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Ebenso sind eine Anstiftung oder Beihilfe am Unterlassungsdelikt möglich. So stellt auch das Unterlassen eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat im Sinne der §§ 26 f. StGB dar. Abzulehnen ist damit insbesondere die Auffassung, die auf der Grundlage einer finalen Handlungslehre eine Teilnahme am Unterlassen deshalb verneint, weil es an einem Unterlassungsvorsatz des Haupttäters fehle, so dass auch „das Wesensmerkmal der Anstiftung nicht erfüllt“ werden könne, „nämlich einen Tatentschluss zu wecken“.[222] Im Ergebnis wird in diesen Fällen daher eine vorsätzliche Begehungstäterschaft seitens des den Tatentschluss Hervorrufenden angenommen, da die Anstiftung bzw. Beihilfe zum Unterlassen eine Handlung darstelle, die für den Erfolg unmittelbar kausal sei.[223]
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Hier zeigt sich die Schwäche der finalen Handlungslehre, da sich ein Unterlassen mit dem Kriterium der Finalität nicht erfassen lässt, denn das Unterlassen stellt gerade keine zielgerichtete Gestaltung des Geschehens durch eine Körperbewegung dar. Zudem führt die finale Handlungslehre bei Unterlassungsdelikten zu einem extensiven Täterbegriff, da sie hier auf die bloße Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges abstellt.[224] Sie setzt sich damit den Einwänden aus, die oben gegenüber einem solchen dargelegt wurden (Rn. 46).
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Ob Garantenpflichten besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB darstellen, hängt mit ihrer Funktion zusammen. Kommt der Garantenpflicht die Funktion zu, das Unterlassen dem Tun gleichzustellen, konkretisiert sie nur das Akt- bzw. Erfolgsunrecht. Sie ist dann ein tatbezogenes Merkmal, so dass § 28 StGB nicht zur Anwendung kommt.[225] Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Garantenstellung auf einem besonderen Verhältnis, einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Garanten und dem Opfer ruht. Das Opfer darf rechtlich darauf vertrauen, dass der Garantenpflichtige die Handlung in der konkreten Situation erbringt.[226] Die Rechtspflicht zu handeln, bezieht sich auf eine konkrete Person und stellt damit ein besonderes persönliches Merkmal dar, so dass § 28 Abs. 1 Anwendung finden muss und die Strafe des Teilnehmers zu mildern ist;[227] differenzierend Otto (→ AT Bd. 3: Otto, § 55 Rn. 79 f.). Die Rechtsprechung hat diese Frage bisher offen gelassen.[228]
2. Beteiligung eines Garantenpflichtigen durch Unterlassen an einem Begehungsdelikt
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Die Beteiligung eines Garantenpflichtigen durch Unterlassen an einem Begehungsdelikt betrifft die Fälle, in denen ein Garant nicht gegen die täterschaftliche Begehungstat einschreitet, obwohl er dazu verpflichtet ist. Würde die Gefahr beispielsweise von der Natur herrühren und der Garant es trotz Handlungsmöglichkeit unterlassen, den Erfolg abzuwenden, würde er als Täter bestraft. Beispiel: Der Vater verhindert nicht (obwohl er es könnte), dass sein Sohn von einem Stein erschlagen wird. Problematisch sind jedoch die Fälle, in denen ein Garantenpflichtiger es unterlässt, die bewirkte Rechtsgutsverletzung eines anderen (Nichtgaranten) zu verhindern. Im Gegensatz zu den Fällen, in denen eine Naturgefahr droht, ist hier zu berücksichtigen, dass eine verantwortliche Person als Täter die Tat begeht. Es treffen damit die Dogmatik der unechten Unterlassungsdelikte mit der Beteiligungslehre aufeinander.[229] Dabei können insbesondere vier mögliche Ansätze unterschieden werden. Die Kriterien der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beim positiven Tun werden auf die Unterlassungsdelikte übertragen (Rn. 118 ff.). In der Literatur weden die Unterlassungsdelikte zum Teil als Pflichtdelikte angesehen, so dass jede Beteiligung durch Unterlassen als täterschaftliches zu werten ist (Rn. 122 f.). Auch besteht die Möglichkeit, nach Qualität und Inhalt der Garantestellungen zu differenzieren (Rn. 124 f.). Schließlich wird in Teilen der Literatur bei der Beteiligung an Unterlassungsdelikten grundsätzlich eine bloße Gehilfenstellung angenommen, sog. Lehre von der Einheitsbeihilfe (Rn. 126 ff.).
