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Eigengeartetheit der Rechtsordnung
Vor allem aber ist die gesamte Konzeption der Gemeinschaften, heute der Union, gerade im Hinblick auf die Kompetenzausstattung mit keiner anderen völkerrechtlichen Erscheinung vergleichbar. Keine andere überstaatliche Einrichtung hat in diesem Umfang die Möglichkeit, aufgrund überlassener Rechtsmacht eigenes Recht zu setzen. Dem Konzept der „Herren der Verträge“ kommt mithin für den Kompetenzbereich kein über das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung hinausweisender Mehrwert zu.
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Unumgehbarkeit der Mitgliedstaaten
Auf einer deskriptiven Ebene ist es indessen in der Kompetenzdebatte hilfreich, sich gegenüber Vorwürfen der Kompetenzusurpation durch „die EU“ und überhaupt im Hinblick auf die vereinfachende Gegenüberstellung „die EU“ gegen „die Mitgliedstaaten“ stets die Rolle der Mitgliedstaaten im Rat zu vergegenwärtigen. Über ihre starke Stellung dort sind sie schon deswegen nicht zu umgehende Akteure, insoweit „Herren“ der Kompetenzwahrnehmung durch die EU. Als solche sind sie freilich auch für die Kompetenzwahrnehmung durch die EU durchgehend mitverantwortlich. Es deutet sich hier an, dass möglicherweise die eigentlichen Kompetenzkonflikte horizontaler Natur sind.
VIII. Besonderheiten der europäischen Kompetenzordnung
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Spezifische Dynamik
Zu den bedeutsamsten Merkmalen der Kompetenzordnung in der EU zählt eine spezifische Dynamik, die sich aus dem in seiner Relevanz für die Kompetenzverteilung oft unterschätzten Zusammenspiel zwischen Grundfreiheiten und Normsetzung ergibt (dazu 1.). Damit verbindet sich ein erheblicher Bestand an vernichteter Rechtsmacht („compétences abolies“) (dazu 2.). Einordnung und Verständnis dieser Mechanismen werden aus deutscher Sicht durch eine Inkongruenz zwischen der deutschen und der unionalen Kompetenzsprache erschwert (dazu 3.).
1. Der Zusammenhang zwischen Grundfreiheiten und Normsetzung
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Konnex Grundfreiheiten und Rechtsetzung
Das bereits erwähnte Alleinstellungsmerkmal der EU gegenüber anderen überstaatlichen Einrichtungen, nämlich aufgrund überlassener Rechtsmacht eigenes Recht zu setzen, wie man es sonst nur aus dem Nationalstaat kennt, steht in einem spezifischen Zusammenhang zu den in den Verträgen enthaltenen Verbotsnormen, die die Errichtung eines Binnenmarktes bezwecken.[45] So besteht ein zumindest faktischer Zusammenhang zwischen der Reichweite der Grundfreiheiten und der Gesetzgebungstätigkeit der Union im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen.[46] Dieser Zusammenhang lässt sich wie folgt beschreiben: Bereits damit, dass eine mitgliedstaatliche Regelung in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten gerät, lässt sich stets ein Tätigwerden der Union begründen – nicht selten auf Grundlage der allgemeinen Binnenmarktkompetenz in Art. 114 AEUV.
