g) Günther Jakobs „Theorie der Beteiligung“[193]
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Jakobs Theorie der Beteiligung verfolgt einen anderen Ansatz. Bereits die Unterscheidung von Tätern und Teilnehmern ersetzt er durch die Differenzierung zwischen der „ein Delikt Ausführenden“ (Täter) von „im Vorfeld der Ausführung Beteiligten“ (Teilnehmer). Dabei geht es ihm um „Quantitäten der Zuständigkeit“.[194] Derjenige sei für ein eingetretenes Delikt „zuständig“, der es „voranbring(e)“.[195] Das Unrecht der Tat liege in der Tatausführung, d.h. in der Tatbestandsverwirklichung vom Versuchsbeginn bis zum Abschluss des Erfolgseintritts.[196] So bringe die Realisierung einer deliktischen Planung derjenige voran, der eine Leistung erbringe, die insgesamt für den Abschluss der Ausführung erforderlich sei. Das beinhalte sowohl ein Verhalten im Vorfeld der Tat (Beteiligung) als auch die Ausführung der Tat selbst (Ausführender).[197]
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Die Beteiligten (Teilnehmer) sollen nun für ein Unrecht haften, das sie selbst nicht mit eigener Hand vollziehen. So untersage die Norm wie § 212 oder § 223 StGB, einen anderen zu töten, zu verletzen usw. Ihr komme damit die Aufgabe zu, das Verhalten der Bürger zu steuern und so stabilisierend auf das Gesellschaftssystem zu wirken. Das Strafrecht garantiere daher nicht einen Güterschutz, sondern die Sicherung der Normgeltung, die „Enttäuschungsfestigkeit der wesentlichen normativen Erwartungen“.[198] Nicht die Verursachung des Todes eines Menschen sei für die Strafrechtsgutsverletzung entscheidend, denn sie stelle nur eine schlichte Gutsverletzung dar, sondern der in der „vermeidbaren Tötung liegende Normwiderspruch“.[199] Das Strafrecht wirke daher generalpräventiv, nicht nur negativ in Form von Abschreckung, sondern vor allem positiv in der Einübung von Normanerkennung.[200] Für den Beteiligten bedeute die Norm folgendes: Du sollst dich nicht für die Ausführung einer Verletzung (auch im Versuch) zuständig machen.[201] Die Ausführung der Normverletzung sei dann für den Beteiligten auch eine eigene, wenn auch eine durch fremde Hand vollzogene; insofern stelle sie auch eigenes Unrecht dar. Ein bloßes Verhalten im Vorfeld (vor Versuchsbeginn) sei insoweit noch nicht normwidrig. Wer also einen anderen dazu bringe, den Entschluss zu fassen, einen Feind zu töten, widerspreche dadurch noch nicht der Tötungsvollzüge untersagenden Norm. Damit ist, was Jakobs auch erkennt, § 30 StGB nicht kompatibel.[202] Bedeutung soll ein solches Vorfeldverhalten aber insofern haben, als es zwar noch kein Unrecht nach außen darstelle, aber eine Obliegenheitsverletzung nach innen sei. Komme es (zumindest zum Versuch) durch den Ausführenden („durch fremde Hand“) und werde so die „interne deliktische Planung externalisiert“, werde damit auch eigenes Unrecht des Beteiligten begründet.[203]
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Eine Beteiligung setze zudem eine schuldhafte Tatausführung voraus, da einem schuldlos Handelnden die Kompetenz fehle, „seine Verhaltensbedeutung gegen die Bedeutung der Norm zu stellen“.[204] So lasse sich eine Trennung zwischen Vorsatz und Unrechtsbewusstsein nicht durchführen: Die Kenntnis der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen umfasse zum einen auch das Bewusstsein, sich unrecht zu verhalten. Zum anderen sei das Handeln Schuldloser, wie seelisch kranker Menschen, letztlich „reine Triebregung“, sie könnte normative Erwartung nicht enttäuschen, sondern entsprächen vielmehr dem „Einsatz von Maschinen oder Tieren“.[205] Daher fordert Jakobs eine strenge Akzessorietät der Beteiligung. Handelt der Ausführende schuldlos, komme bei demjenigen, der „über einen nicht Verantwortlichen“ agiere, nur mittelbare Täterschaft in Betracht.
