Aber da bestand keine Gefahr, hier war das Markttreiben sehr laut. Außerdem hatten sie einen Sitzplatz etwas abseits von den anderen Tischen und Bänken ergattert.
»Wie ihr wisst«, begann sie stockend zu erzählen, »bin ich zwar Witwe, aber meine Ehe zählt nicht mehr für die Oberen vom Rat und vor der Kirchenobrigkeit, da mein Mann als Selbstmörder offiziell nicht existiert hat. Also brauche ich auch die vorgeschriebenen Trauerjahre nicht einzuhalten. Wenn ich binnen Jahresfrist nicht wieder verheiratet bin, muss ich die Stadt verlassen und zu meinen Leuten zurückkehren. Das will ich auf gar keinen Fall, und in den Dienst bei einer fremden Herrschaft möchte ich auch nicht.
Ein Großteil von dem Haus und die Werkstatt gehören schon der Schneiderzunft und dem Viertelbürgermeister Franz Jakobus Merklein, unserem Nachbarn. Sie haben uns in letzter Zeit mit einigem Geld ausgeholfen. Aber hierfür findet sich bestimmt eine Lösung.«
Christoph wollte etwas einwerfen.
»Unterbrecht mich nicht«, fuhr sie ihn etwas barsch an und erschrak, »mir fällt es sowieso schon schwer genug. Ich habe euch einen Vorschlag zu machen. Also, ihr seid auf der Suche noch einer eigenen Werkstatt. Wie wäre es, wenn wir uns zusammentun? Ihr scheint ja ein ganz passabler Kerl zu sein, und ich hätte Schlimmeres zu erwarten, wenn mich der Zunftmeister wieder verheiraten würde. Heiratet mich! Wenn nicht aus Liebe, so aber zu unserer beider Nutzen.«
Der Bartel musste jetzt erst einen großen und langen Schluck nehmen, das war zu viel und zu schnell für ihn.
»Ich hol´ noch schnell einen neuen Krug Bier, dann reden wir weiter.«
Er ließ sich Zeit zum Zurückkehren. Warum nicht, überlegte er, so schlecht sah die Frau ja nicht aus. Etwas verhärmt, von der Trauer und der vielen Arbeit. Einige Jahre älter vielleicht als er. Haus und Werkstatt waren scheinbar recht ordentlich geführt worden und ganz gut beieinander. Und so schnell kam er nicht zu einer guten Werkstatt und zu einem Bürgerrecht in einer so schönen Stadt. Vielleicht sollte er ...? Anna Maria Bäumer hatte ihm gleich gut gefallen.
»Nun gut, das sollte noch einmal gründlich besprochen werden. Lasst uns das Ganze doch heute Abend bereden«, gab er ihr zur Antwort.
»Vielleicht sollten wir aber auch erst einmal die Kinder fragen, ich will mich nicht gleich mit ihnen herumärgern müssen.«
»Die sind doch froh, wenn wir hier bleiben«, nahm sie deren Antwort vorweg.
Am Abend saßen alle vier zusammen und beratschlagten die ganze Sache. Schnell wurden sie sich einig, fand doch jeder den anderen sehr sympathisch. Im Frühjahr sollte dann die Hochzeit sein.
Besonders Lena war begeistert, möglicherweise half ihr Christoph wieder beim Pflügen, denn diese Arbeit war ihr einfach zu schwer. Und vielleicht bekam sie dann wieder ein paar Schuhe, es mussten ja nicht unbedingt wieder rote sein, oder ...?
Anno 1727 - Gottes Fügung
Seit Christoph vor knapp einem halben Jahr die Werkstatt übernommen hatte, war er nun schon mehrmals mit den Zunftmeistern zu einem längeren Gespräch im Wirtshaus zusammengesessen. Man hatte die Bedingungen, die in der Zunftordnung festgehalten waren, besprochen. Christoph sollte als Zeugmachermeister das eigene Tuch herstellen dürfen und als Schneidermeister für die Uniformen der Stadtwachen und der Bürgerwehr zuständig sein.
Vor allem wollten die Meister sich nicht an das neue Reichsgewerbegesetz halten. Dieses sollte nämlich die Autonomie der Zünfte aufheben.
Vier Wochen vor der geplanten Hochzeit wollte er zusammen mit seinem Stiefsohn und der Stieftochter die Zimmer neu streichen. Sie wollten in einem »neuen, frischen Haus«, wie Anna Maria meinte, ihre gemeinsame Zukunft beginnen.
