Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844242553
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die von den Planken hinabführte, um auch bei einem niedrigen Wasserstand das Einsteigen zu ermöglichen. Sie hielt nach dem Fährmann Ausschau, aber niemand war zu sehen. Vielleicht war es noch zu früh, die Sonne war noch nicht lange aufgegangen. Vermutlich erhielt Wandan gerade jetzt die Botschaft von Zaryc.

      „Junges Fräulein, wünscht ihr übergesetzt zu werden?“

      Erschrocken fuhr Sara herum. Der Mann, der sich ihr lautlos von hinten genähert hatte, war ihr völlig fremd. Und es konnte auch nicht der Fährmann sein, der immer als alt, hässlich und mürrisch beschrieben wurde. Genaugenommen war es ein starkes Stück, dass er sie „junges Fräulein“ nannte, denn sicher war er noch nicht einmal so alt wie Sara. Er mochte vielleicht achtzehn Sommer zählen. Sein schulterlanges, dunkelbraunes Haar war von wilden Locken durchsetzt und der Ansatz eines Bartes verlieh seinem Kinn einen rebellischen Ausdruck. Er war nicht direkt hübsch, aber das hatte er vor allem der auffällig krummen Hakennase zu verdanken.

      „Nein....“ antwortete sie verwirrt. Der Junge musterte sie neugierig.

      „Kommst nich' von hier, he? Ne Fremde? Biste ausgebüxt?“ Kaum hatte er gesehen, mit wem er es zu tun hatte, änderte sich sein übertrieben höflicher Tonfall merklich. Trotzdem war er nicht unfreundlich.

      „Nein.“ Auch Sara hatte sich schnell wieder gefangen. „Und du bist nicht der Fährmann.“

      „Nee, bin ich nich'. Das is' mein Onkel. Aber dem tun die Knochen weh vom Rudern. Deshalb übernehm ich ab und zu die Arbeit. Gibt gutes Geld zur Zeit. Sin' ja viele Gäste in Semon-Sey.“

      „Immer noch?“

      „Nee, die meisten sin' weg. Haben nur den Auszug der Krieger abgewartet. Und du? Hab dich schon mal irgendwo gesehn.“

      „Du irrst dich.“

      „Nee, tu ich nich. Gibt nich' viele Blonde hier. Und du bist ne Fremdländerin. Seh ich an deinen Augen. Wart mal...“ Er tat, als müsse er angestrengt nachdenken. „Bist du dieses Mädel aus dem Süden, diese Heilerin? Die bei der Shaj rausgeflogen is'?“

      „Ich bin nicht 'rausgeflogen'.“ erwiderte Sara verärgert.

      „Also bist du die?“

      „Wieso willst du das wissen?“

      Der Junge lachte amüsiert. „Das fragst grade du? Meinste nich', dass wir hier Fremde fragen dürfen, was sie hier wollen? Is' unser Land.“

      Sara verdrehte die Augen.

      „Ja, das weiß ich. Aber du bist ja nun wirklich kein typischer Sichelländer.“

      „Bin ich wohl. Du kennst wohl nur die Batí, he? Gibt auch andere.“

      „Ich bin nicht dumm, nur weil ich woanders geboren wurde.“

      „Is' ja schon gut. Will mich ja nich' mit den Dienern der Shaj anlegen. Was machst'n hier?“ Er schwang sich auf die Brüstung, die an einer Seite des Stegs entlanglief und kaute auf dem Stängel irgendeiner Pflanze. Anscheinend fand er, dass eine Unterhaltung mit einer Fremdländerin seinen sonst eher langweiligen Arbeitstag etwas versüßen könnte.

      „Ich wollte eigentlich mit deinem Onkel sprechen.“

      „Mit dem Alten? Was willst'n von dem? Der redet nich' mit Fremden.“

      Sara beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Vielleicht war nicht nur Zarycs Auftauchen, sondern auch die Anwesenheit dieses frechen Jünglings ein Wink des Schicksals.

      „Ich wollte ihn fragen, ob er mich mit seinem Boot bis zur Grenze bringen kann. Und was das kostet.“

      Der Junge fiel fast vom Geländer.

      „Zur Grenze?“ Dann brach er in lautes Gelächter aus. „Du bist wohl nicht ganz gescheit! Der Fluss entspringt im Osten und mündet im Westen ins Meer. Und die Grenze is im Süden. Meine Güte, von wegen, du bist nich' dumm.“

      Sie schluckte die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, hinunter.

