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Mit der Methode der „wertenden Gesamtbetrachtung“ behält sich der Bundesgerichtshof eine Flexibilität für Einzelfallentscheidungen vor, die eher von Intuition denn von einer dogmatisch sauberen Begründung für die Bestimmung von Abgrenzungskriterien von Täterschaft und Teilnahme geprägt ist.[71] So zeigt sich auch, dass sich die Rechtsprechung im Rahmen der mittelbaren Täterschaft zwar scheinbar an dem Begriff der Tatherrschaft orientiert, tatsächlich aber den Vordermann als bloßen Kausalfaktor betrachtet und dabei die Tatbestandsbezogenheit des Täterschaftsbegriffs auflöst.[72] Das gilt insbesondere für die Fälle der sog. Organisationsherrschaft des Hintermanns, die nicht nur bei staatlichen Organisationsstrukturen, sondern auch bei „unternehmerischen“ oder gar „geschäftsähnlichen“ Organisationsstrukturen, insgesamt „Befehlshierarchien“ in Betracht kommen soll. Eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft soll dann gegeben sein, wenn ein Hintermann diese Organisationsstrukturen ausnutze und sein Tatbeitrag insofern regelhafte Abläufe auslöse. „Handelt (. . .) der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns, ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft.“[73]
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Auch wenn der BGH hier den Begriff der Tatherrschaft verwendet und damit auf den ersten Blick scheinbar ein objektives Kriterium nennt, wird dies letztlich durch den Täterwillen ersetzt, der nur verbunden sein muss mit einer irgendwie gearteten Organisationsstruktur. Bei dieser soll es unerheblich sein, ob es sich um einen staatlichen Machtapparat, wie z.B. der Nationale Verteidigungsrat der DDR[74] oder eine OHG[75], eine GmbH[76] oder eine Tierarztpraxis[77] handelt; bloße Weisungsverhältnisse sollen ausreichen, um den Hintermann zum Täter hochzustufen und den Vordermann auf einen Kausalfaktor zu reduzieren.[78]
III. Die teleologische Lehre und die formal-objektive Beteiligungslehre
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Anfang des 20. Jahrhunderts war die formal-objektive Beteiligungslehre in der Literatur vorherrschend und sie lag auch dem Amtlichen Entwurf 1925 zugrunde. Ihre Grundlage bildete ein teleologisches Verständnis; für das Recht sollten teleologische Bestimmungen auf der Basis von in der Gesellschaft liegenden Wertvorstellungen maßgeblich sein.[79] So stellte die Feststellung des Verbrechens als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung ein bloßes Werturteil des Gesetzgebers dar.[80] Für die Beteiligungslehre hatte dies zur Folge, dass die Abgrenzungskriterien formal-objektiv zu bestimmen sind. Ausgangspunkt sollte zunächst das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens sein, welches sodann in ein Verhältnis zum jeweiligen Deliktstatbestand zu setzen war.
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Die teleologische und darauf ruhend die objektiv-formale Beteiligungslehre wendete sich somit insbesondere auch gegen die Kausalitätslehren. Die Frage nach der Kausalität sei lediglich eine „strafrechtliche Arbeitshypothese“[81]. Für die strafrechtliche Beteiligungslehre sei die Äquivalenztheorie daher zwar im ersten Schritt noch von Bedeutung, da sie allein die Frage nach der naturhaften Gleichwertigkeit der Bedingungen zu klären vermöge, sie lasse aber keine Differenzierungsmöglichkeit von täterschaftlichem und teilnehmendem Verhalten zu. Die Mitverursachung des Erfolges sei insofern zwar unentbehrliche Voraussetzung für die Frage strafrechtlicher Haftung, mehr vermöge sie aber nicht zu leisten. Die unterschiedlichen Beteiligungsformen seien daher in einem weiteren Schritt aus den Wertungen des positiven Rechts und des mit ihm verfolgten Zwecks zu ermitteln. Maßgeblich für die Bestimmung des Täters sei, ob dieser die in den Tatbeständen des Besonderen Teils umschriebenen Handlungen ganz oder jedenfalls teilweise selbst ausführe. Täter sei also derjenige, wer den Tatbestand verwirkliche, während Teilnehmer den gesetzlichen Tatbestand gerade nicht realisierten.[82]
