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Übrig bleibt damit nur die Möglichkeit einer fahrlässigen Täterschaft und einer fahrlässigen Beihilfe. Dabei gilt: Die fahrlässige täterschaftliche Beteiligung an fremder Tat setzt voraus, dass der Beteiligte Macht über das im Fahrlässigkeitsdelikt vertypte Unrecht hat. Diese Macht ergibt sich nicht allein daraus, dass der Täter fahrlässig ein späteres Tatmittel (z.B. eine Waffe) liegen lässt. Wohl aber kann eine täterschaftsbegründende Beherrschung des Geschehensablaufs vorliegen, wenn der Täter eine Einwirkung auf einen anderen in fahrlässiger Verkennung der Folgen unterlässt, so wenn der Überwachergarant es fahrlässig versäumt, auf die von ihm überwachte Person tathindernd einzuwirken. Ohne eine solche Beherrschung des Unrechtssachverhalts ist der Beteiligte nicht als Täter erfassbar, sondern nur fahrlässiger Gehilfe fremder Tat und damit de lege lata nicht strafbar.
2. Vorsätzliche Beteiligung an fremder Fahrlässigkeit
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Die vorsätzliche Beteiligung an fremder Fahrlässigkeitstat stellt sich oft als mittelbare Täterschaft des Beteiligten dar. Dies gilt allerdings nur dann, wenn dem Tatmittler die Einsicht in das Unrecht fehlt und der Hintermann die Fehlbarkeit der Mittelsperson für die Verwirklichung seines Unrechtswillens ausnutzt (s.o. Rn. 58 ff.). Eine Zurechnung als Mittäter scheitert demgegenüber am Fehlen eines gemeinsamen Tatplans mit dem fahrlässigen Tatmittler. (Vorsätzliche) Anstiftung und Beihilfe an der fremden Fahrlässigkeitstat sind konstruktiv möglich, scheitern aber de lege lata an der fehlenden Erfassung in § 26 f. StGB.
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Entgegen der überwiegenden Ansicht in der Literatur und der Rspr. ist auch bei Fahrlässigkeitsdelikten keine Einheitstäterschaft anzunehmen, sondern es sind die interpersonalen Besonderheiten in der Interaktion freier Subjekte zu berücksichtigen. An diese Besonderheiten ist auch der Gesetzgeber gebunden und hat diese nicht einfach durch die Schaffung einer fahrlässigen Einheitstäterschaft überwunden. Die Betrachtung zeigt, dass auch der sorgfaltswidrig Handelnde nur dann als Täter des Fahrlässigkeitsdelikts erscheint, wenn ihm die Macht über die Unrechtsrealisierung zukommt. Lässt sich die Rechtsverletzung dagegen nicht als von ihm bewirkt ansehen, bleibt allein übrig, ihn als fahrlässigen Teilnehmer am fremden Delikt zu erfassen.
V. Strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen, Personenverbänden usw.
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In Deutschland können sich bisher allein natürliche Personen strafbar machen. Verbände können bisher nur im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts zur Verantwortung gezogen werden (§§ 30, 130 OWiG).[252] Bei einem delinquenten Verhalten mehrerer ist die Frage der Zurechnung gem. §§ 25 ff. StGB von enormer Bedeutung. In anderen Ländern gibt es hingegen die Strafbarkeit von juristischen Personen bzw. von Organisationen.[253] Allein in der EU besteht diese Möglichkeit in Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, dem Vereinigten Königreich und Zypern.[254] In den USA gibt es die Strafbarkeit von Kapitalgesellschaften.[255]
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Anknüpfend an die oben genannten ausländischen Rechtsordnungen wird gegenwärtig überlegt, eine Verbandsstrafe gegenüber juristischen Personen bzw. gegenüber Personenverbänden einzuführen. Konkret hat die Debatte um ein Unternehmensstrafrecht der 2013 vorgelegte Geseztesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen zur Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden (Verbandsstrafgesetzbuch, VerbStrG-E) angestoßen.