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Der (positiv) generalpräventive Ansatz Jakobs verliert schon im Begründungsansatz die Person aus den Augen. Maßgeblich ist die Wirkung der Strafe für die Gesellschaft. Der Einzelne wird damit weder in die Normbegründung noch in die Strafbegründung aufgenommen, sondern als Objekt zum Mittel anderer. Er wird nicht bestraft, weil er eine Straftat begangen hat, sondern seine Bestrafung dient den anderen Systemmitglieder als Einübungsobjekt ihrer „normativen Erwartungen“. Aber auch die übrigen (rechtstreuen) Gesellschaftsmitglieder werden in ihrem Selbstverständnis zu Objekten herabgesetzt, da sie nicht als autonome Personen, sondern als solche behandelt werden, die aufgrund ihrer Hilflosigkeit in ihrer Normorientierung immer wieder zu Lasten anderer Rechtstreue erlernen müssen.[206] Zudem macht das Jakobs’sche Verständnis des schuldlos Handelnden deutlich, dass er ihn mit einem Naturereignis oder einer Maschine gleichsetzt. Er geht dann auch davon aus, dass es sich dabei nicht um einen Fall der Beteiligung, sondern um einen „phänotypisch verkappt(en) Fall unmittelbaren Begehens“ handle.[207] Das ist zwar in der Sache konsequent, reduziert jedoch den Menschen auf einen Kausalprozess. So betrachtet Jakobs auch schuldlos Handelnde nicht mehr als Rechtssubjekte, sondern als natürliche oder mechanische „Störfaktoren“ der sozialen Gemeinschaft[208].
h) Die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutsangriff
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Die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutsangriff beschreibt zutreffend sowohl die Mitwirkung an fremdem Unrecht als auch das Erfordernis der limitierten Akzessorietät. Allerdings mangelt es dieser Lehre an einer Begründung, warum eine „bloße“ Mitwirkung am Unrecht eines anderen, der selbst tatbestandsmäßig und rechtswidrig handelt, strafbares Unrecht begründen kann. Es ist daher einerseits näher auszuweisen, welche Bedeutung die limitierte Akzessorietät für die Teilnahme hat und wie die unterschiedlichen Beiträge des „Bestimmens“ bzw. des „Hilfeleistens“ bezogen auf die Haupttat zu bestimmen sind.
2. Erfordernis der limitierten Akzessorietät
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Anders als dem Täter kommt dem Teilnehmer nicht die Herrschaft über die Verletzungshandlung und damit auch über den Verletzungserfolg zu, sondern er wirkt „nur“ an der Gestaltung eines anderen mit. Voraussetzung für die Teilnahme an der Tat eines anderen ist zweierlei: Zum einen muss einer anderen Person die Herrschaft über ein tatbestandsmäßiges Verletzungsgeschehen zukommen, an der der Anstifter oder Gehilfe teil-nehmen kann. Damit wird deutlich, dass sich die Teilnahmehandlung nicht unabhängig vom Verhalten des Täters bestimmen kann, sondern einen unmittelbaren Bezug zur konkreten tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Haupttat haben muss (sog. limitierte Akzessorietät, vgl. näher Rn. 94–96). Zum anderen muss die teilnehmende Person an dieses konkrete Verhalten anknüpfen und zwar nicht unabhängig vom Ersthandelnden oder rein zufällig, sondern bewusst. Das bedeutet auch, dass der Teilnehmer nur hinsichtlich seines tatsächlich geleisteten Tatbeitrags bezogen auf die Haupttat haftet. Begeht beispielsweise der Haupttäter eine gefährliche Körperverletzung, bezog sich der Tatbeitrag des Teilnehmers aber nur auf eine einfache Körperverletzung, kann sich die Mitzurechnung nur auf letztere beziehen. Schließlich ist eine Teilnahme nur möglich, wenn das vom