälle, Fall 1.
§ 12 Mängel des Zwangsvollstreckungsverfahrens
Schrifttum:
Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 233 ff.; Gaul, Zur Struktur der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 1971, 81, 90 ff. u. JZ 1973, 473 (Reformfragen); Arens, Die Prozessvoraussetzungen in der Zwangsvollstreckung, FS Schiedermair, 1976, S. 1 ff.; Roth, Zwangsvollstreckung gegen prozessunfähige Schuldner, JZ 1987, 895; Oda, Die Prozessfähigkeit als Voraussetzung und Gegenstand des Verfahrens (Diss. Mainz), 1997, S. 131 ff.; s.a. Rn. 12.13.
I. Vollstreckungsvoraussetzungen und Formalisierung der Vollstreckung
12.1