3. Verbraucherschutz im Kontext des Aufsichtsrechts
Der sowohl in der EU als auch auf nationaler Ebene vorgesehene Verbraucherschutz hat eine andere konzeptionelle Basis als die Schutzgüter des herkömmlichen Aufsichtsrechts. Das Aufsichtsrecht beruht – insoweit übrigens ähnlich wie die Wettbewerbsregeln – auf der Annahme, dass alle Marktteilnehmer grundsätzlich gleich zu behandeln sind. Das gilt auch, soweit das Aufsichtsrecht ein hohes Anlegerschutzniveau sicherzustellen sucht. Denn hierbei geht es darum, dass die Informationsvorteile der Anbieter von Finanzanlagen zugunsten der Anleger möglichst ausgeglichen werden.818 Das Verbraucherschutzrecht soll den Verbraucher hingegen gegenüber dem Unternehmer unabhängig davon schützen, ob sich etwaige Vorteile zugunsten des Unternehmens ausgleichen lassen oder nicht.
Ein derartiger Schutz kann mit den sonstigen Zielen des Finanzaufsichtsrechts zu vereinbaren sein. Das gilt namentlich dort, wo Maßnahmen zum Verbraucherschutz in Bezug auf Transaktionen ergriffen werden, an denen die geschützten Verbraucher selbst nicht beteiligt sind und gegenüber denen sie sich folglich nicht selbst schützen können. Dies kann etwa bei Hebelgeschäften der Fall sein, welche die Risiken für die Kapitalgeber der Transaktionspartner erhöhen. Allerdings enthält das Aufsichtsrecht bereits selbst verschiedene Vorgaben, um die an einer Finanztransaktion nicht beteiligten Verbraucher, zumindest soweit es sich um Ein- oder Anleger handelt, zu schützen.819
Zu Kollisionen mit den aufsichtsrechtlichen Schutzgütern kann es hingegen kommen, wenn gesetzgeberische oder aufsichtsbehördliche Maßnahmen zum Schutz von Verbrauchern ergriffen werden, die selbst an den von den Maßnahmen betroffenen Finanztransaktionen beteiligt sind und die sich in diesem Rahmen grundsätzlich auch selbst schützen können. Das ist etwa der Fall, wenn der Vertrieb von Finanzinstrumenten aus Verbraucherschutzgründen beschränkt wird oder soweit besondere Beratungspflichten gegenüber Verbrauchern eingeführt werden. Insofern ist zu bedenken, dass die Märkte für an Verbraucher vertriebene Finanzinstrumente zumeist wettbewerbsintensiv sein dürften. Anleger in einem durch funktionierenden Wettbewerb geprägten Marktumfeld können Finanzinstrumente grundsätzlich auch bei unterlegener Verhandlungsposition von solchen Anbietern beziehen, die sie – aus ihrer eigenen Sicht – hinreichend über die Vor- und Nachteile der Anlage einschließlich der damit verbundenen Chancen und Risiken aufklären. Deshalb ist es von vornherein fraglich, ob es eines besonderen Schutzes der betreffenden Verbraucher bedarf.
Wenn der Gesetzgeber oder die zuständigen Behörden den Vertrieb von Finanzinstrumenten dessen ungeachtet beschränken, schützt diese Maßnahme zwar zunächst solche Verbraucher, welche die betreffenden Instrumente nicht überblicken. Sie erhält damit das Vertrauen der betreffenden Verbraucher in das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte und kommt so auch dem Schutz der Stabilität des Finanzsystems zugute. Doch wird zugleich allen Verbrauchern die Möglichkeit genommen, an einer marktüblichen Wertentwicklung der Finanzinstrumente zu partizipieren und so entweder – für sie möglicherweise unverhoffte – Gewinne zu erzielen oder aus – von ihnen möglicherweise unvorhergesehenen – Verlusten zu lernen.820 Der Eindruck, der Staat werde „schon die richtigen Maßnahmen treffen“, kann mit der Zeit zudem einer Verbraucherhaltung Vorschub leisten, welche von geringem Interesse am Verständnis von Finanzinstrumenten und von Sorglosigkeit bei Finanzanlagen geprägt ist. Beides erscheint in Hinblick auf das aufsichtsrechtliche Interesse an einem verantwortungsvollen Umgang der Anleger mit den Risiken ihrer Finanzanlagen kontraproduktiv.
