Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844242553
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Meinst du, an dieser Geschichte ist etwas Wahres dran? Dass es tatsächlich noch einen Blutsträger gibt, von dem niemand weiß? Nein, das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen....“

      „Was du dir vorstellen kannst, Rahor, ist leider kein Maßstab für die Wirklichkeit. Tatsache ist jedenfalls, dass wir schon genug Probleme haben. Log hält cycalanische Geiseln gefangen. Er verbündet sich mit Iandal und den Hantua und stellt uns seine Armee entgegen. Iandal wiederum befehligt die Soldaten von Zrundir und hetzt das Mittelland gegen uns auf. Wir führen einen Krieg gegen ganz Sacua. Und diejenigen, die einen Eid darauf geschworen haben, die alten Geheimnisse zu wahren, sind gerade dabei, eine Waffe ausfindig zu machen, die, natürlich vorausgesetzt, dass es sie gibt, uns einen tödlichen Schlag versetzen könnte. Nimm dich in acht, Rahor. Dass ich allein vor euch herreite, während irgendwo vielleicht ein verirrter Hantua durch die Sträucher kriecht, ist das absolut Geringste, weswegen du dir Sorgen machen musst!“

      „Aber....“

      „Nichts aber. Das reicht. Wir werden nicht mehr davon reden. Du wirst mit niemandem darüber sprechen, hörst du? Im Augenblick sitzen uns mehr Feinde im Nacken, als du dir vorstellen kannst. Manche, weil sie uns unterliegen sehen wollen. Aber manche auch aus purer Dummheit, weil sie die Finger nicht von den Dingen lassen können, die sie nichts angehen. Ich habe es dir gesagt, damit du siehst, wie wenig man sich auf Pflichten, Schwüre und Versprechen verlassen kann. Sobald wir Valahir durchquert haben, wird dir keine Zeit mehr bleiben, dich damit zu befassen. Dann werden wir alle keine Zeit mehr haben für irgendwelche Hirngespinste. Je früher dieser Moment kommt, desto besser.“

      „Ich habe nachgedacht.“

      Racyl fiel es nicht leicht, Akosh, Menrir, Oras, Haya und Mo anzusehen. Sie war es nicht mehr gewohnt, mit vielen Menschen gleichzeitig zusammen zu sein. Auch in den Jahren im Zera-Tempel hatte sie die meiste Zeit allein verbracht.

      Sara hielt sich abseits. Sie wusste, wie Racyl sich entschieden hatte und inzwischen war sie froh, dass sie die Meinung ihrer Freundin zugelassen hatte.

      „Ich werde nicht mit euch kommen, Akosh.“ sagte diese laut und deutlich. „Es ist besser für uns alle, wenn ich bei Mo bleibe und mit ihm Mondor und Wandan unterstütze.“

      Die Augen des alten Dieners leuchteten bei ihren Worten. Dass eine junge hübsche Dame seine Gesellschaft gewählt hatte, ließ ihn vor Stolz anschwellen, auch wenn er wusste, dass ihre Entscheidung nichts mit seiner Person zu tun hatte. Die Aussicht auf die nächsten Wochen machten dieses Bedauern jedoch schnell wett.

      „Das ist sehr vernünftig und klug von dir.“ nickte Akosh erleichtert. „Ich hoffe, Sara sieht das auch so.“

      „Was ich denke, ist unwichtig.“ sagte Sara immer noch abweisend. „Es ist Racyls Angelegenheit. Noch weiß niemand, dass sie sich wieder in Semon-Sey aufhält, aber wenn sie sich zu Mondor und Wandan gesellt, wird sich diese Nachricht schnell verbreiten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Lennys davon erfährt. Ihre Boten und Informanten sind sehr gewissenhaft.“

      Akosh lächelte zaghaft. „Hierzu hatte Mo bereits einen recht brauchbaren Vorschlag. Nicht wahr, Mo?“

      Etwas nervös trat der Diener vor Racyl. „Ich denke, Herrin, dass ihr euch mit einigen Hilfsmitteln leicht unkenntlich machen könntet. Und dann werde ich euch als Tempelschülerin zu eurem neuen Lehrmeister und entfernten Verwandten Mondor geleiten. Niemand wird Verdacht schöpfen. Euer herrliches Haar werdet ihr allerdings unter einem Tuch oder einer Perücke verbergen müssen. Was eure Herkunft angeht, müsst ihr nicht lügen, eure blauen Augen verraten euch als Halbblut der Batí, aber das ist ja nicht unbedingt eine Seltenheit. Eine Halbblutnichte Mondors aus einem fernen Dorf, die in die unterste Tempelstufe eingeweiht wird – niemand wird Verdacht schöpfen und wenn ihr geschickt seid, wird euch auch niemand wiedererkennen.“

      Racyl dachte kurz nach. „Ja, das könnte funktionieren. Nur... was wird Mondor dazu sagen? Ich kenne ihn so gut wie nicht, er ist mir früher immer nur flüchtig begegnet.“