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Die formal-objektive Lehre wendet sich auch gegen die subjektive Lehre v. Buris und des Reichsgerichts. Die Schlagworte „animus auctoris“ und „animus socii“ stellten keine wirkliche Begriffsbildung dar, sondern liefen letztlich auf eine intuitive Entscheidung hinaus, wer als Täter und wer als Gehilfe zu bewerten sei. Der Gegensatz: „Wollen der Tat als eigener oder fremder aber berücksichtigt nicht, dass jeder vorsätzlich Mitwirkende den Erfolg als Ergebnis seiner eigenen Mitwirkung will und nur deshalb überhaupt strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann.“[83]
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Während die formal-objektiven Theorien die Unterscheidung zwischen Beihilfe und Täterschaft allgemein befürworteten, herrschte bezüglich der Differenzierung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft Uneinigkeit.[84] Die Gehilfenhandlung unterscheide sich bereits objektiv sichtbar von der eines Täters, der die Tat tatsächlich ausführe. Die Verschiedenheit der Beteiligungsformen von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft wird demgegenüber zum Teil als „doktrinär“[85] betrachtet und als eine künstliche Erweiterung der Teilnahme zu Lasten der Täterschaft begriffen. Beides seien vielmehr insgesamt Formen der „intellektuellen Täterschaft“. Das Entscheidende sei, dass die Haupttat bedingt durch den Hintermann verwirklicht werde. Auf die unterschiedliche Einwirkung des Hintermanns auf die Mittelsperson solle es demgegenüber nicht ankommen. Diese stelle nur eine Vorbereitungshandlung dar. Maßgeblich sei für die Frage der Urheberschaft zum einen die Ausführungshandlung, d.h. die Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung, und zum anderen die Frage, ob sie durch die Mitwirkung eines hinter dem Ausführenden Stehenden erfolgt sei oder nicht.[86] Zum Teil wird aber auch eine Unterscheidung befürwortet und nur die Anstiftung als „intellektuelle Urheberschaft“ bezeichnet, während die mittelbare Täterschaft sich bereits aus der Begründung des allgemeinen Täterbegriffs ergeben soll und nur eine besondere Form desselben darstellt.[87]
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Der formal-objektiven Theorie liegt letztlich ein extensiver Täterbegriff zugrunde. Nur dadurch, dass das Gesetz zwischen Täterschaft und Teilnahme tatsächlich unterscheidet, kann eine unterschiedliche Bewertung vorgenommen werden. Die Bewertung „Täter“ und die strafrechtliche Haftung für sein Verhalten muss eigentlich auf jeden bezogen werden, „der eine Tatbestandsverwirklichung, und damit (. . .) eine Rechtsgutsverletzung rechtswidrig und schuldhaft“[88] bewirkt. Die Regelungen der Anstiftung und Beihilfe stellen dann lediglich „Strafeinschränkungsgründe“ dar, die die ansonsten aus der Kausalbeziehung gegebene Täterstrafe gesetzlich einschränken, und an deren Stelle eine andere Bestrafungsform tritt. Durch die gesetzespositivistische Geisteshaltung und die rein formale Betrachtung bleibt zudem die subjektive Seite personalen Handelns unberücksichtigt.
IV. Tatherrschaftslehren (materiell-objektive Beteiligungslehren)
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Die heutige Wissenschaftsdiskussion um die Frage der Täterschaft wird im Wesentlichen von der Tatherrschaftslehre geprägt, deren Grundlage zunächst die von Hans Welzel begründete finale Handlungslehre bildete.[89] Auch wenn die Tatherrschaftslehre auf verschiedenen Begründungsansätzen ruht und sich somit in ihrer näheren Ausgestaltung zu Einzelfragen unterschiedlich darstellt, wird der Täter jedenfalls als derjenige betrachtet, der die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Geschehens „in den Händen hält“. Beteiligen sich mehrere an einer Straftat, ist derjenige Täter, der für das Geschehen die zentrale Person ist. Im Folgenden sollen für die Tatherrschaftslehre die Lehren Welzels und Roxins vorgestellt und mit ihrem methodischen Ansatz verbunden werden.