Die Ausweitung der Beratungspflichten soll ihrerseits zwar zu informierteren Anlegerentscheidungen beitragen. Es ist allerdings schon nicht gesagt, ob dies überhaupt gelingt.821 Verbraucher, die den Markt nicht überblicken, werden möglicherweise nur die ihnen vorgelegten Beratungsprotokolle abzeichnen und den Anbieter somit von einer möglichen Haftung freistellen. Schwerer wiegen dürfte, dass ein hoher Beratungsaufwand und die damit verbundenen Kosten den Vertrieb von Finanzanlagen – einschließlich solcher in Finanzinstrumente – unattraktiver machen. Dies gilt zumindest für den Vertrieb nicht standardisierter Finanzanlagen, die nicht massenhaft vertrieben werden können. Eine Beschränkung des Vertriebs auf standardisierte Anlagen führt jedoch zu einer geringeren Portfoliodiversifikation bei den Anlegern und kann gerade in Krisenzeiten gleichförmiges Verkaufsverhalten nach sich ziehen. Zugleich vermindert sich der Wettbewerb, wenn Anbieter, die sich nicht erfolgreich im Massenmarkt etablieren können, ganz auf ein Angebot verzichten. Dies kann dazu führen, dass Anleger für sie geeignete Finanzanlagen gar nicht mehr ohne Weiteres erhalten.
Ein geringeres Gewicht dürften diese Bedenken lediglich dann haben, wenn die Aufsichtsbehörden den Vertrieb von Finanzinstrumenten gegenüber Verbrauchern dort beschränken, wo diese sich durch marktadäquates Verhalten nicht selbst schützen können. So kann es beim Vertrieb von Finanzinstrumenten mit derivativer Komponente sein, dass die Verbraucher dadurch, dass sie vom Anbieter mehr Informationen verlangen oder dass sie den Anbieter wechseln, selbst kein für sie abschätzbares Verhältnis der Chancen und Risiken bei solchen Instrumenten erreichen können. Ein Beispiel sind Differenzkontrakte (CFD) mit Nachschusspflicht, deren Vertrieb an Privatanleger die BaFin zwischenzeitlich verboten hat.822 Das aus der Nachschusspflicht folgende Risiko ist diesen Kontrakten wesensimmanent und kann auch nicht durch Aufklärung vermindert werden. Darüber hinaus kann derzeit möglicherweise eine Beschränkung des Handels von komplexen Finanzinstrumenten über Crowd-Plattformen zu rechtfertigen sein. Die Regulierung solcher Plattformen ist noch wenig entwickelt. Verluste auf der Plattformseite der Kapitalnehmer können damit unmittelbar auf die Seite der Kapitalgeber durchschlagen, und zwar ohne dass diese ohne Weiteres vorab erkennen können, wenn ihnen wesentliche Informationen zur Einschätzung des Risikoprofils der betreffenden Transaktionen fehlen, und ohne dass Schutzmaßnahmen wie z.B. ein Sicherungsfonds zur Verfügung stehen.
Zusammenfassend lässt sich somit festzuhalten, dass sich der vom europäischen und deutschen Gesetzgeber angestrebte Verbraucherschutz mit den Zielen des Aufsichtsrecht und insbesondere dem aufsichtsrechtlichen Anlegerschutz zwar decken kann. Er kann aber auch darüber hinausgehen. In diesen Fällen erfolgen Maßnahmen zum Verbraucherschutz notwendigerweise einseitig zulasten aufsichtsrechtlicher Ziele und auch zulasten des unverfälschten Wettbewerbs. Ein Ausgleich lässt sich insofern nicht herstellen. Der Verbraucherschutz erscheint somit als Fremdkörper.
801 Siehe Art. 3 Abs. 3 EUV i.V.m. Protokoll 27 zu den EU-Verträgen, konsol. Fassung, ABl. C 202 vom 7. Juni 2016, S. 1. 802 Art. 42 Abs. 1–2 VO 600/2014 (= § 4b Abs. 1–2 WpHG a.F.); im deutschen Recht siehe darüber hinaus auch § 6 (= § 4a. F) Abs. 1 S. 3, Abs. 2, § 14 (= § 4a a.F.) WpHG. Näher zu diesen Vorschriften siehe unten Kap. 5.B.III.6.a)aa) (S. 386). 803 Dies folgt schon daraus, dass die Vorgaben des Protokolls 27 nicht nur einen „unverbindlichen Programmsatz“ darstellen, sondern nach der Rechtsprechung ein Ziel bestimmen, das nach der Wertung der Verträge als unerlässlich für die Erfüllung der Aufgaben der EU anzusehen ist; siehe EuGH, Urteil vom 21. Februar 1973, 6/72 – Europemballage und Continental Can, Slg. 1973, 215, ECLI:EU:C:1973:22, Rz. 23. 804 Siehe die Erwägungsgründe der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. L 42 vom 12. Februar 1987, S. 48: „Die vertraglichen Bedingungen können für den Verbraucher nachteilig sein.“ Die Richtlinie wurde zwischenzeitlich aufgehoben durch Richtlinie 2008/48/EG über