III. Jenseits von Art. 2 bis 6 AEUV: Weitere Kompetenzkategorien
und die eigentlichen Kompetenztitel
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Gemischte Zuständigkeiten
Die Art. 2 bis 6 AEUV bilden die Kompetenzverteilung in der Europäischen Union bei weitem nicht vollständig ab. So fehlt eine Beschreibung der Kategorie der gemischten Zuständigkeiten, wie sie sich für den Abschluss sogenannter gemischter Abkommen mit Dritten etabliert hat, wenn weder die Union noch die Mitgliedstaaten jeweils alleine über die die Inhalte eines Abkommens tragenden Zuständigkeiten verfügen.[111]
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Implied powers
Daneben besteht eine Kategorie, für die geringe Sichtbarkeit in gewissem Sinne kategorieimmanent ist. Festzuhalten ist aber doch, dass die ungeschriebenen sogenannten „implied powers“ die im Unionsrecht anerkannt sind,[112] ebenfalls gar keine auch nur allgemeine Erwähnung finden.[113]
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Differenziertes Kompetenzprofil
Ansonsten finden sich wie bereits erwähnt die eigentlichen unionalen Kompetenztitel quer über die Verträge verstreut. Sie sind – nicht zuletzt weil über Jahrzehnte fortentwickelt und Verkörperung zahlloser politischer Kompromisse – nicht selten differenziert und komplex gefasst, was insgesamt ein deutlicheres Kompetenzprofil ergibt als die differenzierungslose Auflistung klassischer bundesstaatlicher Kompetenzkataloge.[114]
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Flexibilitätsklausel
Nicht alle Kompetenztitel spiegeln sich dabei in den Kompetenzbereichen der Art. 3 bis 6 AEUV. So wird Art. 352 AEUV, die Vertragsabrundungs- oder Flexibilitätsklausel, in den Auflistungen der Art. 2 bis 6 AEUV nicht erwähnt. Da es sich der Sache nach um eine zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit handelt,[115] lässt sich dies mit der Auffangfunktion der Kategorie „geteilte Kompetenz“ erklären. Das Transparenzversprechen der Art. 2 bis 6 AEUV findet sich freilich dadurch gemindert, dass eine der umstrittensten Kompetenzregeln des Europarechts nicht ausdrücklich vorkommt. Die Flexibilitätsklausel oder Vertragsabrundungsklausel des früheren Art. 235 EWGV, später dann Art. 308 EGV, ist immer wieder in Frage gestellt worden.[116] Sie mutet bei oberflächlicher Betrachtung wie eine Bestimmung an, die eine Kompetenz-Kompetenz[117] beschreibt. Sie hat jedoch alle Angriffe[118] überlebt und mit dem Vertrag von Lissabon zusätzliche verfahrensmäßige Absicherungen erfahren, u. a. durch Einbeziehung der nationalen Parlamente. Wegen des Einstimmigkeitserfordernisses im Rat ist die These von der Selbstermächtigung der Union ohnehin nie plausibel gewesen. Die praktische Bedeutung und Sinnhaftigkeit der Bestimmung stehen heute weitgehend außer Frage.[119] Wichtige Vorhaben wie die Fusionskontrollverordnung aber auch das ERASMUS-Austauschprogramm gehen auf diese Bestimmung zurück.[120] Sie ist ferner für etliche eher technische Maßnahmen als Grundlage herangezogen worden.[121]
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Verfassungsgerichtliche Umdeutung
Das BVerfG sah gleichwohl im Lissabon-Urteil in der Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV eine Lockerung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und die Möglichkeit, Vertragsgrundlagen der EU substanziell zu ändern, ohne dass über die mitgliedstaatlichen Exekutiven hinaus gesetzgebende Organe konstitutiv beteiligt werden müssten.[122] Daher ist in Deutschland für die Aktivierung des Art. 352 AEUV ein Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 GG erforderlich.[123] § 8 IntVG bestimmt, dass der deutsche Vertreter im Rat einem Vorschlag zum Erlass von Vorschriften gemäß Art. 352 AEUV nur zustimmen oder sich bei der Beschlussfassung enthalten darf (Einstimmigkeit im Rat ist erforderlich), nachdem hierzu ein Gesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 GG in Kraft getreten ist.[124] Das BVerfG hat hier die Rolle des Europäischen Parlaments (Zustimmungserfordernis) bei Art. 352 AEUV verkannt und auch die dort ohnehin bereits vorgesehene Rolle der nationalen Parlamente nicht ausreichend gewürdigt. Dass jeder auf Art. 352 AEUV gestützte Akt aus Sicht des BVerfG in Deutschland wie eine Vertragsänderung behandelt und durch ein schwerfälliges Ratifikationsverfahren in Bundestag und Bundesrat gebracht werden muss, nimmt der Flexibilitätsklausel ihre Flexibilität.[125] Es ist nicht auszuschließen, dass deswegen Ausweicheffekte eintreten, andere Kompetenzgrundlagen in Anspruch genommen, vielleicht sogar überdehnt werden. Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 352 AEUV schadet daher letztlich dem Anliegen einer nachvollziehbaren Kompetenzordnung.
IV. Negative Kompetenzbestimmungen
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Ausschlüsse europäischer Rechtsmacht
Das europäische Kompetenzrecht wird nicht nur durch positive Kompetenzzuweisungen, sondern auch durch zahlreiche negative Kompetenzbestimmungen geprägt. Diese finden sich insbesondere[126] dort, wo in positiven Kompetenzzuweisungen Regelungsbereiche ausgeschlossen werden. Charakteristische Beispiele sind Art. 153 Abs. 5 AEUV, der aus der unionalen Sozialpolitik das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht und das Aussperrungsrecht ausnimmt, oder Art. 168 Abs. 7 AEUV, wonach die Union im Gesundheitsbereich die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung wahrt und einzelstaatliche Regelungen über die Spende oder die medizinische Verwendung von Organen und Blut unberührt bleiben. Weitere Beispiele[127] für Rechtsmachtgrenzen der EU aus dem europäischen Primärrecht finden sich in Art. 72 AEUV (Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit); Art. 14 AEUV (Rücksicht auf Funktionsfähigkeit der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in den Mitgliedstaaten); Art. 149 AEUV (keine Harmonisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Beschäftigungspolitik); Art. 153 Abs. 2 lit. a und Abs. 4 AEUV (europäische Maßnahmen im Bereich der Sozialvorschriften berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen und dürfen das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme nicht erheblich beeinträchtigen); Art. 165 Abs. 1 und 166 Abs. 4 AEUV (strikte Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems und keine Harmonisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften in diesem Bereich); Art. 173 Abs. 3 AEUV (im Bereich der Industriepolitik keine Unionskompetenz für Maßnahmen, die steuerliche Vorschriften enthalten oder Bestimmungen, die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer betreffen).
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Schutz der Eigentumsordnung
Art. 345 AEUV legt fest, dass die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten eine Kompetenzschranke für die Union darstellt. Art. 346 AEUV enthält Kompetenzbeschränkungen, die sich aus wesentlichen Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten ergeben.
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Bereichsausnahmen als Kompetenzgrenzen
Auch Bereichsausnahmen für die öffentliche Verwaltung bzw. für die Ausübung öffentlicher Gewalt (Art. 45 Abs. 4 und 51 AEUV) und die Bestimmung des Art. 52 Abs. 1 AEUV (keine Beeinträchtigung von bestimmten nationalen Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit) lassen sich als Beschränkung von Unionskompetenzen im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit deuten.
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