Die isolierte Risikoverschiebung über ein Differenzgeschäft bedeutet ferner, dass Risiken über entsprechend strukturierte und hinreichend standardisierte Derivate zum Handelsgegenstand gemacht werden können. Die meisten Derivate werden zur Absicherung gegen transaktionsbedingte Risiken aus sonstigen Transaktionen entwickelt, gegen die sich ein Transaktionspartner absichern möchte, ohne auf deren Verwirklichung Einfluss zu haben (also z.B. nicht das eigene Liquiditätsrisiko). Insbesondere Ausfall- und Marktrisiken werden über Derivate handelbar gemacht.
Zuletzt ist es aufgrund der Eigenschaft von Derivatkontrakten als Differenzgeschäften nicht ausgeschlossen, dass Derivate in nicht-derivative Geschäfte eingebettet oder zum Gegenstand eines nicht-derivativen Geschäfts gemacht werden. So können z.B. verbriefte Optionen am Sekundärmarkt veräußert werden. Bei einem solchen Vertrag handelt es sich aber selbst nicht um ein Derivat, weil das vertragliche Gegenseitigkeitsverhältnis sich hier auf die Übertragung der Verbriefung und nicht auf die Übernahme eines Risikos bzw. Risikobündels als solchen bezieht.228
III. Wirtschaftliche Funktionen
Derivate erfüllen unterschiedliche Funkionen, je nach den Einsatzzwecken, die mit der Transaktion verfolgt werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Derivate gegenläufige Risiken künstlich generieren. Damit haben sie sowohl Einfluss auf das Gesamtrisiko, dem ein Marktteilnehmer ausgesetzt ist, als auch auf das Gesamtrisiko im Markt. Aufgrund ihres Einflusses auf das Gesamtrisiko, dem ein Marktteilnehmer ausgesetzt ist, eignen sich Derivate zu unterschiedlichen Einsatzzwecken. Diesbezüglich wird herkömmlich danach unterschieden, ob die Instrumente zur Absicherung (sog. hedging), zu Spekulations- oder zu Arbitragezwecken verwendet werden.229
1. Absicherung
Ein Derivat kann insbesondere eingesetzt werden, um Risiken auf einen Sicherungsgeber zu verschieben. Zu einer derartigen Risikoverschiebung kommt es, wenn ein Transaktionspartner das Derivat verwendet, um ein Risiko, dem er tatsächlich ausgesetzt ist, zu neutralisieren. Dabei werden Derivate üblicherweise nur zur Absicherung gegen transaktionsbedingte Risiken entwickelt, auf deren Verwirklichung die Gegenpartei mit dem Absicherungsinteresse keinen Einfluss hat oder zu haben glaubt (z.B. Marktpreis- oder Kontrahentenrisiken).230 So ist beispielsweise der Zweck von Forward- oder Future-Kontrakten häufig eine Reduzierung von Marktpreisrisiken, die im Zusammenhang mit der übrigen Geschäftstätigkeit einer Partei stehen, etwa des Risikos von Rohstoffpreissteigerungen. Ein Hersteller kann sich also gegen Rohstoffsteigerungen nicht nur dadurch absichern, dass er bereits jetzt Rohstoffe physisch kauft und einlagert, sondern er kann auf ein entsprechendes Differenzgeschäft (z.B. mit Futures) abschließen.
Der Abschluss eines Derivatkontrakts zu Absicherungszwecken wirkt hinsichtlich des Gesamtrisikos des betreffenden Transaktionspartners und des Gesamtrisikos im Markt risikomindernd. Allerdings ist es im Fall von Industrieunternehmen üblich, Derivatkontrakte im Rahmen von pauschalen Preissicherungsgeschäften abzuschließen. Es handelt sich bei Derivatkontrakten aber auch sonst häufig nicht um absolut passgenaue Gegengeschäfte zu bestehenden Risiken (sog. perfect hedges). Deshalb kann es auch unabhängig von Fehlbewertungen sein, dass Derivate die Risiken im Rahmen von Absicherungsgeschäften nur begrenzt neutralisieren.
