Er sah ja ganz freundlich aus mit seinen schwarzgelockten Haaren und dem verschmitzten Lächeln, aber er war halt ein Fremder, und Fremden soll man nicht trauen.
»Ich kenne euch nicht! Wer seid ihr?«, stotterte Lena zaghaft.
Mit einer eleganten Verbeugung zog er seinen Hut. Gerade so als hätte er eine große Dame vor sich, stellte er sich vor:
»Ich bin der Andreas Christoph Bartel und komme aus Nürnberg.«
»Was wollt ihr dann hier«, warf das Mädchen dazwischen.
»Ich war auf der Suche nach einer eigenen Werkstatt in Windsheim.«
Das Mädchen lachte kurz auf, dabei schaute sie ihn spöttisch an.
»Und warum wandert ihr dann hier vorbei?«
»Ging leider nicht. Euer Stadtrat verlangt viel Geld dafür. Mehr als ich besitze. – Aber sag, wer bist denn du?«
»Ich, ich bin die Kunigunde Magdalena Bäumer. Aber alle sagen nur Lena zu mir. Ich soll diesen ganzen Acker bis heute Abend pflügen, aber ich habe keine Kraft mehr, und hungrig bin ich auch«, heulte da Lena weiter.
»Hier!«
Der Fremde hielt ihr ein Stück Brot hin. Gierig nahm sie es, biss hinein, und stockte.
»Ich soll nichts von Fremden annehmen!«
»Nun iss einfach erst einmal, dann werden wir weiter sehen.«
Christoph stand auf, nahm die Zügel in die Hand und fing an zu pflügen. Ganz schön schwer, für ihn ungewohnt. Seine Eltern hatten einen kleinen Hof bewirtschaftet, da mussten sie auch als Kinder feste mit anpacken. Doch sein älterer Bruder hatte alles geerbt. Er selbst bekam genug Geld um eine fünfjährige Lehrzeit bei einem Schneidermeister zu beginnen. Wann war er zuletzt zu Hause gewesen? Leben die Eltern überhaupt noch? Über vierzehn Jahre war dies nun schon her. Ich sollte ihnen einmal schreiben, es gab ja jetzt in fast alle Städte eine Post oder einen Kurier, auch für private Briefe.
»Hü«, schrie er nach der nächsten Wendung und schon flog er im hohen Bogen in den Dreck, und der Gaul schleifte ihn über den ganzen Acker mit. Christoph pflügte mit der Nase im Dreck. Er hing mit seinem Jackenärmel am Pflug und konnte sich nicht lösen.
»Brrrr, ...Brrrrr«, vor lauter Lachen konnte Lena fast nicht schreien. Das Pferd blieb abrupt stehen und er konnte sich vom Pflug lösen. Er stand vorsichtig aber unverletzt auf, und schaute an sich hinunter. Ja wie sah er denn aus? Alles voll Dreck und Schlamm.
Zuerst kicherte Lena verlegen und dann prustete sie schallend los, und er, er lachte mit. Am nahen See konnte er sich halbwegs reinigen. Nachdem Lena fertig gegessen hatte, pflügten sie bis zum Abend gemeinsam weiter.
Sie hatten viel Spaß miteinander. Christoph erzählte lustige Geschichten. Dazwischen trällerten sie gemeinsam einige fröhliche Lieder.
Das Läuten von der Stadtkirche rief bereits zum Abendgebet, höchste Zeit um nach Hause zu gehen. Lena zögerte, als sich Christoph am Wegekreuz von ihr verabschieden wollte. Sollte sie ihn fragen? Ach ja.
»Komm mit mir mit, Mutter wird sich bestimmt freuen, und ein Bett haben wir auch noch für die Nacht.«
Zögernd nahm Christoph an. Um nach Rothenburg zu kommen, war es jetzt sowieso schon zu spät.
So richtig schön recht schaffend müde zogen beide langsam in Richtung Stadt. Mit kräftiger Hand führte er das Pferd am Zaum. Lena achtete nicht auf den Weg und stieß sich öfter die Zehen an. Die Schuhe, die ihr Vater angefertigt hatte, waren schon längst zu klein, und so trippelte sie barfuß schnell hinter ihm her.
Am Tor entrichtete er nochmals den Stadtzoll an die Stadtwache.