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a) Die Rechtsprechung grenzt in den Fällen der Beteiligung eines Garantenpflichtigen durch Unterlassen entweder nach denselben Kriterien ab wie bei den Erfolgsdelikten, nämlich in Form einer normativen Gesamtbetrachtung oder sie nimmt eine Täterschaft an.[230]. In den erstgenannten Fällen soll abgewogen werden, ob die innere Einstellung davon geprägt ist, dass sich der Unterlassende dem Handelnden im Willen unterordnet und das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg im Sinne bloßen Gehilfenwillens lediglich ablaufen lässt.[231] In anderen Fällen hat die Rechtsprechung hingegen, ohne nähere Begründung, eine Täterschaft des unterlassenden Garanten angenommen.[232] Vgl. hierzu → AT Bd. 3: Roxin, § 52 Rn. 242 ff. insbes. Rn. 245 ff.
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Der Rechtsprechung ist entgegenzuhalten, dass sie nicht einheitlich abgrenzt, sondern in manchen Fällen auf das subjektive Element abstellt, in anderen wiederum, ohne eine nähere Begründung von der Täterschaft des Garanten ausgeht. Insofern gewinnt man den Eindruck, dass sie eher intuitiv, denn nach allgemeinen Kriterien vorgeht. Auch ist ein Abstellen auf die subjektive Seite bei Unterlassungsdelikten insofern schwieriger als Begehungsdelikten, als über den Willen auf eine Tatmacht geschlossen wird, dieser sich aber in keinster Weise aufgrund des Nichthandelns in der Außenwelt in Erscheinung tritt. Vgl. auch die Kritik von Roxin unter → AT Bd. 3: Roxin, § 52 Rn. 246.
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Die Literatur hält in Teilen bei einer Beteiligung durch Unterlassen am Kriterium der Tatherrschaft fest und grenzt nach dem Grad der („potenziellen“)[233] Einflussmöglichkeiten des Garanten ab.[234] Dabei solle von indizieller Bedeutung sein, ob der Unterlassende, hätte er seine Handlungspflicht erfüllt, als Täter oder Teilnehmer einzuordnen wäre.
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Diese Lehre vermag deswegen nicht zu überzeugen, weil sie keine klaren Kriterien benennen kann. Unbestimmt bleibt hier insbesondere die Frage, wie sich der Grad bemessen soll, wonach die Einflussmöglichkeit gegenüber dem Handelnden als besonders schwierig oder einfach eingestuft werden kann.[235]
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b) In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass die unechten Unterlassungsdelikte Pflichtdelikte sind. Das führt dazu, dass bereits die Verletzung der rechtlichen Sonderpflicht (die Erfolgsabwendungspflicht) Täterschaft begründet. Täter ist dann derjenige, der „in einer sozialen Pflichtenstellung als Garant für die Nichtabwendung des Erfolges einzustehen hat“. Unterlässt der Garant die Abwendung des Erfolges ist er Täter, auch wenn ein anderer den Tatbestand durch aktives Tun realisiert.[236]
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Gegen diese Lehre greifen die bereits oben gegenüber den Sonderdelikten dargelegten Einwände (vgl. Rn. 46). Zudem führt dieser Ansatz dazu, dass dadurch, dass allein die Garantenstellung