„Unsinn. Das ist er nicht.“ zischte Lennys. Der Schmied erbleichte. Es war Rahor, der Akosh die Erklärung lieferte.
„Lennys hat recht, Akosh. Wandan ist nicht tot. Wir glaubten es, damals. Dass er ebenso wie Iandal in der brennenden Burg Orjopes umgekommen sei. Aber, auch genau wie Iandal, hat er überlebt. Nur ist er zurückgekehrt in sein Land. Doch es heißt, er habe kein einziges Wort mehr gesprochen. Schwer verletzt zog er sich in die Nordwälder zurück und ließ sich vom Batí-Tempel gesundpflegen. Jetzt lebt er als Einsiedler in den Wäldern und hat seitdem zu niemandem mehr Kontakt, abgesehen von den Batí in Yto Te Vel.“
„Das... wusste ich nicht...“
„Kaum jemand wusste es.“ sagte Lennys ungerührt. „Er hat seine Pflichten gegenüber Cycalas erfüllt und es hat ihn mehr gekostet als nur seine Gesundheit. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich ihn in seinen Wäldern lassen, er hat den Frieden mehr verdient als die meisten von uns. Aber ich habe keine Wahl. Rahor, schicke einen Boten zu ihm. Befehle ihn hierher, in meinem Namen.“
„Er wird nicht kommen.“ Alle starrten Mondor an. Der alte Batí-Priester hatte bei seinen Worten geradewegs Lennys angesehen.
„Er wird.“ sagte die Shaj verbindlich. „Ich selbst werde das Schreiben verfassen. Und sei dir sicher, er wird sich meinem Willen nicht verschließen.“
„Warum? Warum Wandan? Warum kannst du nicht einen anderen beauftragen? Hat er nicht schon genug Leid erfahren in einem Krieg, in dem sein Shaj starb und beinah alle seine Freunde?“ Mondor schien wütend, obgleich er seine Stimme ruhig hielt.
„Ich habe meine Gründe! Und wage es nicht, über die Toten des Krieges zu sprechen, wenn du vor mir stehst!“
„Aber man sagt, er wäre nicht mehr er selbst! Wie kann er uns jetzt helfen?“
„Auch das ist allein meine Sache! Zügle dich, Mondor!“
Sara fühlte sich mehr als nur unwohl. Sie begriff nicht, was hier vorging, sie wusste nicht, wer Wandan war und sie verstand nicht, warum Lennys so darauf bestand, einen alten Veteranen zurückzurufen. Doch ihr war völlig klar, dass die meisten Anwesenden Mondors Meinung teilten, auch wenn niemand sonst es so offen aussprach. Die Novizin war erleichtert, als Lennys das Treffen für beendet erklärte und alle Ratsmitglieder auffällig schnell das Weite suchten. Nur sie selbst, die Shaj und Akosh blieben.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass Wandan noch am Leben ist?“ fragte der Schmied fassungslos. Lennys zuckte die Achseln.
„Was hätte das geändert?“
„Was das geändert hätte? Wir waren Freunde! Du wusstest das! Ich habe um einen toten Freund getrauert und habe versucht, die schrecklichen Ereignisse zu vergessen, als ich ins Mittelland ging!“
„Du wärst auch gegangen, wenn du von ihm gewusst hättest. Und ich glaube nicht, dass ich dir eine Erklärung schuldig bin.“
„Aber...“
„Das reicht jetzt, Akosh. Du solltest dich lieber um das hier kümmern!“ Sie hielt ihm die Pergamentrechnung vor die Nase, die sie in der Nacht zuvor dank Saras Hilfe aus den zahlreichen Schreiben herausgelesen hatte. „Reite nach Askaryan und verhöre den Wachposten dazu. Ich will umgehend wissen, was dahintersteckt. Und jetzt geh!“
Ungläubig starrte Akosh auf das Papier, ohne es auch nur zu überfliegen, sah tief betroffen wieder zu Lennys auf und verließ den Saal ohne ein weiteres Wort. Selbst das Geräusch des zufallenden Portals klang in Saras Ohren traurig.
„Bringe mir Sijak ins Kaminzimmer. Wir werden uns heute die Berichte der Kundschafter genauer vornehmen. Geh in die Bibliothek und lass dir dort Pergamentbögen geben, du wirst mir das Wichtigste aus den Berichten zusammenfassen.“
Sara nickte nur. Dieser Tag hatte einen sehr düsteren Anfang genommen und sie fragte sich, was wohl noch kommen konnte.