      „Mondor ist nicht das Problem.“ sagte Akosh. „Für ihn ist das sicher eine willkommene Abwechslung. Aber du solltest dich von Semon-Sey und Vas-Zarac eine Weile fernhalten. Morgen werde ich mich mit Wandan treffen und ihm unseren Vorschlag unterbreiten, dann werde ich hoffentlich auch erfahren, wann er und Mondor aus Semon-Sey aufbrechen wollen.“

      „Und wir?“ fragte Sara. „Wann ziehen wir los? Die Cas und Lennys haben schon mehr als einen Tag Vorsprung und sie reiten auf Mondpferden. Wir werden sie kaum noch einholen können.“

      „Das können wir ohnehin nicht.“ antwortete Akosh. „Sie kennen Wege, die schneller aus Cycalas hinausführen, als wir uns träumen lassen. Sicher haben sie jetzt schon fast die Berge erreicht. Nein, wir werden ihnen nicht auf dem Fuß folgen. Frühestens morgen abend, vielleicht auch erst tags darauf, werden wir uns aufmachen. Wir nehmen die Route über das Nadeltor. Schon allein deshalb müssen wir abwarten, sonst laufen wir den erstbesten Sichelkriegern in die Arme. Wenn wir erst einmal in Gahl sind, werde ich mich vorläufig als Mittelländer ausgeben, dann können wir uns Pferde nehmen. Und erst dann nehmen wir Lennys' Spur auf. Das wird nicht leicht, aber ich habe so meine Tricks.“

      „Das heißt also, wir werden zu Fuß bis Gahl gehen? Dafür brauchen wir viele Tage!“

      „Nein, natürlich werden wir nicht zu Fuß gehen.“ erwiderte Akosh geduldig. „Du hast recht, das würde zu lange dauern. Ich kenne einen Silberhändler, der mir noch einen Gefallen schuldet und der uns auf seinem Marktwagen mitnehmen wird, wenn er nach Askaryan fährt. Dort wiederum werden wir uns ein paar Esel nehmen und auf ihnen bis zum Nadeltor reiten. Wir lassen sie dort zurück, sie werden den Weg allein finden. Es sind kluge Tiere, die schon öfter auf diese Art in Anspruch genommen wurden. Alles in allem können wir nach drei bis vier Tagen in Gahl sein, wenn wir auch nachts reisen. Und das müssen wir. Im Wagen können du und Menrir schlafen und notfalls auch auf den Eseln. Es wird mühsam, anstrengend und sehr unbequem, aber das ist nicht zu ändern.“

      „Dann sollten wir doch erst recht keine Zeit mehr verlieren!“

      Menrir räusperte sich.

      „Nicht so hitzig, liebe Sara.“ schaltete er sich ein. „Sowohl Akosh als auch ich haben noch einige Geschäfte zu erledigen, bevor wir von hier verschwinden. Er hat recht, wir können nicht so schnell reisen wie die Cas, aber trotzdem werden wir sie noch rechtzeitig erreichen. Sie wählen nicht den direkten Weg bis nach Log-Stadt und werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, im Mittelland und im Südreich ...sagen wir einmal, aufzuräumen. Vergiss nicht, dass wir vorsichtig sein müssen. Niemand sollte so schnell erfahren, dass wir Cycalas verlassen haben. Wir müssen uns vor Sichelkriegern und Säbelkämpfern in acht nehmen. Lennys hat ihre Augen überall.“

      „Sie würde uns ja wohl kaum aufhalten!“

      „Da wäre ich mir nicht so sicher.“ sagte Akosh mit fester Stimme. „Aber genug geredet. Mo und Racyl, ihr werdet am besten so schnell wie möglich Kontakt zu Mondor und Wandan aufnehmen. Mo, du kannst das übernehmen, während Racyl vorerst hierbleibt und ihr euch geeinigt habt, wann ihr aus Semon-Sey verschwindet. Und ihr beide, Oras und Haya, macht euch heute noch zu Imra auf. Es gibt keinen Grund, länger zu warten – im Gegenteil. Wir sollten möglichst schnell die Flucht nach vorn ergreifen. Mo, ich bitte dich, auch Sara noch ein oder zwei Tage hier wohnen zu lassen, auch wenn du nicht mehr da bist. Hier wird sie vorerst niemand suchen. Ich muss in mein Quartier in der Stadt zurück und noch einiges regeln. Ähnliches gilt für Menrir.“

      Mo nickte, doch Sara bewies erneut, dass stummer Gehorsam zu den Eigenschaften gehörte, die sie gerade abzulegen gedachte.

      „Ich soll hierbleiben? Und dann 'vergesst' ihr vermutlich mich abzuholen? Racyl und ich sind doch für euch nur Ballast, wollt ihr uns deshalb hier unter Verschluss halten?“

      „Nein, das wollen wir nicht.“ seufzte Akosh und musste sich beherrschen, um nicht gereizt zu klingen. „Aber ihr beide seid einfach zu auffällig. Dich, Sara, kennt inzwischen fast jeder in Semon-Sey. Und wenn Racyl ebenfalls plötzlich wieder auftaucht, dauert es nur Stunden, bis Imra, Talmir und letztendlich auch Lennys davon erfahren.