21
Auch wenn damit bloße Kausalität für die Zuschreibung des Erfolges zur Handlung einer Person nicht ausreicht, sondern die Kriterien der objektiven Zurechnung miteinbezogen werden, bleibt die subjektive Seite des personalen Handelns bei Rotsch bezogen auf die Frage der Zuständigkeit für die Rechtsgutsbeeinträchtigung unberücksichtigt.[36] Das führt letztlich auch zu einem extensiven Unrechtsverständnis.[37] Wer einem anderen eine Waffe verkauft, mit der ein Dritter getötet wird, tötet nicht selbst (auch nicht „mittelbar“ als Täter), schon gar nicht, wenn er nicht weiß, was der Käufer mit der Waffe beabsichtigt. Vielmehr beteiligt er sich an der Tötungshandlung eines anderen; Beihilfe-Unrecht ist aber erst realisiert, wenn der Verkäufer um die Tat des Käufers wusste. Ebenso wie die Vertreter „klassischer“ Einheitstätersysteme verliert der Ansatz Rotschs damit die objektiv-subjektive Einheit menschlichen Handelns aus den Augen. Das Recht und damit auch das Strafrecht sind an die Strukturen personalen Handelns gebunden.[38] Dieses ist aber mehr als die bloße objektive Veränderung der Wirklichkeit. Der Mensch agiert nicht nach bloßen Kausalgesetzen der Natur, sondern ist in der Lage, selbstbestimmt zu handeln. Personales Handeln lässt sich daher nicht auf bloß kausale Zusammenhänge reduzieren. Daher genügt auch zur täterschaftlichen Unrechtsrealisierung nicht das bloße Setzen einer objektiven Bedingung bezogen auf die Rechtsverletzung. Wirken nun mehrere Personen an einer Unrechtstat mit, können ihre Handlungen hinsichtlich der Rechtsverletzung ebenso wenig als Kausalfaktoren betrachtet werden. Denn auch hier geht es um ein freiheitliches Zusammenwirken mehrerer. Die Beteiligten bewirken nicht zufällig eine Rechtsverletzung, sondern es ist ein bewusstes personales Zusammenwirken. Dabei sind die Unterschiede in der Qualität der Tatbeiträge bezogen auf die bewirkte Rechtsverletzung zu berücksichtigen. Das täterschaftliche Begehen einer Tat ist nicht gleichzusetzen mit dem bloßen Bewirken des Taterfolges. Während dem Täter die Herrschaft über das rechtsverletzende Geschehen tatsächlich zukommt, kommt dem Teilnehmer diese Macht gerade nicht zu. Bereits auf Unrechtsebene besteht damit ein Unterschied, ob jemand einem anderen eine Waffe besorgt oder ob jemand eine Person mit dieser Waffe eigenhändig tötet. Auch wenn derjenige, der die Waffe besorgt hat, ursächlich gewesen sein mag für den Tod eines anderen und die Tat damit gefördert hat, ist der Tod letztlich nicht sein Werk, sondern das des Haupttäters. Der Teilnehmer leistet damit nur einen Beitrag zu der konkreten Rechtsverletzung eines anderen. Anders als dem Täter kommt dem Teilnehmer nicht die Herrschaft über die Verletzungshandlung und damit auch den Verletzungserfolg zu, sondern er wirkt „nur“ an der Gestaltung eines anderen mit. Ein restriktiver Unrechtsbegriff setzt damit eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme bereits auf der Unrechtsebene voraus. Den Nivellierungstendenzen seitens der Rechtsprechung und des Gesetzgebers ist daher entgegenzuwirken, an einem restriktiven Unrechtsbegriff und der damit verbundenen Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme auf Unrechtsebene ist festzuhalten; den Aufweichungstendenzen hinsichtlich der Unterscheidung der Beteiligungsformen ist daher nicht nachzugeben.[39]
12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 50 Die Lehre von der Beteiligung › C. Zur Diskussion um die Kriterien der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
C. Zur Diskussion um die Kriterien der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
22
Die Diskussion um die Nivellierungstendenzen und damit verbunden um die Einheitstäterschaft haben gezeigt, dass es sich um eine Diskussion handelt, die über die Betrachtung des positiven Rechts hinausgeht und mit der Bestimmung menschlichen Handelns überhaupt in einem Zusammenhang steht. Die Lösungswege, die sich in Literatur und Rechtsprechung entwickelt haben, sind daher in ihre theoretischen Grundlagen[40], insbesondere in eine Auseinandersetzung mit dem Handlungsbegriff einzubetten. Dabei ist die Funktion, die dem strafrechtlichen Handlungsbegriff bei der Klärung der Frage der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zukommt, hoch umstritten. Die Ansichten reichen von der Erhebung des Handlungsbegriffs zum Grundbegriff bzw. Oberbegriff des Verbrechenssystems[41], über die Zuweisung einer Abgrenzungsfunktion[42] bis hin zur Versagung einer Funktion im Strafrecht[43]. Insbesondere diejenigen, die den Handlungslehren eine generelle Funktion im Strafrecht versagen, übersehen, dass auch der Gesetzgeber an die interpersonale Wirklichkeit und damit an die Wirkverhältnisse der handelnden Subjekte untereinander gebunden ist. Die Bestimmung der Beteiligungsformen muss daher auch die Handlungszusammenhänge der Beteiligten erfassen. Die Handlungsstrukturen bilden Ausgangspunkt und Grenze der Betrachtung.[44]
23
Die im Folgenden dargelegten Ansätze erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie können vielmehr nur einen groben und kursorischen Überblick über die Diskussion zu den Abgrenzungskriterien von Täterschaft und Teilnahme geben. Ausgeklammert wird zudem an dieser Stelle die Frage, ob auch Fahrlässigkeitstaten mitzugerechnet werden können (vgl. hierzu unten Rn. 130 ff.).
I. Naturalistisch-subjektivistische Beteiligungslehre und die Rechtsprechung des Reichsgerichts
24
Der subjektivistischen Beteiligungslehre liegt ein naturalistisches Handlungsverständnis zugrunde, das seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rechtswissenschaft beherrschte. Zu dieser Zeit prägten naturalistische und evolutionistische Denkweisen die Wissenschaft. Es ging darum durch empirische Beobachtungen die äußeren Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten zu erforschen und dadurch voraussehen und beherrschen zu können.[45] So betrachtete man auch als Aufgabe der Strafrechtswissenschaft kausale Erklärungen von Verbrechen und Strafe liefern zu können.[46] Dazu beobachtete man den Taterfolg und den dafür ursächlichen handelnden Menschen. Der handelnde Mensch wurde beobachtet und untersucht, wie er der Naturkausalität unterworfen ist. Für einen empirischen Beobachter stellte sich die Handlung als Körperbewegung dar, die für eine Veränderung in der Außenwelt ursächlich war. Dabei galten alle Bedingungen, die zum Erfolg beitrugen, als gleichwertig. Der Wille der Handelnden blieb unberücksichtigt.[47] Generell wurden metaphysische Überlegungen nicht angestellt, denn es galt das Credo „Die Wissenschaft hört auf, wo die Metaphysik beginnt.“[48] Allein was empirisch nachweisbar war, galt als Wissenschaft. Der Mangel bloß empirischer Betrachtung von außen wird bei von Liszt besonders deutlich am Beispiel der Beleidigung: Die Beleidigung versteht er als Erregung von Luftschwingungen und physiologischer Prozesse in dem Nervensystem des Angegriffenen.[49]
25
Menschliches Handeln wird danach