Aus Anlegersicht stellten sowohl die von der Zweckgesellschaft in der beschriebenen Struktur emittierten CDO wie auch die CPs vermeintlich sichere Anlagen dar. Dabei unterstellten die Anleger, dass ihre Annahmen über die vertraglich vereinbarten Zahlungen und über die Risikobewertung der betreffenden Finanzinstrumente aufgrund von Prospektbeschreibungen mit der tatsächlichen Risikostruktur der Instrumente korrespondierten.838 Zu der positiven Bewertung durch die Anleger trug bei, dass die Ratingagenturen die Instrumente ebenfalls positiv bewerteten (was zumindest zurzeit steigender Hauspreise auch noch gerechtfertigt gewesen sein mag).839 Allerdings legten die Marktteilnehmer und auch die Ratingagenturen ihren Risikobewertungen unter anderem Formeln zugrunde, die davon ausgingen, dass die verbrieften Hypothekenrisiken untereinander nicht korreliert seien (sog. Gauss’sche Copulae).840 Die Anleger nutzten CDO daraufhin ihrerseits als Sicherheiten bei der kurzfristigen Refinanzierung über Repos.841 Je nachdem, wie die CDO weiter eingesetzt wurden, konnte es also zu längeren und unter Umständen schwer zu überblickenden Transaktionsketten kommen.
3. Wiederverbriefungen (CDO2 u.Ä.)
Die nachrangigen Tranchen von CDO wurden zum Teil nach demselben Prinzip wie einfache CDO wiederverbrieft, unter Umständen auch mehrfach (CDO2, CDO3 usw.).842 Zweck der Wiederverbriefung war es dabei, die Risiken erneut so zu bündeln bzw. aufzuteilen wurden, dass sich höchst- und nachrangige Tranchen bilden ließen. Die Wiederverbriefung war gerade auch für europäische Banken von Interesse, da sie durch den Ankauf und die Wiederverbriefung Provisionen erwirtschaften konnten, auch wenn ihnen der direkte Zugang zu den amerikanischen Hypothekenmärkten fehlte.843 Zu Zwecken der Wiederverbriefung engagierten sie sich allerdings in Instrumenten, deren Risiken sie selbst nur schwerlich überblicken konnten.844
4. Synthetische CDO (SCDO)
Synthetische CDO wurden eingesetzt, um Interessenten eine Anlage auch über den Bestand an Krediten hinaus zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurden Derivate auf ABS bzw. CDO oder relevante Indizes als Referenzwerte strukturiert, indem die Ausfallrisiken z.B. über einen TRS von einem synthetischen Pool von Ausfallrisiken auf eine Zweckgesellschaft übertragen wurden. Die Zweckgesellschaft tranchierte die Ausfallrisiken und verkaufte Kreditderivate, die auf die tranchierten Ausfallrisiken bezogen waren.845 Die Anleger übernahmen damit im Ergebnis eine Ausfallversicherung (z.B. in Form von CDS) für den Fall eines Hypothekenausfalls.
Da die Banken, in deren Interesse die SCDO angeboten wurden, kein Eigenkapital vorhalten mussten, konnten sie sich bei SCDO zudem selbst die höchstrangige Tranche vorbehalten.846 Ein weiterer Vorteil von SCDO war es aus Anbietersicht, dass mehrere synthetische Instrumente in Bezug auf denselben Referenzwert strukturiert werden konnten. Das implizierte allerdings, dass ein Ausfall parallele Zahlungspflichten einer Vielzahl von Anlegern auslösen konnte.
5. Kreditausfall-Swaps (CDS)
Ein weiteres im vorliegenden Zusammenhang relevantes Instrument waren CDS, die von dritten Marktteilnehmern im OTC-Handel angeboten wurden, um eine Absicherung gegen die Ausfallrisiken von ABS/CDO zu ermöglichen. Andere Marktteilnehmer wie z.B. Hedgefonds nutzten CDS im Gegenteil dazu, um auf einen Ausfall oder dessen Unterbleiben zu spekulieren. Dazu wurden einander gegenläufige CDS-Kontrakte oft auch in Bezug auf verschiedene Tranchen eines CDO abgeschlossen, so dass der Investor einerseits an den laufenden Zahlungen der Hypothekenschuldner partizipierte, andererseits aber auch von einem Zusammenbruch des CDO profitieren konnte.847
II. Realisierung von Risiken im Verlauf der Finanzkrise
Zu den großen Risiken für das weltweite Finanzsystem, die sich in der Finanzkrise zeigten, trug bei, dass die Marktteilnehmer im Vorfeld ihre Transaktionen mit den zuvor beschriebenen Instrumenten gezielt dazu einsetzten, Risiken zu generieren und im Markt weiterzuverteilen.
