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Strafe setzt zudem schuldhaftes Handeln voraus („nulla poena sine culpa“). Die Voraussetzung der Schuld für die Verhängung von Strafe ist nun keine Erfindung des Gesetzgebers, sondern hat ihren Grund in der beschriebenen freiheitlichen Konstitution des Menschen. Denn – wie bereits gesagt wurde – ist der freie Einzelne notwendig Mitkonstituent des Rechts und zwar in einem grundlegenden Sinne. Der Täter rückt als Person nicht erst durch seine Tat ins Recht, sondern konstituiert es mit. Daher kann ihm auch im Falle der tätigen Verletzung des Rechts diese vorgeworfen werden. Der Verletzungserfolg ist kein Zufall, ist kein Unglück, sondern er ist zurückzuführen, auf ein schuldhaft begangenes personales Unrecht. Das strafrechtliche Schuldprinzip ist – wenn auch nicht ausdrücklich – im Grundgesetz verankert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurzelt der Schuldgrundsatz in der „vom Grundgesetz vorausgesetzten und in Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG verfassungskräftig geschützten Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, die von dem Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Strafrechts zu achten und respektieren sind.“[263] Insofern ist auch die Verhängung von Verbandsanktionen nach §§ 30, 130 OWiG nach dem vorliegenden Begründungszusammenhang fragwürdig. Denn diesen kommt jedenfalls auch eine repressive Aufgabe zu, wenn auch im Gewande des Ordnungsunrechts.[264]
12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 50 Die Lehre von der Beteiligung › F. Zusammentreffen mehrerer Beteiligungsformen
F. Zusammentreffen mehrerer Beteiligungsformen
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Treffen beim Handelnden mehrere unterschiedliche Beteiligungsformen an derselben Tat zusammen, ist grundsätzlich wie folgt zu unterscheiden: Die jeweils schwächere Beteiligungsform tritt hinter der stärkeren zurück. So verdrängt die Täterschaft eine Teilnahme an einer Tat; Beihilfe tritt hinter Anstiftung zurück.[265] In bestimmten Konstellationen kommt Idealkonkurrenz zwischen Mittäterschaft und Beihilfe in Betracht. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich ein Mittäter, ohne Bandenmitglied zu sein, an einem Bandendiebstahl vorsätzlich beteiligt.[266] Bestehen hinsichtlich der Form der Beteiligung Zweifel, ist in dubio pro reo wegen der schwächeren Beteiligungsform zu verurteilen.[267]
12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 50 Die Lehre von der Beteiligung › G. Beteiligungsformen im Romstatut und im deutschen VStGB
G. Beteiligungsformen im Romstatut und im deutschen VStGB
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Art. 25 Abs. 3 IStGH-Statut regelt besondere Beteiligungsformen, die jedoch anders als in den §§ 25 ff. StGB bezeichnet und systematisiert sind. Hinsichtlich der Rechtsfolgen findet ebenfalls keine Differenzierung statt. Art. 25 Abs. 3 lit. a regelt sinngemäß die Selbsttäterschaft („selbst“), Mittäterschaft („mit einem anderen gemeinschaftlich“) und die mittelbare Täterschaft („durch einen anderen“). Bei letzterer Täterschaftsform werden nach dem Wortlaut ausdrücklich auch solche Fälle erfasst, in denen der Vordermann selbst vollverantwortlich handelt; insofern hat auch der IStGH in seinen Entscheidungen Bezug zur Lehre Roxins hinsichtlich der Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate genommen.[268] Art. 25 Abs. 3 lit. b normiert Formen der „geistigen Urheberschaft“ („anordnet“, „dazu auffordert“ oder „dazu anstiftet“). Art. 25 Abs. 3 lit. c regelt sinngemäß Beihilfeformen („Beihilfe“, „sonstige Unterstützung“, „Bereitstellung der Mittel für die Begehung“).
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Das VStGB enthält keine eigenständigen Sonderregelungen für Täterschaft und Teilnahme, sondern verweist in § 2 VStGB auf das allgemeine Strafrecht und damit auch auf die §§ 25 ff. StGB.[269] Besonders normiert ist hingegen in § 4 VStGB die Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter. Vgl. auch → AT Bd. 3: Roxin, § 52 Rn. 71 f.
12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 50 Die Lehre von der Beteiligung › Ausgewählte Literatur
Ausgewählte Literatur
Bloy, René | Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985. |
Bolowich, Michael | Urheberschaft und reflexives Verständnis, 1995. |
Jakobs, Günther | Theorie der Beteiligung, 2014. |
Johannsen, Sven Leif Erik | Die Entwicklung der Teilnahmelehre in der Rechtsprechung, 2009. |
Kahlo, Michael | Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1990. |
Klesczewski, Diethelm | Selbstständigkeit und Akzessorietät der Beteiligung an einer Straftat, 1998. |
Lüderssen, Klaus | Zum Strafgrund der Teilnahme, 1967. |
Murmann, Uwe | Die Nebentäterschaft im Strafrecht, 1993. |
Noltenius, Bettina | Kriterien der Abgrenzung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft, 2003. |
Otto, Harro | Beihilfe durch Unterlassen, Jura 2017, 289 ff. |
Rotsch, Thomas | „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft. Zur Abkehr von einem differenzierenden Beteiligungsformensystem in einer normativ-funktionalen Straftatlehre, 2009. |
Roxin, Claus | Täterschaft und Tatherrschaft, 2015. |
Zaczyk, Rainer | Das Unrecht der versuchten Tat, 1989. |
Anmerkungen
Vgl. zum gemeinen Recht Bloy, Zurechnungstypen, S. 47 ff.; Bolowich, Urheberschaft und reflexives Verständnis, S. 11 ff.
Bloy, Zurechnungstypen, S. 67 ff. m.w.N.