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Vergleich mit anderen Freihandelsregimen
Der Vergleich mit anderen Freihandelsregimen macht den qualitativen Unterschied deutlich: Ergibt sich etwa im WTO-Recht, dass eine nationale Maßnahme aus Gründen beispielsweise des Gesundheitsschutzes hinzunehmen ist, dann endet das Freihandelsrecht an dieser Stelle. Es bleibt bei parzellierten Märkten. Anders das Unionsrecht. Selbst wenn in einem ersten Schritt eine Grundfreiheit nicht durchgreift, weil geschriebene oder ungeschriebene Rechtfertigungsgründe, wie etwa Gesundheitsschutz bestehen, so wird doch in einem zweiten Schritt entsprechende Harmonisierungsgesetzgebung naheliegen, um das – zunächst unionsrechtlich hinzunehmende – Hindernis für den Binnenmarkt zu überwinden. Zur Überwindung der parzellierten Märkte zwecks Schaffung des Binnenmarktes liegt die europaweite Harmonisierung nahe. Ob dieser Zusammenhang zwischen negativer Integration (Anwendungsbereich der Verbotsnormen/Grundfreiheiten eröffnet) und positiver Integration (europäischer Gesetzgebung zwecks Rechtsangleichung) sich durchgehend empirisch nachweisen lässt, ist offen. Immerhin lässt sich belegen, dass bestimmte EuGH-Entscheidungen im Bereich der Warenverkehrsfreiheit den europäischen Gesetzgeber auf den Plan rufen.a[47] Jedenfalls erzeugt die Tatbestandlichkeit einer nationalen Maßnahme im Bereich von Grundfreiheiten eine Nähe zum unionsrechtlichen Regelungskreis.
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Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Dies erklärt die Bedeutung von Anwendungsbereichsöffnungen wie etwa der Dassonville-Formel[48] und Anwendungsbereichsverkürzungen wie etwa der Keck-Formel[49] auch für den Rechtsetzungskompetenzbereich der Union. Mit dem Konzept des Beschränkungsverbotes lassen sich bereits die bloßen Unterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen als Problem interpretieren. Die enorme Reichweite der als Beschränkungsverbote verstandenen Grundfreiheiten – im Gegensatz zu reinen Diskriminierungsverboten – erlangt damit eine Bedeutung für die Gesetzgebungsreichweite. Zugleich ergibt sich daraus eine spezifische Dynamik der Gesetzgebung, die auf die Überwindung von Rechtsungleichheit abzielt.[50]
2. Compétences abolies
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Allseits vernichtete Rechtsmacht
Darstellungen, die eine uferlose Weite der europäischen Kompetenzen suggerieren, indem sie die Berührung von Lebensbereichen insbesondere durch die unionsrechtlichen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote mit europäischen Regelungskompetenzen in einen Zusammenhang stellen, verkennen, dass ein europarechtliches Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit etwa im Bereich des Zugangs zu Bildungseinrichtungen keiner allgemeinen europäischen Regelungskompetenz für die Bildungspolitik entspricht.[51] Ähnlich verhält es sich mit dem europarechtlichen Verbot einer Verunmöglichung der effektiven Bekämpfung protektionistischer Subventionen durch nationale Behörden. Dies entspricht keinesfalls einer europäischen Regelungskompetenz für das allgemeine Verwaltungsverfahren oder das nationale Prozessrecht.[52] Vielmehr kommen bestimmte Kompetenzen, wie etwa die Kompetenz zur Regelung des Zugangs zu Bildungseinrichtungen unter Verwendung des Kriteriums der Staatsangehörigkeit, gar keiner öffentlichen Gewalt in Europa mehr zu, weder in den Mitgliedstaaten noch auf europäischer Ebene. Allgemein formuliert: Die Rechtsmacht (Kompetenz), in einer Regelung an ein Tatbestandsmerkmal „Staatsangehörigkeit“ unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen (Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit) besteht in der EU weder auf mitgliedstaatlicher Ebene noch auf europäischer Ebene mehr.[53] Man nimmt diesen Vorgang meist nicht als bewusste, aktive Kompetenzgestaltung wahr. Dennoch hat die Kompetenz sich verflüchtigt und besteht nicht mehr. Hier ist von „compétences abolies“ gesprochen worden.[54]
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Tragweite primärrechtlicher Verbote
Eine Rechtsmacht und Rechtsetzungsspielräume auf Mitgliedstaatenebene vernichtende Wirkung von Unionsrecht geht dabei nicht selten auf das Primärrecht zurück, insbesondere auf die Grundfreiheiten,