Lena führte ihn fast bis zur Stadtmitte, nicht weit vom Rathaus entfernt, in ein schönes Haus. Zwar etwas in die Jahre gekommen, aber mit einem neuen Anstrich könnte es bestimmt wieder ein Schmuckstück werden. Das Erdgeschoss aus Steinen gemauert und verputzt, die Obergeschosse aus Fachwerk, reich verziert, mit vielen Fenstern. Über einen, mit einem großen Tor verschlossenen Hof, kamen sie nach Hinten. Das große, ziegelgedeckte Tor verschloss den Zugang zu dem Hof, der in einem kleinen Vorplatz endete. Rechts war ein bescheidenes Stallgebäude, weiter hinten eine große Scheune. An der Rückseite des Hauses war über alle drei Geschosse eine ziegelgedeckte Altane mit Treppenaufgang und in jedem Stockwerk ein Abtritt angebaut.
Sie stiegen in den ersten Stock hinauf und Lena rief ihrer Mutter zu:
»Mutter ich habe einen Gast, den Christoph, mitgebracht, er bleibt zum Essen und für die Nacht.«
»Was hast du?«, rief ihre Mutter ihr entsetzt entgegen.
Sie war alles andere als begeistert von dem fremden Mann. Nachdem Lena ihr aber erzählt hatte, wie Christoph ihr geholfen hatte und dabei in den Schmutz gefallen war, ließ sie sich erweichen und bat den Fremden herein.
»Na dann kommt herein. Lena wird euch zeigen, wo ihr euch säubern könnt, und später nach dem Kirchgang kommt ihr mit an den Abendbrottisch. Viel haben wir nicht. Aber für ein Stück Brot mit Käse für euch wird es auch noch reichen.«
»Danke, vergelts euch Gott. Ich möchte euch keine Unannehmlichkeiten bereiten. Ich kann auch ins Wirtshaus gehen.«
»Nein, nein, es macht nichts, kommt nur herein.«
Seit über einem Jahr war nun ihr Georg tot und sie war mit den Kindern allein in dem Haus. Was werden die Nachbarn denken? Na gut, für eine Nacht und es wird ja jetzt schon kalt in der Nacht. So mag er in der Werkstatt schlafen, überlegte sie sich.
Nach dem Abendgebet in der nahen Stadtkirche St. Kilian, er saß natürlich weit von ihnen weg und sie gingen auch getrennte Wege zurück, setzten sie sich gemeinsam an den Abendtisch. Das Wenige, was Anna Maria vorsetzte, ergänzte Christoph durch seinen Reiseproviant. Brot, etwas Schinken und einen Krug Bier, den Johann Albrecht im nahen Brauhaus auf Geheiß der Mutter holte. So gut hatten sie schon lange nicht mehr gegessen.
Nach dem Abendbrot gingen die Kinder bald ins Bett. Anna Maria nahm ihr Nähzeug und besserte noch einige Kleidungsstücke aus. Christoph setzte sich zu ihr und trank den Rest des dunklen fränkischen Bieres.
»Lasst mich euch helfen«, sagte er und nahm ihr den Mantel aus der Hand.
»Könnt ihr das denn? Das ist doch Frauensache.«
»Aber ja, ich bin gelernter Schneider, hauptsächlich Uniformschneider und Zeugmacher. Nähen ist mein Beruf. Meist sind die schweren Soldatensachen noch viel fester als dieser dünne Mädchenmantel.«
»Ach, ihr seid ein Schneider? Was verschlägt euch nach Windsheim, ich habe euch hier noch nie gesehen?«
»Ich komme aus Nürnberg und wollte hier meine eigene Werkstatt aufmachen. Aber der Rat der Stadt hat mich abgewiesen, da ich die geforderte Summe nicht aufbringen kann.«
»Mein Mann, Gott hab´ ihn selig, war auch Uniformschneider und gelegentlich auch Herrenschneider. Die großen Herren vom Rat und auch die Meister haben bei ihm fertigen lassen. Wir hatten ein gutes Auskommen. Unser Haus haben wir von einer Witwe gekauft, und auch ein paar Äcker konnten wir dazu erwerben. Fast alles konnten wir schon beim Oberrichter Keget abbezahlen. Bis, ja bis, mein Mann den Unfall hatte.«
Hier schnaufte die Frau tief durch, fing sich aber gleich wieder.
»Die rechte Hand und der rechte Arm kaputt, nicht mehr zu gebrauchen. Wir hielten uns einige Zeit mit Flickschneiderei über Wasser. Georg ging immer ins Spital, aber die Nonnen konnten ihm auch nicht helfen. Die Schwermut kam dazu und er ging nun immer häufiger auch ins nahegelegene Wirtshaus.
Immer öfters brachte ihn spät abends der Nachtwächter nach Hause. Wie soll er uns versorgen? Was wird aus uns? Ständig stellte er sich diese Fragen. Und dann, dann fand die kleine Lena ihren Vater auf dem Boden der Werkstatt liegen. Tot. Eine Flasche Rattengift daneben. Selbstmord, Unfall? Für den Pfarrer war es Selbstmord. Keine Beerdigung, unwürdig