Es war ungewöhnlich, dass Lennys schon um diese Zeit Sijak trank. Für gewöhnlich wartete sie bis zum Abend damit und wenn ihre volle Aufmerksamkeit gefragt war, verzichtete sie ganz darauf. Doch obwohl sie sich heute die kompliziert verschlüsselten Schreiben der Spione vornahm, die man ständig miteinander in Verbindung setzen musste, leerte sie einen Kelch nach dem anderen.
Sara saß auf dem Boden neben Lennys' Lehnstuhl, schrieb auf, was ihre Herrin ihr diktierte und ergänzte alles mit eigenen Anmerkungen, die ihr wichtig und hilfreich erschienen. Als sie glaubte, dass der Sijak Lennys' Temperament etwas beruhigt hatte, hielt sie inne.
„Es tut mir leid, aber das alles ergibt keinen Sinn.“ sagte sie kopfschüttelnd.
„Was?“ fragte die Shaj.
„Hier, diese ganzen Todesfälle. Ihr sagtet doch, dass beinah alle Cycala, die ihr Land verlassen haben, dies erst taten, nachdem der Krieg beendet war. Also auch, nachdem Iandal schon längst untergetaucht war. Er kann ihre Identität also gar nicht kennen. Es sei denn, er hat jedes Dorf in Sacua bereist und genau Buch über die Einwohner geführt. Aber dann wäre er doch auch erkannt worden. Er war ja einer der Cas.“
„Wenigstens dir fällt das auf.“ nickte Lennys. „Abgesehen davon hätte er die wenigsten der Auswanderer gekannt, es waren meist einfache Leute, die mit den Cas nichts zu tun hatten. Du kennst ja auch nicht jeden Mittelländer und Log kennt nicht jeden Manatarier. Iandal hätte nicht ohne weiteres herausfinden können, wo überall verborgene Sichelländer leben.“
„Aber woher...“
„Spione aus Zrundir vielleicht. Oder er hat sich Dokumente beschafft, die ihm die nötigen Informationen gegeben haben.“ Die Shaj schien nicht in der Stimmung, darüber nachzudenken.
„Aber es gibt keine einzige Liste, in der diese Cycala genannt werden. Akosh hat sie zusammen mit Imra selbst zusammengeschrieben, aber es gibt keine weitere Aufstellung. Was für Dokumente hätten das sein sollen?“
„Es gibt vieles, was geklärt werden muss. Die Frage ist nur, was wirklich wichtig ist.“
„Iandals Kontakte sind euch sehr wichtig...“ rutschte es Sara heraus und sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Zu ihrem Erstaunen blieb Lennys ganz ruhig.
„Hätten wir vorher gewusst, dass Talmir zusammen mit Iandal in Chaz-Nar war, wären wir vielleicht auch besser auf Sagun vorbereitet gewesen. Ich möchte uns gerne weitere Überraschungen ersparen.“
„Aber wenn Akosh sich darum...“
„Akosh hat, wie ich schon sagte, andere Dinge zu tun.“ Lennys richtete sich auf und legte das Sendschreiben beiseite, das sie gerade gelesen hatte. „Abgesehen davon hatte er damals keinen besonders engen Kontakt zu Iandal. Sie wurden beinahe zeitgleich zu Cas, aber vorher sind sie sich so gut wie nie begegnet. Sie wuchsen an unterschiedlichen Orten auf, wurden von verschiedenen Säbelmeistern ausgebildet und sie mochten sich nicht besonders. Was nützt uns das dann?“
„Und Wandan kannte Iandal besser?“
„Wandan...“ Nachdenklich betrachtete Lennys ihren Kelch. Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete.
„Er hat nichts dem Zufall überlassen. Er war ein erfahrener Kämpfer, ein Krieger vom alten Schlag. Aber er war aufmerksam. Hellhörig. Ihm entging kaum etwas und er hatte einen Instinkt und eine Menschenkenntnis, wie man es heute bestenfalls noch Silberraben nachsagt. Er hatte ein Gespür für die guten und die schlechten Seiten der Menschen. Mehr noch als Mondor.“
Sara schwieg. Sie hatte viele Fragen, doch sie durfte sie nicht stellen. Das hier war eine Geschichte aus der Vergangenheit. Umso überraschter war sie, als Lennys von selbst weitersprach.
„Du hast sicher schon festgestellt, dass Rahor unter den Cas eine Sonderstellung einnimmt. Er ist so etwas wie der Befehlshaber der Leibwache des Shajs. Der Oberste der Festung, wenn man von mir einmal absieht. Nichts in der Nähe des Shajs geschieht, ohne dass er es weiß. Er hat laut Gesetz keine Befehlsgewalt über die anderen Cas, er hat keinen höheren Rang und auch