[256] Ziel des Gesetzesantrages war es, mit der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur die einzelnen Mitarbeiter eines Unternehmens strafrechtlich belangt werden können, sondern das Unternehmen als Ganzes in den Fokus der Strafverfolgung gerückt wird. Denn das Unternehmen profitiere letztlich auch von den Taten. Demgegenüber, so der Entwurf weiter, werde das bisherige Ordnungswidrigkeitenrecht den Anforderungen der heutigen Organisationsgesellschaft nicht mehr gerecht. Die bloße Verhängung von Bußgeldern erzeuge keine hinreichende Präventivwirkung. Sie blieben gerade für große Wirtschaftsunternehmen ein kalkulierbares Risiko. Aufgrund komplexer organisatorischer Unternehmensstrukturen sei es häufig weder möglich, die Tat einem einzelnen Täter zuzuordnen, noch das schuldhafte Versagen entsprechender Aufsichtsstrukturen zu belegen. In diesen Fällen der sog. „organisierten Unverantwortlichkeit“ könne die Verbandsstraftat im Ergebnis überhaupt nicht sanktioniert werden. Das sei aber unbefriedigend.[257]
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Der Entwurf sieht Verbandssanktionen in Form von Verbandsstrafen einerseits und Verbandsmaßregeln andererseits vor. Als Verbandsstrafen sind die Verbandsgeldstrafe, die Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt und die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung vorgesehen (§ 4 Abs. 1 VerbStrG-E). Verbandsmaßregeln umfassen den Ausschluss von Subventionen oder von der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie als letztes Mittel die Verbandsauflösung (§ 4 Abs. 2 VerbStrG-E), also gewissermaßen eine Todesstrafe für das Unternehmen als ultima ratio.
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Die Diskussion um ein eigenständiges Unternehmensstrafrecht ist nun nicht neu. Schon seit Jahrzehnten wird das Thema immer wieder von Neuem diskutiert. Beispielsweise hat sich schon 1953 die strafrechtliche Abteilung des Deutschen Juristentages mit der Frage beschäftigt, ob es sich empfiehlt, die Strafbarkeit von juristischen Personen gesetzlich vorzusehen und dies im Ergebnis verneint. Denn Strafe dürfe nur wegen einer rechtswidrig-schuldhaften Handlung verhängt werden und juristische Personen seien weder handlungs- noch schuldfähig.[258]
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Der Begriff des Rechts ist, wie dargelegt wurde, mit dem Begriff des personalen Unrechts verbunden. Unabhängig davon, welchen Handlungsbegriff oder welche Handlungslehre man zugrunde legt, gehen jedenfalls alle davon aus, dass es um menschliches Handeln geht. Selbst die kausale Handlungslehre nach der Formulierung von Listzs begreift die Handlung als „die auf menschliches Wollen zurückführbare Bewirkung einer Veränderung in der Außenwelt“.[259] Schon nach einem solchen naturalistisch-reduzierten, den Willensinhalt nicht berücksichtigenden Handlungsbegriff kann ein Unternehmen als bloße Sachmittel- und Personeneinheit nicht handeln. Denn vorausgesetzt wird jedenfalls eine auf „menschliches Wollen zurückführbare Bewirkung“ einer Außenweltveränderung. Handeln können danach nur die einzelnen, für das Unternehmen tätigen Personen. Die Einführung einer Verbandsstrafbarkeit würde daher voraussetzen, dass ein Handeln der einzelnen Personen des Verbandes diesen als Ganzes treffen kann, wenn ihm das Handeln seiner Mitarbeiter zugerechnet werden könnte. Dem Recht sind nun solche Zurechnungsnormen nicht fremd. Sowohl in der zivilrechtlichen Deliktshaftung als auch im Rahmen der Haftung innerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts ist eine solche Zurechnung vorgesehen. So ist nach § 31 BGB der Verein für den Schaden verantwortlich, den beispielsweise der Vorstand einem Dritten zufügt, wenn der Vorstand dabei in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen gehandelt hat. Eine solche Haftung im Zivilrecht kann jedoch nicht einfach auf das Strafrecht übertragen werden. Im Zivilrecht geht es um die Frage der Haftungsübernahme für einen eingetretenen Vermögensschaden, nicht um Sanktionen. Es soll eine gerechte Schadensverteilung erfolgen, der geldwerte Schaden ist vom Verursacher auszugleichen.[260] Im Strafrecht geht es demgegenüber gerade nicht um einen monetären Schadensausgleich, sondern um die Verhängung von Strafe zur Wiederherstellung