I. Wettbewerbsregeln
Das Aufsichtsrecht und die Wettbewerbsregeln haben einen einander grundsätzlich ergänzende Funktion. Während das Aufsichtsrecht insbesondere die Stabilität der Finanzmärkte schützt, sollen die Wettbewerbsregeln die Dynamik und Innovationsfähigkeit der Märkte erhalten; Letzteres im Interesse des Wettbewerbs als Institution und im Interesse der Verbraucher.801
In Einzelfällen kann es dennoch zu Zielkonflikten kommen. Ein Beispiel sind Maßnahmen, mit denen der Gesetzgeber oder die Aufsichtsbehörden den Vertrieb neuartiger Finanzprodukte aufgrund möglicherweise übermäßiger Risiken für die Anleger und damit für deren Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte untersagen.802 Derartige Maßnahmen dienen letztlich dem Schutz des Finanzsystems. Sie stellen aber zugleich einen Markteingriff dar. Dieser kann sich grundsätzlich wettbewerbsverzerrend zugunsten nicht untersagter Finanzprodukte (mit ähnlichem oder abweichendem Risikoprofil) auswirken und damit eine Regulierungsarbitrage begünstigen. Dabei ist zu bedenken, dass diese ihrerseits aufsichtsrechtlich problematisch sein kann, weil dadurch die mit der ursprünglichen Maßnahme bekämpften Gefahren dennoch entstehen können und ein weiterer aufsichtsrechtlicher Zugriff dann sogar erschwert sein kann.
Bei auftretenden Zielkonflikten besteht zwischen den aufsichts- und den wettbewerbsrechtlichen Zielen kein Vorrangverhältnis. Das folgt auf Ebene der G 20-Beschlüsse, dass diese die Schutzziele der Finanzmarktregulierung marktwirtschaftlich definieren. Auf der Ebene des EU-Rechts ergibt es sich daraus, dass das Aufsichtsrecht zumindest implizit (vgl. Art. 26 Abs. 1 AEUV) und die Wettbewerbsregeln explizit (Art. 101ff. AEUV) dem in den EU-Verträgen festgelegten Ziel der Verwirklichung eines EU-Binnenmarktes (Art. 3 Abs. 3 EUV) dienen. Bei Zielkonflikten ist damit eine Abwägung nötig.803 Dies gilt nach dem zuvor Ausgeführten sowohl im Rahmen der ordnungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung als auch bei einer Anwendung der Wettbewerbsregeln.
Daraus ist abzuleiten, dass die aufsichtsrechtliche Regulierung von Finanztransaktionen in einem gewissen Rahmen auch dann zulässig ist, wenn es dadurch zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Auch die beispielhaft angeführten Produktverbote können dann ohne Verletzung des Wettbewerbsschutzziels erfolgen. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass aufsichtsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Finanzmarktstabilität unterbleiben müssen, wenn diese Maßnahmen den Wettbewerb übermäßig schädigen würden. Das dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn regulatorische Maßnahmen Anreize zur Regulierungsarbitrage setzen oder wenn sie sinnvolle Innovationen verhindern.
II. Verbraucherschutzregeln
1. Allgemeines
Die gesetzgebenden Körperschaften sind in der bestehenden Kompetenzordnung frei, auf EU-Ebene ebenso wie in Deutschland eigene Schutzziele zu definieren, die von den Beschlüssen der G 20 abweichen oder darüber hinausgehen. Ein derartiges Schutzziel ist der Schutz der Verbraucherinteressen im Verhältnis zu (situationsbedingt) verhandlungsstärkeren Unternehmern.804 Das EU-Recht sieht einen solchen Schutz zum Teil als Element der EU-Binnenmarktregulierung vor, insbesondere in Hinblick auf den allgemeinen Waren- und Dienstleistungsverkehr.805
Der Verbraucherschutz ist nicht mit dem aufsichtsrechtlichen Ziel des Anlegerschutzes zu verwechseln. Denn dieser bezieht sich auf das Vertrauen der Anleger in das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte und kann somit als Teilziel zu Zwecken des Schutzes der Stabilität des Finanzsystems angesehen werden. Die Anleger handeln auf den Finanzmärkten auch nicht nur als Konsumenten von Finanzprodukten, sondern investieren darüber zugleich in eine fremde Geschäftstätigkeit.806 Dennoch kann es zwischen beiden Schutzanliegen zu Überschneidungen kommen.
