MausMaus, Ingeborg entwickelt einen Vorschlag zur Reaktualisierung der VolkssouveränitätVolkssouveränität durch Prozeduralisierung demokratischer Rechtsetzung, der die funktionale Differenzierung gesellschaftlicher Systeme zum Ausgangspunkt hat. Gleichzeitig wendet sich dieser Vorschlag institutionalisierter Basisdemokratie gegen die »defensive« Haltung von HabermasHabermas, Jürgen’ Theorie des kommunikativen Handelnskommunikatives Handeln, die die Systeme »resignativ« sich selbst überlasse[61] und fordert explizit, auch innerhalb der Systeme Zonen autonomer diskursiver Normbildungsprozesse zu errichten[62]. Zunächst sei es »notwendig, die Unbestimmtheit materiellen Rechts durch die Präzision des Verfahrensrechts zu kompensieren«[63]. In einem zweiten, entscheidenden Institutionalisierungsschritt sei dann eine Ebene »demokratischer Reflexivität« in der Normsetzung selbst einzurichten. Mit der Unterscheidung zwischen einer zentral vorgenommenen Setzung von Verfahrensrecht und einer davon getrennten dezentralen Rechtsetzung, könnten in »bereichs- und gruppenspezifischen Teilmengen des Rechts« gesellschaftlich autonome Rechtsetzungsprozesse verwirklicht werden[64]Maus, Ingeborg. Dabei wären Verfahrenspositionen gesetzlich so zuzuweisen, dass Minderheiten sich gegen Majorisierungen selbst schützen könnten[65]; in zentralen Bereichen müssten betroffene Minderheiten über »verfahrensförmige Vetopositionen« verfügen[66]. Die Besonderheit dieses Vorschlags dezentraler Gesetzgebung besteht darin, dass im Gegensatz zur spontanen Ausdifferenzierung von rechtsschöpfenden Diskursen, wie sie der systemtheoretische Rechtspluralismus aufgreift[67], »die betroffenen Konfliktparteien […] mit symmetrischen Verhandlungspositionen ausgestattet werden, die die Asymmetrien gesellschaftlicher Macht rechtlich kompensieren« sollen[68].
Aus der Perspektive der VolkssouveränitätVolkssouveränität formuliert MausMaus, Ingeborg auch ihre Kritik an den Rechtstheorien von John RawlsRawls, John und Jürgen HabermasHabermas, Jürgen. Der Kontraktualismus der Aufklärung unterscheidet sich MausMaus, Ingeborg zufolge vom Gebrauch des kontraktualistischen Urzustands in Rawls’ Eine Theorie der Gerechtigkeit dadurch, dass er allein eine Struktur egalitärer Normsetzung auszeichnet und sich nicht imstande sieht, wie RawlsRawls, John aus einer solchen Struktur auf »expertokratischem« |23|Weg verbindliche Prinzipien einer gerechten Sozialordnung abzuleiten[69]. Dennoch steht Maus’ Konzeption dem kontraktualistischen Verhandlungsmodus in RawlsRawls, John’ Urzustand in einer Hinsicht näher als der DiskurstheorieDiskurstheorie von HabermasHabermas, Jürgen. Sie hält eine im engen Sinn eigeninteressierte Orientierung der Teilnehmer in allen verfassungs- und gesetzgebenden Kontexten für hinreichend; sie setzt auf faire Verhandlungen, nicht auf praktische Diskurse. Zwar stimmen MausMaus, Ingeborg und Habermas darin überein, dass die Verfahrensbedingungen von Rechtsetzungsprozessen die Einnahme diskursiver Einstellungen durch die Beteiligten weitgehend simulieren oder ihr Fehlen kompensieren sollen[70]. Eine signifikante Unterscheidung zwischen deliberativer und strategischer Diskussion innerhalb dieser Kontexte ist aber mit Maus’ Ansatz unverträglich. Methodisch erscheint dies konsequent, da über die Einhaltung von Verfahrensbedingungen, nicht aber über die Einhaltung von diskursiven Begründungsverpflichtungen aus einer rechtspositivistischen Beobachterperspektive gewacht werden kann. Allerdings erfordert die Theorie der Volkssouveränität, dass auch prozedurale Regeln selbst letztlich von den in diesen Verfahren Inkludierten autonom hervorgebracht werden, und es ist schwer zu sehen, wie ein Verfahrensrecht setzender demos angesichts der sozialen Ungleichheit, die in modernen Gesellschaften die Akteure mit unterschiedlicher Verhandlungsmacht ausstattet, die anspruchsvollen egalitären Verfahrensbedingungen, die demokratische Rechtsetzung auszeichnen sollen, auf der Basis strategischer Verhandlungen zwischen unterschiedlich mächtigen Akteuren hervorbringen können soll.
