Mit der politisch-philosophischen DiskurstheorieDiskurstheorie des Rechts nimmt HabermasHabermas, Jürgen einen zweiten Anlauf, um dem Phänomen des modernen Rechts gerecht zu werden. In seiner stärker soziologisch interessierten Theorie des kommunikativen Handelnskommunikatives Handeln hatte er zwischen Recht als Organisationsmittel für mediengesteuerte gesellschaftliche Subsysteme und Recht als Institution unterschieden, d.h. zwischen Recht als anonymem Mechanismus, der mithilfe seiner Disposition über die Vergabe von Macht oder Geld eine gesellschaftssteuernde Funktion übernimmt, und einem noch über Legitimitätsforderungen lebensweltlich |19|angebundenen Recht[41]. HabermasHabermas, Jürgen geht also zunächst von einer zumindest deskriptiven Angemessenheit der systemtheoretischen Beschreibung eines Rechtssystems aus, das sich aufgrund funktionaler Erfordernisse gegenüber anderen gesellschaftlichen Bedürfnissen abschotten muss, um mit ihrer Hilfe einen pathologischen Phänomenbereich zu erschließen[42]. Seine These ist, dass mehr und mehr gesellschaftliche Bereiche, die bisher »kommunikativ«, d.h. über internalisierte Normen, die im interpersonalen Umgang jederzeit in Frage gestellt werden können, integriert wurden, durch Recht als System »kolonialisiert« werden. Insbesondere das Sozialrecht biete ein Beispiel dafür, dass sich das Rechtssystem in Handlungsbereiche wie Familie, Pflege, Kindererziehung, etc. ausdehnt und die dort herrschenden kommunikativen Handlungszusammenhänge ergänzt und schließlich überformt. Auf der Basis der Demokratietheorie in Faktizität und Geltung werden die Verhältnisse nun zumindest der Möglichkeit nach umgekehrt: insofern kommunikative Impulse in der Rechtserzeugung zur Geltung gebracht werden können, dient das Recht als »Transformator«, der Botschaften von der gesellschaftlichen Basis im politischen und im Wirtschaftssystem verständlich werden lassen und die vollständig abgekoppelte systemische Reproduktion solcher Bereiche verhindern können soll[43].
B. Aufklärung der Rechts- und Demokratietheorie: MausMaus, Ingeborg
Ingeborg MausMaus, Ingeborg’ Rekonstruktion des RechtspositivismusPositivismus antwortet auf die Frage, wie unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft mit den Entwicklungen neuer trans- und supranationaler Regelungsebenen demokratische Selbstbestimmung und Freiheitssicherung der Individuen durch Rechtsstaatlichkeit überhaupt noch möglich sind. Dabei steht sie in enger Verbindung zum »radikalen« Flügel der Kritischen TheorieKritische Theorie, besonders Herbert MarcuseMarcuse, Herbert[44]. Mit Franz L. NeumannNeumann, Franz L.[45] verweist Maus darauf, dass »politische wie soziale Herrschaft sich am ungehemmtesten durch völlige EntformalisierungEntformalisierung des Rechts verwirklichen« kann[46].
Nach Maus ermöglicht RechtspositivismusPositivismus DemokratieDemokratie und Rechtsstaatlichkeit durch strengen Formalismus und Hierarchie des Rechts, während |20|anti-positivistische Methodenlehren die Spielräume der anwendenden Gewalten durch EntformalisierungEntformalisierung erweitern. Diesen Zusammenhang verdeutlicht sie am Beispiel des Nationalsozialismus, der seine ideologischen Ziele mittels Generalklauseln und unbestimmten Vorgaben zu erreichen suchte[47]. Dabei konnte er nahtlos an eine Methodenlehre anknüpfen, die bereits in der Weimarer Republik gegen den demokratischen Gesetzgeber entwickelt worden war und vor allem die Justiz mit Freiräumen ausstattete[48].
Tendenzen einer schleichenden Emanzipation des Rechts von der Gesetzgebung diagnostiziert MausMaus, Ingeborg allerdings ganz unabhängig vom politischen System. Sie belegt die Entfesselung der Justiz an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das aus den Einzelbestimmungen der Verfassung noch einmal ihr Sinnganzes als eine »objektive Wertordnung« gewinnt und so Grundrechte in abwägungsfähige Werte verwandelt. Auf diese Weise werde juridische Verfassungsinterpretation zu »positiver Verfassungsgebung«[49], die über Normenkontrollverfahren den Souverän nicht nur in seiner Funktion als einfachen Gesetzgeber, sondern auch in der Funktion als Verfassungsgeber unter Kuratel stellt, wenn nicht ersetzt. In der »vaterlosen Gesellschaft« der Bundesrepublik scheine dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr nur die psychologische Rolle des Ersatzkaisers, sondern zugleich auch die des gesetz- und verfassunggebenden Kaiser-Ersatzes zugedacht[50]. Auf diese Weise werde der RechtsstaatRechtsstaat durch den Verfassungsstaat ersetzt und dieses Justizverständnis in letzter Konsequenz zur »Demokratieverhinderung«[51] MausMaus, Ingeborg setzt dem den formalen Rechtsbegriff des RechtspositivismusPositivismus und seine enge Auslegungslehre entgegen[52].
Dieser Beschreibung eines radikalen Funktionswandels der Justiz in der DemokratieDemokratie liegt die Annahme einer RefeudalisierungRefeudalisierung zugrunde, die sich in einer rechtssoziologischen und einer demokratietheoretischen Ausprägung zeigt. Rechtssoziologisch wird die »EntformalisierungEntformalisierung« des Rechts durch die Dynamisierung des Rechts in der Industriegesellschaft und ein immens gesteigertes Verwaltungshandeln erzeugt. Unter dem Dynamisierungsdruck einer rapiden technischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Entwicklung werden in ansonsten präzise Rechtstexte unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln und Zielformeln eingebaut, die Gesetze zu »Gesetzesattrappen« deformieren und so die Spielräume der Staatsapparate, ohne den »legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung« aufzugeben, in der konkreten Anwendungssituation erweitern[53]. |21|Nicht bereits die zunehmende Verrechtlichung führe zum Freiheitsverlust, sondern erst die Entrechtlichungstendenzen, die in die Verrechtlichung selbst eingebaut sind und jede demokratische Willensbildung unterlaufen[54]. Diese grundlegende Beschreibung der Entformalisierung und Refeudalisierung des Rechts in kapitalistischen Gesellschaften kommt aktuellen Diagnosen der Postdemokratie sehr nahe, die aus einer soziologischen Perspektive die Entleerung demokratischer Entscheidungsfindung beschreiben[55]. Am demokratischen Denken lässt sich die, diesen Tendenzen entgegenkommende, Dämonisierung der VolkssouveränitätVolkssouveränität ablesen, die verhindert, dass diese in ihrer Rolle als demokratischer »Gegenspieler der gewalthabenden Staatsapparate«[56] wahrgenommen wird. Dem entsprechend wird Volkssouveränität durch ein vordemokratisches Widerstandsrecht ersetzt[57].
Das Anliegen von MausMaus, Ingeborg’ Studie zu KantKant, Immanuel ist es, die historisch-systematische Basis einer Theorie der VolkssouveränitätVolkssouveränität (frei) zu legen. Kants radikaldemokratische Theorie unterliege, ebenso wie der RechtspositivismusPositivismus, noch immer dem Verdikt der obrigkeitsstaatlichen Anpassung. Als Grund dafür macht MausMaus, Ingeborg die fortgesetzte Bestimmung des demokratischen Gehalts einer Theorie an der Zuerkennung