»Albrecht geh´ doch einmal zum Meister Krauß und hole frische Kalkschlämme. Ich schau zum Maler Maucher und hole die Farben«
Damit schickte ihn Christoph mit einem großen Blecheimer los. Seit Tagen hatten sie schon einen Teil der Milch von ihrer einzigen Kuh zu Quark verarbeitet, genau, wie ihm sein Freund Krauß erklärt hatte. Die Mischung von Quark mit Kalkbrühe würde einen wasserfesten oder zumindest wischfesten Anstrich ergeben.
Christoph machte sich zusammen mit Lena auf den Weg zum Malermeister Johann Friedrich Maucher.
Ein kräftiges Grün, Ultramarinblau und ein leuchtendes Gelb. Fröhlich sollten die Räume wirken. Anna Maria wünschte sich eine leuchtend blaue Küche, wie sie es bei Frau von Keget einmal gesehen hatte, und Christoph eine grüne gute Stube. Dieses Blau war einfach eine tolle Farbe, diese Leuchtkraft der Pigmente, kein Wunder, das es sehr teuer war. Das Gelb sollte den Gang aufhellen.
»Meister Bartel, seid ihr euch sicher, dass ihr Ultramarinblau wollt? Diese Farbe ist teuerer als Gold! Die habe ich nicht vorrätig«, fragte der Malermeister nach.
»Was? Das kann ich mir nicht leisten.«
»Dann nehmt doch Kobaltblau, da müsst ihr etwas mehr Pigmente einrühren, damit es schön leuchtet, aber es ist wesentlich billiger.«
»Aber warum ist Ultramarinblau so teuer?«, fragte Lena dazwischen.
Christoph runzelte missmutig die Stirn: »Frag doch nicht immer so viel.«
»Nein, lass doch Meister Bartel! Ist doch gut, wenn sich die jungen Leute für so was interessieren. Also – das ist so, wie der Name schon sagt: ultramarin, das heißt über das Meer und ist lateinisch. Das Farbpulver wird sehr aufwendig aus einem Halbedelstein, dem Lapislazuli, hergestellt. Den gibt es nur im Morgenland bei den Persern. Glaube ich wenigstens.
Darum ist die Farbe so teuer. Ich benutze selber nur Kobaltblau, auch Coelestinblau genannt, was so viel wie Himmelsblau heißt.
»Lena, jetzt reicht es!«, unterbrach Christoph den Redefluss vom Maucher, nachdem er merkte, dass Lene bereits zur nächsten Frage ansetzte.
»Wir nehmen die Farben, die ihr uns hergerichtet habt, Meister.«
Christoph zahlte und beide trugen ihren Einkauf nach Hause.
Albrecht erreichte ihren Hof fast gleichzeitig mit Christoph und Lena. Zusammen mit dem Gesellen Salvatore schleppte er den schweren Kalkeimer.
Salvatore De Pachino war mit dem Maurermeister Krauß nach Windsheim gekommen. Sie hatten sich vor Jahren in Florenz kennengelernt. Neben ihm gab es nur noch einen anderen italienischen Arbeiter in der Stadt, den Kaminkehrer Giacomo Minetto.
»Der Meister Krauß lässt euch grüßen und schickt den Salvatore mit. Er soll uns beim Streichen helfen, vor allem weiß er, wie die Farben richtig angemischt werden.«
»Da bin ich aber froh, ich habe noch nie eine Farbe angerührt«, meinte Christoph.
»Meister du nehmen zwei Seidla Ricotta, also Quark, gut durchrühren mit wenig Kalk und Wasser, so«, erklärte und zeigte ihm der Stuckateur, »und dann du tust das auf eine kleine Fass Kalkbrühe.«
Mit einem Stock rührten sie die Flüssigkeit solange, bis es fast wie eine Milch wirkte.
Zuerst strichen sie in allen Räumen die Decken und die oberen Ränder, auf etwa eine halbe Elle Breite von oben gemessen, der Wände weiß.
»Die Küche will meine Frau blau haben.«
»Va bene, dann wir machen blau.«
Damit rührte Salvatore die blauen Farbpigmente mit ein wenig Kalkmilch an, solange bis keine Klumpen mehr da waren.
Er kippte alles in einen großen Eimer mit Kalkmilch. Nun noch kräftig durchmischen und los kann es gehen mit dem Pinseln.
»Bella Azzuro, wie die Meer«, begeisterte sich nun auch Salvatore.
Sie trugen die Farbe vom Hof nach oben in die Küche. Diese lag, wie die ganze Wohnung, im ersten Stock über dem Laden. Sie wollten gerade mit dem Kalken beginnen, da rief der Italiener:
»No, no,