Im Zentrum von MausMaus, Ingeborg’ Kritik an HabermasHabermas, Jürgen steht die Auffassung, dass das Diskursmodell insgesamt für die Erfassung der rechtsstaatlichen Machtsituation ungeeignet ist. Die diskurstheoretische Anlage bekomme nur horizontal-symmetrische Argumentationsverhältnisse in den Blick, während die Demokratietheorie der Aufklärung bei der vertikalen Asymmetrie von Gesetzgebung und sanktionsbewehrter Rechtsdurchsetzung ansetze. MausMaus, Ingeborg kritisiert die Tendenz zur Entsubjektivierung und Anonymisierung der VolkssouveränitätVolkssouveränität in die Kommunikationsverläufe einer politischen Öffentlichkeit, aber insbesondere ein Verschwimmen der antagonistischen Entgegensetzung von gesellschaftlicher Basis und staatlicher Gewalt[71]. Subjektive Menschenrechte treten bei Maus ebenso wie das Prinzip der Volkssouveränität in doppelter Gestalt auf: als im demokratischen Staat institutionalisierte Normen und als vernunftrechtliche Prinzipien. Damit sie jedoch nicht zu Ermächtigungsnormen staatlicher Selbstprogrammierung werden können, nimmt auch Maus’ Ansatz eine Zuweisung zulässiger Gründe |24|vor: einer Semantik überpositiver Freiheitsrechte sollen nur jene sich bedienen dürfen, die zugleich ihre Träger und befugten Interpreten sind.
C. Recht jenseits des demokratischen Rechtsstaats
In der Beurteilung von Tendenzen der Rechtsentwicklung, die die Prozesse der Globalisierung in den letzten Jahrzehnten ausgelöst haben, unterscheiden sich die Entwürfe von HabermasHabermas, Jürgen und MausMaus, Ingeborg gravierend. Während Habermas bei aller Skepsis die Dimension der zu lösenden Probleme und die damit verbundenen Chancen supra- und transnationaler politischer Gestaltung akzentuiert, betont Maus die Risiken, die eine Überwindung des nationalstaatlichen Rahmens für die Ausübung demokratischer Autonomie birgt. Grundsätzlich vertreten beide in Fragen von Sicherheits- und Menschenrechtspolitik einen völkerrechtspositivistischen Ansatz, der sich gegen moralphilosophische Theorien des gerechten Krieges richtet, und verteidigen den völkerrechtlichen Omnilateralismus der UNO gegenüber imperialen oder anderen hegemonialen Ordnungsmodellen. Dabei liegt das theoretische Zentralproblem für beide Ansätze auf der Hand. Während Recht und DemokratieDemokratie im demokratischen RechtsstaatRechtsstaat intern miteinander verklammert waren, sind sie im Recht der postnationalen Konstellation auseinandergetreten. MausMaus, Ingeborg und HabermasHabermas, Jürgen wählen verschiedene Wege, um sich ihrer verlorengegangenen Komplementarität jenseits der Grenzen des Rechtsstaats wieder anzunähern.
HabermasHabermas, Jürgen entwickelt seine Rechtstheorie für eine post-nationalstaatliche Konstellation zwischen 1994 und 2011 in vier Anläufen, die jeweils unterschiedlich gelagerte Versuche darstellen, das Verhältnis zwischen Recht und DemokratieDemokratie jenseits des Staates neu zu fassen ((1)–(4)).
(1) Von Beginn an orientiert sich HabermasHabermas, Jürgen an Immanuel Kants Unterscheidung zwischen Völkerrecht und Weltbürgerrecht. KantKant, Immanuel hatte das Völkerrecht als Recht der Staaten gegeneinander konzipiert, während das Weltbürgerrecht als Recht von Individuen gegenüber jedem beliebigen Staat aufgefasst wurde[72]. Habermas interpretiert Kants Weltbürgerrecht nicht als Ausländerrecht, sondern als Mitgliedschaftsrecht für Individuen in einer Weltrechtsgemeinschaft[73]. Er sieht Völkerrecht und Weltbürgerrecht zunächst langfristig als Alternativen und einen »Übergang« vom einen zum anderen als geboten an[74]. Daher kritisiert er das schwache, nicht auf Dauer zu stellende kontraktualistische Modell des Kantischen Völkerbundes souveräner Staaten[75]. Allerdings bewegt sich Habermas |25|mit dieser Kritik noch innerhalb der traditionellen Alternative, die von der Frage »Weltstaat oder Staatenwelt?« vorgegeben wird und kontrastiert den instabilen, mit Effektivitätsmängeln behafteten Völkerbund mit einem monistischen Modell kosmopolitischer DemokratieDemokratie[76].
(2) Diese Vorstellung lässt er spätestens 1998 hinter sich und steuert unter der Formel einer »Weltinnenpolitik ohne Weltregierung« einen mittleren Kurs zwischen beiden Extrempositionen an. Er plädiert für eine Zweiteilung der Weltordnung zwischen einer auf »elementare Ordnungsleistungen« in der Sicherheits- und Menschenrechtspolitik