      „Ich weiß, wo die Grenze ist. Und wie der Fluss verläuft. Aber man kann doch bis zum Meer rudern und dann an der Küste entlang nach Süden.“

      Jetzt lachte der Junge noch lauter. „Biste lebensmüde? Und außerdem... was soll das bringen? Da wäre ja sogar mein Onkel zu Fuß schneller – und der hat'n lahmes Bein!“

      Enttäuscht schaute Sara zu Boden.

      „Dauert es denn so lange?“

      „Na sicher! Wenn nur einer rudert – und das bis zur Küste... das reicht schon. Aber dann noch nach Süden... ist doch ein riesen Umweg! Und wenn du da ankommst, was dann? Cycalas grenzt da nich' an den Shanguin-Gürtel, sondern ans Barbarenland! An Zrundir! Willste echt da hin?“

      „An Zrundir?“

      „Mensch, Mädel, noch nie ne Landkarte gesehen? Die Grenze macht 'n Knick nach Norden. Von hier aus kannste mit nem Boot den Shanguin-Gürtel gar nich erreichen.“

      Doch dann wurde der Junge plötzlich ernst.

      „In den Süden willste also? Und das wohl möglichst schnell, he? Wieso denn mit'm Boot? Ich denk, ihr Fremdländer habt Angst vor'm Wasser?“

      Sara zuckte die Achseln. „Das spielt keine Rolle.“

      „Naja...“ Er dachte nach. „Wenn überhaupt, müssteste an der Westküste lang. Das geht schneller, wenn du sie erst mal erreicht hast. Nich' hier über diesen Fluss, da kommste ja nach Osten. Aber es gibt noch'n kleineren, der direkt zur Westküste fließt, nich' weit von hier. Wenn du nen guten Fährmann hast, kannste da ein gutes Stück abschneiden. Aber bringt auch nich viel. Außer, du hast 'n richtiges Schiff. Dann kannste bis ins Mittelland fahren. So wie die Krieger damals.“

      „Die Krieger?“ Sara horchte auf. „Du meinst... vor zwölf Jahren?“

      „Genau! Die sin' auch mit Schiffen in den Süden gefahren. Bis zum Mittelland. Da sin' irgendwo so alte Ruinen....“

      „Die Ruinen von Chaz-Nar!“

      „Ja, kann sein. Weiß ich nich'. Jedenfalls ham die nich' lang gebraucht.“

      „Doch, haben sie.“ Sara erinnerte sich an Gromuits Tagebuch. „Sechs Tage. Wegen des Gegenwinds.“

      Verwundert hob der Junge die Brauen. „Woher weißt'n das?“ Dann schüttelte er den Kopf. „Ne, aber nich' der Shaj und so. Die waren schneller. Drei oder vier Tage vielleicht. Aber kannste vergessen.“

      „Was kann ich vergessen?“

      „Dass du das schaffst.“

      „Warum nicht?“

      Er seufzte ungeduldig. „Weil du halt nur'n Mädel bist. Hast kein Schiff. Keine Ruderer. Kein Geld.“

      „Wie viel Geld brauche ich für das alles?“

      „Mensch, Mädel, du hast nich' verstanden! Meinste, du könntest hier als Fremde irgendwo einfach 'n Schiff kaufen? Ich rede von 'nem Schiff! Mit Segeln und Ruderplätzen. Nich so n Boot hier oder ne Totenbarke. Ne, das kannste vergessen.“

      „Aber es gibt doch auch Barken, mit denen man über das Meer fahren kann. Damals, als die Sichelländer von der Abendinsel....“

      „Schschsch!!!!“ machte der Junge entsetzt und drehte sich um, als hätte er Angst jemand könne sie belauschen. „Red doch nich so 'n Unsinn. Davon spricht man hier nich'! Von der Insel und so. Halt bloß den Mund! Mensch, bist echt 'ne Dumme!“

      Noch einmal biss sich Sara auf die Zunge. „Hör zu, ...wie heißt du eigentlich?“

      Grinsend verschränkte der Junge die Arme.

      „Meinen Namen willste? Was krieg ich dafür?“

      „Nichts.“ antwortete Sara trocken. „Aber vielleicht kannst du mir helfen und ich wäre bereit, gut dafür zu zahlen. Nur... ich mache keine Geschäfte mit Leuten, deren Namen ich