Im folgenden Abschnitt soll zunächst die zunehmende Verknüpfung von Anleger- und Verbraucherschutz im europäischen und deutschen Recht etwas genauer beschrieben werden (Abschn. 2). Im Anschluss wird herausgearbeitet, weshalb der vom Gesetzgeber angestrebte Schutz ein Fremdkörper in der aufsichtsrechtlichen Regulierung bleiben dürfte (Abschn. 3).
2. Anlegerschutz und Verbraucherschutz
Der Anlegerschutz war nach EU-Recht und deutschem Recht zunächst hauptsächlich im Sinne eines institutionellen Schutzes ausgestaltet. Dieser wird zunehmend jedoch durch Verbraucherschutzaspekte ergänzt. Die relevanten Vorschriften im aufsichtsrechtlichen Kontext sehen nicht mehr nur (aufsichtsrechtliche) Pflichten der Anbieter von Finanzanlagen vor, die vor allem aufsichtsbehördlich durchgesetzt werden. Zunehmend kommt es vielmehr zu einem kollektiven oder zu einem auf einzelne Vertragsverhältnisse bezogenen Verbraucherschutz, wie er für Finanzangelegenheiten z.B. im deutschen bürgerlichen Recht schon länger vorgesehen ist (vgl. §§ 13f., 491ff. BGB).807
a) Anlegerschutz im EU-Recht
Der Anlegerschutz im EU-Recht ging herkömmlich von keinem generellen Ungleichgewicht zwischen den Anbietern und den Käufern von Finanzanlagen aus, sondern war darauf ausgerichtet, bestehende Informationsasymmetrien in konkreten Fällen auszugleichen.808 Zunehmend unterstellt das EU-Recht jedoch generell ein (situationsbedingtes) Ungleichgewicht zwischen den Marktteilnehmern. Insbesondere gehen die europäischen Vorschriften über Wohlverhaltens- und Transparenzpflichten in Beratungssituationen von einer grundsätzlich schwächeren Verhandlungsposition nicht professioneller Anleger aus und erlegen den Anbietern von Finanzanlagen infolgedessen weitreichende Beratungspflichten auf.809 Der EU-Gesetzgeber ist in neueren Rechtsakten außerdem wiederholt den weiteren Schritt gegangen, den Anlegern individuelle Schutzansprüche (= subjektiv-öffentliche Rechte) einzuräumen (z.B. in Art. 69 Abs. 2 UAbs. 3 RL 2014/65/EU; Art. 11 Abs. 2 VO 1286/2014810). Ein Grund dafür, dass Letzteres zuvor lange Zeit unterblieben war, mögen unterschiedliche mitgliedstaatliche Positionen zum individuellen Verbrauchschutz gewesen sein.811
b) Anlegerschutz im deutschen Recht
Auf nationaler Ebene hat der Gesetzgeber den „Schutz kollektiver Verbraucherinteressen“ im Finanzaufsichtsrecht in dem die Zuständigkeiten der BaFin regelnden Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) verankert.812 Dieser Schutz ist auf kollektive Verbraucherinteressen beschränkt, sodass sich daraus keine individuellen Schutzansprüche (= subjektiv-öffentliche Rechte) ableiten lassen dürften.813 Ebenso hat der Gesetzgeber im materiellen Finanzaufsichtsrecht auf einen individuellen Verbraucherschutz über die EU-Vorgaben hinaus bisher häufig verzichtet.814
Allerdings strebt der nationale Gesetzgeber gleichwohl ein hohes Schutzniveau hinsichtlich der kollektiven Verbraucherinteressen an. § 4 Abs. 1a FinDAG enthält nämlich eine allgemeine Befugnis für die BaFin, aufsichtsbehördliche Maßnahmen zu treffen,
„um verbraucherschutzrelevante Missstände zu verhindern oder zu beseitigen, wenn eine generelle Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes geboten erscheint“.
Ein verbraucherschutzrelevanter Missstand ist dabei ein erheblicher, dauerhafter oder wiederholter Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz (= die EU-Anlegerschutzvorgaben, aber auch z.B. das Vermögensanlagegesetz), der nach seiner Art oder seinem Umfang die Interessen nicht nur einzelner Verbraucherinnen oder Verbraucher gefährden kann oder beeinträchtigt.815 Davon abgesehen liegt es nahe, dass die BaFin Verbraucherschutzerwägungen auch bei der Durchsetzung des sonstigen Aufsichtsrechts Bedeutung beimisst. Das gesetzgeberische Interesse am Schutz kollektiver Verbraucherinteressen kann sich deshalb auch allgemein bei der Ausübung des aufsichtsbehördlichen Ermessens niederschlagen.