ee) Konnexität bei Kartellregressklagen
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Das OLG Hamm hatte im Rahmen eines Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine gesamtschuldnerische Regressklage zwischen Kartellanten zu ermitteln.112 Vier der sieben Beklagten des Regressverfahrens hatten ihren Sitz in unterschiedlichen Städten in Deutschland. Zwei weitere Beklagte hatten ihren Sitz in Österreich und einer in Tschechien.
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Das OLG Hamm hat die Zuständigkeit deutscher Gerichte bejaht und begründet diese für die deutschen Beklagten mit dem allgemeinen Gerichtsstand nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO. Für die Beklagten, die ihren Sitz in Österreich und Tschechien haben, folge die Zuständigkeit deutscher Gerichte aus Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. Zur Begründung der Konnexität übertrug das OLG Hamm die CDC-Rechtsprechung auf den Kartellregress gem. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB.113
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So bestehe auch bei der Regressklage eines Kartellbeteiligten gegen Mitbeteiligte die konkrete Gefahr einander widersprechender Entscheidungen, wenn die Verfahren getrennt geführt würden. Denn verschiedene Gerichte könnten die Innenhaftung unterschiedlich beurteilen. Dies gelte nicht nur für die Frage, ob ein (gesamtschuldnerischer) Freistellungsanspruch überhaupt besteht, sondern auch für dessen Umfang, also die interne Quotierung zwischen den Kartellanten. Das OLG Hamm stellte weiter fest, es sei für die Beklagten auch vorhersehbar gewesen, dass sie an dem allgemeinen Gerichtsstand eines der Kartellanten in Regress genommen würden. Dies gelte sowohl für die Kartellbeteiligten, da diese nicht nur für die Schäden aus eigenen Lieferungen, sondern gesamtschuldnerisch auch für Lieferungen von Mitkartellanten und Dritten hafteten wie auch für die Konzernmuttergesellschaften. Nach Ansicht des OLG Hamm hätten sie erkennen können, dass sie für zurechenbares wettbewerbswidriges Verhalten ihrer im Konzern stehenden Töchter in Anspruch genommen werden könnten.114
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Die Entscheidung des OLG Hamm ist konsequent; wenn es dem Kläger eines Kartellschadensersatzanspruchs möglich ist, seine Klagen gegen Kartellbeteiligte mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten vor einem Gericht zu bündeln, so muss dasselbe Recht auch den Beklagten für den Regress zustehen. Damit wird nicht zuletzt der von Art. 11 Abs. 5 der Kartellschadensersatzrichtlinie (§ 33d GWB) geforderten Gewährleistung eines effektiven Ausgleichsanspruchs nachgekommen.115
e) Besonderer Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO)
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Gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO besteht ein besonderer Gerichtsstand für Ansprüche aus unerlaubter Handlung.
aa) Grundsatz
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Die Norm erfasst alle Klagen, mittels derer eine nicht aus einem Vertrag i.S.d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO folgende Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird,116 einschließlich quasi-deliktischer Ansprüche.117 Davon umfasst sind kartellrechtliche Schadensersatzklagen auf Grundlage von Verstößen gegen das nationale und/oder europäische Kartellrecht.118
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Der besondere Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses soll aufgrund der Sach- und Beweisnähe die Beweiserhebung erleichtern.119 Umstritten ist, ob damit eine generelle Begünstigung des durch eine unerlaubte Handlung Geschädigten bezweckt ist.120 Der Geschädigte wird nicht allein darauf verwiesen, seine Ansprüche am allgemeinen Gerichtsstand des Schädigers geltend machen zu können. Dabei soll der Kläger im Falle der Streuung eines ihm entstandenen Gesamtschadens über mehrere Jurisdiktionen grundsätzlich auf die Geltendmachung des Schadens beschränkt sein, der ihm innerhalb der Jurisdiktion entstanden ist, in der er seine Ansprüche verfolgt.121
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Hinsichtlich des möglichen Anspruchsinhalts bestehen keine Beschränkungen. Es spielt also keine Rolle, ob Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassung begehrt werden.122 Akzessorische Auskunftsbegehren sind ebenfalls erfasst.123 Auch die Form der prozessualen Durchsetzung nach nationalem Recht ist unerheblich. So kann der mutmaßliche Kartellbeteiligte als Kläger am durch eine unerlaubte Handlung begründeten Gerichtsstand auch eine negative Feststellungsklage erheben, mittels derer er festgestellt wissen möchte, dass er gegenüber dem vermeintlich Geschädigten nicht haftet.124
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Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH besteht ein durch eine unerlaubte Handlung begründeter Gerichtsstand sowohl am Handlungsort, an dem der deliktische Schädiger den Schaden durch ein Tun oder Unterlassen verursacht hat, als auch am Erfolgsort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt (sog. Ubiquitätsprinzip).125 Soweit dies zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte in unterschiedlichen Jurisdiktionen führt, hat der Kläger ein Wahlrecht.126
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Dieses Wahlrecht besteht grundsätzlich auch bei reinen Vermögensschäden,127 wobei jedoch besondere Anforderungen an die Bestimmung des Erfolgsortes gestellt werden.128 Der Ort, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, soll sich insbesondere nicht schon deshalb auf den Klägerwohnsitz beziehen, weil dort der Mittelpunkt des klägerischen Vermögens liegt.129 Nur das Vorliegen einer besonders engen Verbindung von Streitgegenstand und Sitz des Klägers kann eine dortige Klage rechtfertigen.130 So unterscheidet der EuGH bisweilen zwischen unmittelbaren (Erst-)Schäden und mittelbaren (Folge-)Schäden, wobei letztere nicht zuständigkeitsbegründend sind.131 In Kartellschadensersatzfällen ist von dieser Zurückhaltung indes nicht viel geblieben – der EuGH hat in der CDC-Entscheidung den Wohn-/Geschäftssitz des Geschädigten ohne weiteres als deliktischen Erfolgsort anerkannt (siehe dazu sogleich)
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In zwei jüngeren Entscheidungen (flyLAL, Tibor-Trans) hat der EuGH dann eine weitere Konkretisierung des deliktischen Gerichtsstands vorgenommen.
bb) CDC Hydrogen Peroxide
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Nach den Feststellungen des EuGH im CDC-Urteil kann der Kläger in einem Verfahren gegen in mehreren Mitgliedstaaten ansässige Beklagte, die sich in zeitlich und örtlich unterschiedlicher Weise an einem Kartellverstoß beteiligt haben, an einem einheitlichen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung klagen, wenn die Kommission einen einheitlichen und fortgesetzten Verstoß („single and continuous infringement“) der Beklagten gegen das europäische Kartellverbot festgestellt hat und der Kläger zum Kreis der mutmaßlich Geschädigten gehört.132
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Weiter soll dem Kläger oder den Klägern im Einklang mit der bislang zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ergangenen Rechtsprechung die Wahl zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort offenstehen.133 Deren Bestimmung unterliegt allerdings vom EuGH spezifisch für kartellrechtliche Schadensersatzprozesse aufgestellten Besonderheiten. Zur Begründung verweist der EuGH auf das Interesse an einer geordneten Rechtspflege, auf die Nähe zum Streitgegenstand und die Möglichkeit der Beweiserbringung.134
(1) Handlungsort: Gründungsort oder Ort der Einzelabsprache
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Es