So vergaben die Banken zunehmend riskantere Hypothekenkredite, deren Risiken über Verbriefungstransaktionen an Käufer, welche die Risiken nicht überblickten, weitergeleitet wurden („originate and distribute“). Die immer riskanter werdende Kreditvergabe spiegelte sich in den immer geringer werdenden Anforderungen der Bankenleitlinien für die Kreditwürdigkeitsprüfung, mit denen auch offensiv geworben wurde.848 Die Kreditvergabe in den USA stieg nach Angaben der U.S. Financial Crisis Inquiry Commission (FCIC), welche die Finanzkrise im Interesse der öffentlichen Hand in den USA aufarbeitete, zwischen 1978 und 2007 von USD 3 Bio. auf USD 36 Bio. an.849
Mit der Zeit wurden sowohl Kredit- als auch Verbriefungsgeschäfte nach Erkenntnissen der FCIC in erheblichem Umfang auch unter Verstoß gegen Vorschriften und interne Standards abgeschlossen.850 Zur Marktentwicklung trug insofern bei, dass aufgrund niedriger Zinsen und des Zuflusses ausländischer Gelder ein über längere Zeit zunehmender Anlagedruck herrschte.851 Demgegenüber hatten die für die laufende Bankenaufsicht zuständigen Behörden in den USA nur sehr begrenzte Befugnisse in Bezug auf die hier relevanten Verbriefungsgeschäfte.852 Zugleich hatte ein noch näher anzusprechender Zuständigkeitskonflikt zwischen der SEC und der U.S. Commodity Futures Trading Commission (CFTC) dazu geführt, dass die hier relevanten Derivatgeschäfte weitgehend unreguliert blieben.853
Eine kritische Veränderung der Marktsituation wurde dadurch eingeleitet, dass es den U.S.-Hypothekenschuldnern nach dem Sommer 2006 immer schwerer fiel, ihre Kredite weiter zu bedienen oder abzulösen. In der ersten Phase der Finanzkrise häuften sich die Zahlungsausfälle und Zahlungsstörungen insbesondere im Subprime-Segment zunehmend.854 Im Juni 2007 gab die Investmentbank Bear Stearns bekannt, dass zwei von ihr aufgelegte Hedgefonds, welche in Hypothekenverbriefungen investiert hatten, geschlossen werden müssten, da eine angemessene Bewertung der Instrumente nicht mehr gewährleistet sei.855 Dies zog negative Ratingänderungen und einen Preisverfall bei Hypothekenverbriefungen einer Vielzahl von Anbietern nach sich.856 Aufgrund der durch die U.S.-Regulierung vorgeschriebenen Fair-value-Bilanzierung mussten Banken, welche in solche Instrumente investiert hatten, umgehend Mark-to-market-Verluste ausweisen.857 Besonders betroffen von dem Preisverfall waren aber offenbar CDO, in welche europäische Banken investiert hatten.858 Einige Immobilienfonds, die in derartige Instrumente investiert hatten, setzten zudem die Annahme von Fondsanteilen aus, um zu vermeiden, dass sie in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.859
Die Schwierigkeiten auf den Märkten für Hypothekenverbriefungen und den darauf bezogenen Kreditderivaten (CDS) hatten unmittelbar Auswirkungen auf die Refinanzierung der Zweckgesellschaften über den Geldmarkt. Anleger scheuten sich zunehmend, weiter in die ausgegebenen CP zu investieren.860 Geldmarktfonds, die solche Instrumente gekauft hatten, sahen sich einem schleichenden run ausgesetzt.861 Die Zinsen für Interbankkredite stiegen im August 2007 sprunghaft an. Auch die Möglichkeiten für Repogeschäfte verengten sich spätestens ab der zweiten Hälfte des Jahres spürbar.862 Dies war für Hedgefonds, aber auch für Investmentbanken ein Problem. Bei Lehman Brothers kam insoweit erschwerend hinzu, dass diese Bank Repotransaktionen im Rahmen einer rechtlich umstrittenen Konstruktion nutzte, um Vermögenswerte zeitweise aus der Bilanz zu entfernen und so die beträchtliche Hebelung ihres Eigenkapitals bilanziell zu kaschieren.863
Die zweite Phase der Krise wurde mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15. September 2008 eingeläutet, der zu Kurseinbrüchen an den Börsen und einer nachhaltigen Vertrauenskrise im Interbankengeschäft