2. Spekulation
Bei einem Einsatz zur Spekulation werden Derivate im Wesentlichen als Anlageinstrument eingesetzt. Spekulation erfolgt typischerweise zwischen Transaktionspartnern, welche die Transaktion auf Basis unterschiedlicher Annahmen eingehen oder unterschiedlichen Risiken ausgesetzt sind. Der Transaktionspartner, der einen Derivatkontrakt zu Spekulationszwecken abschließt, versucht typischerweise, bestehende oder vermeintliche Informationsvorsprünge gegenüber anderen Marktteilnehmern auszunutzen. Ein Beispiel ist der Abschluss eines Währungsswapvertrags auf Basis einer eigenen Marktanalyse, um auf eine bestimmte Wechselkursentwicklung zu wetten.
Anders als bei einem Absicherungsgeschäft wird im Fall des Einsatzes von Derivaten zu Spekulationszwecken bei dem spekulierenden Transaktionspartners kein bestehendes Risiko aus einem Gegengeschäft ausgeglichen.231 Das bedeutet, dass sich das Gesamtrisiko dieses Transaktionspartners sowie das Gesamtrisiko im Markt erhöht. Ein Derivatkontrakt kann allerdings für den einen Transaktionspartner zur Absicherung und für den anderen zur Spekulation eingesetzt werden.
3. Arbitrage
Der Einsatz von Derivaten zu Arbitragezwecken stellt sich als Spekulation auf die Konvergenz der tatsächlichen und der angenommenen zukünftigen Entwicklung eines Referenzwerts dar. Die Arbitrage geschieht über Derivatkontrakte, die exakte Gegengeschäfte zur Kursentwicklung bei einem Referenzwert darstellen. Der Einsatz von Derivaten zu Arbitragezwecken wird gemeinhin positiv beurteilt, weil der Arbitrageur durch die Ausnutzung von Informationsvorsprüngen eine Korrektur von Fehlbewertungen im Markt herbeiführt.
Die Arbitrage erhöht zwar als Spekulation das vom Arbitrageur zu tragende Risiko, reduziert aber zugleich das Gesamtrisiko im Markt. Allerdings übernimmt der Arbitrageur auch Risiken, die durch die Transaktion selbst bedingt sind (z.B. das Risiko einer eigenen Risikofehlbewertung). Deshalb können auch Arbitragegeschäfte mit Derivaten im Einzelfall aufsichtsrechtlich relevant werden.
4. Kombination der Einsatzzwecke
Derivate können mehrere Funktionen zugleich erfüllen. Die Einsatzzwecke können von den Transaktionspartnern beliebig kombiniert werden und sich bei ihnen individuell unterscheiden. So kann ein Transaktionspartner z.B. als Kreditgeber ein bei einem Kreditnehmer bestehendes Ausfallrisiko absichern wollen (hedging), während die Gegenpartei darauf spekuliert, dass der Ausfall eintritt. Alternativ können aber auch beide Transaktionspartner spekulieren, etwa weil keiner einen Kredit vergeben hat und von dem Kreditausfall deshalb auch keine betroffen wäre. Die Risikostruktur der Transaktion selbst ist unabhängig davon, zu welchen Zwecken sie erfolgt. Eine Unterscheidung zwischen Absicherungs- und Spekulationsgeschäften ist von außen betrachtet nur schwer möglich.232
IV. Rechtliche Einordnung
Derivate haben sich im internationalen Finanzmarktgeschäft zu einer bedeutenden Kategorie von Finanzinstrumenten entwickelt. Die Entwicklung von Derivaten erfolgt allerdings jeweils innerhalb eines nationalen Rechtsrahmens. Die rechtliche Einordnung von Derivaten bereitet Schwierigkeiten. Die Probleme beginnen bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts (dazu Abschn. 1). Innerhalb des deutschen Privatrechts ist ferner umstritten, ob es sich bei Derivaten um eine einheitliche Kategorie von Finanzinstrumenten handelt und welche Rechtsnatur die Verträge haben, die Transaktionen mit Derivaten zugrunde liegen (dazu Abschn. 2).
1. Anwendbares Recht
Die meisten an den Finanzmärkten bedeutenden Derivate sind nicht nach deutschem Recht strukturiert oder gehen zumindest auf Muster zurück, die nicht für die deutsche Rechtsordnung entwickelt wurden. Das internationale Geschäft mit Derivaten wird mittlerweile von Kontrakten nach anglo-amerikanischem Recht beherrscht. Die Ausgestaltung von national gehandelten Derivatkontrakten in Deutschland ist zumindest