Sofort erhob sich zahlreiches Gemurmel. Kaum einer hatte es für möglich gehalten, dass König Log zu einer Bedrohung oder auch nur einem ernstzunehmenden Hindernis hätte werden können. Die Nachrichten, die Menrir ihnen überbracht hatte, waren alles andere als beruhigend, auch wenn die Soldaten Manatars den Sichelländern weit unterlegen waren. Im Pakt mit den Kriegern aus Zrundir aber wären sie vielleicht in der Lage, dem cycalanischen Heer einigen Schaden zuzufügen. Dass jetzt auch noch kampferprobte Männer aus dem Mittelland den Reihen des Feindes beitreten könnten, machte die Situation nicht besser.
„Wenn Log es schafft, neben Manatar auch noch das Mittelland zu beherrschen, hat Iandal leichtes Spiel.“ gab Rahor zu Bedenken. „Er muss sich nur einen Namen machen und sein Ansehen am Königshofe mehren. Dann schafft er Log aus dem Weg und ganz Sacua gehört ihm. Das Mittelland. Das Südreich. Und Zrundir.“
Betroffenes Schweigen folgte. Lennys schüttelte den Kopf.
„So schnell geht das nicht. Aber zweifellos ist das sein Ziel. Und sicherlich wird er mit einem Gesamtangriff auf das Sichelland noch so lange warten, bis er alle anderen Armeen des Kontinents unter seinen Befehl gestellt hat.“
„Dann ist die Sache ja wohl klar.“ platzte Sham heraus. „Wir werden ins Verlassene Land einmarschieren und Iandal vernichten und danach greifen wir uns Log und bringen ihn wieder zur Vernunft.“
„Lass es uns wissen, wenn du das erledigt hast...“ erwiderte Lennys zynisch. „So wie man dich reden hört, schaffst du das sicher im Alleingang.“
„Ich meinte ja nur...“
„Wir werden nicht blind in einen Kampf stürzen, solange wir unseren Gegner nicht kennen. Wir wissen nicht, wie groß Zrundirs Heer wirklich ist. Wir wissen nicht, wie eng die Bande zu Manatar und dem Mittelland inzwischen tatsächlich sind. Gehe mit hundert Mann in Orjopes Burg und sieh dich einer Streitmacht gegenüber, die von drei Ländern gestellt wird. Oder schicke all unsere Krieger hin und lasse Cycalas ungeschützt zurück. Welche Wahl ist die bessere?“
Verlegen rutschte Sham auf seinem Stuhl zusammen.
„Du bist ein Hitzkopf, Sham. Du handelst und redest, ohne nachzudenken. Ich gebe dir recht, wenn du der Meinung bist, dass wir Iandal und Log an ihren Plänen hindern müssen und dass wir es uns nicht erlauben können, untätig zu bleiben. Uns läuft die Zeit davon. Aber ein Sturm auf die Festung im Verlassenen Land könnte zu einem Gegenschlag führen, der uns weit zurückwirft. Noch wissen wir zu wenig von unseren Feinden und sie, dank Iandal, zu viel von uns.“
Sham sagte nichts mehr und auch sonst war das Stimmengemurmel am Tisch verstummt. Schließlich hob Mondor den Kopf.
„Wir sollten nicht vergessen, dass Iandal möglicherweise einen weiteren Trumpf im Ärmel hat.“
„Ich bitte dich....“ Talmir verdrehte die Augen. „Nicht schon wieder diese seltsamen Theorien von einem Seitenwechsel Ash-Zaharrs. Allmählich langweilst du mich damit. Kein Mensch kann dir diesen Unsinn abnehmen...“
„Solange sich der oberste Priester des Landes selbstsicher auf seinem Sessel in Askaryan räkelt, anstatt sich seiner wahren Bestimmung hinzugeben, erwarte ich auch kein Verständnis für die hohen Mysterien unseres Glaubens.“ erwiderte Mondor gleichmütig. Talmir sprang auf.
„Du wagst es...!“ rief er zornig. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich in deinem Tempel schalten und walten lasse, damit sich eine Bande religiöser Fanatiker gut aufgehoben fühlt! Eigentlich sollte man jemanden, der derartig den Geist der Sichelländer zu vergiften versucht, sofort in den Kerker werfen! Sprich du nicht von hohen Mysterien! Du hast keine Ahnung von dem, was...!“
„Das reicht!!!“ Lennys Stimme übertönte sogar Talmirs Geschrei. „Es reicht mir langsam mit eurem ständigen Gezanke! Talmir, du bist der Shaj des Himmels, aber dies hier ist meine Festung und der Rat tagt unter meiner Führung! Wenn du dir noch einmal eine solche Entgleisung erlaubst, dann werfe ich dich hinaus, das schwöre ich dir! Und du Mondor, du hast kein Recht, deinen Shaj zu beleidigen! Ich habe dich schon einmal gewarnt und jetzt zum zweiten Mal. Es wird kein drittes Mal geben und glaube mir, ich habe kein Problem damit, deinen Kopf rollen zu lassen, wenn du nicht bereit bist, dich an unsere Gesetze zu halten!“
Es ließ sich nicht mit Sicherheit sagen, wessen Augen am meisten vor Wut glühten. Talmir und Mondor funkelten sich so böse an als wollten sie sich am liebsten sofort gegenseitig die Kehle durchschneiden und Lennys donnernde Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihre Drohungen ohne zu zögern wahrmachen würde, wenn die beiden Streithähne ihr erneut Anlass dazu gaben.
„Ich denke....“ begann Mondor etwas vorsichtiger, „... dass ich nicht nur hier bin, um mir militärische Strategien anzuhören. Wie auch Menrir, Imra und Akosh wurde ich aus einem bestimmten Grund hierher gebeten und deshalb sollte man mich auch anhören. Talmir vertritt den Glauben des Landes, aber eben nur zehn Stämme schließen sich seinen Richtlinien an. Und ich bin der Sprecher des elften Stammes, der eine etwas andere Auffassung zu unserer Religion hat. Deshalb bitte ich um das Wort, um meine Sicht der Dinge darzulegen.“
„Dann tu das, aber vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.“ warnte Lennys.
„Danke. Nun, ich denke, wir sollten uns zuerst bemühen, unsere Situation richtig zu erkennen. Wir sehen manches vielleicht etwas im falschen Licht. Wir sind die Diener Ash-Zaharrs. Nicht umgekehrt. Er beherrscht uns, nicht wir ihn. So war es, so ist es und so wird es immer sein. Und natürlich ist auch Iandal nicht so dumm, zu glauben, er könne einem Gott Befehle erteilen. Ganz gleich, was er sagt oder womit er droht, im tiefsten Innern weiß er, dass er niemals die Macht haben wird, Ash-Zaharr als eine Art übermenschlichen Soldaten zu rekrutieren. Und ich bin mir sicher, dass wir alle...“ Sein Blick streifte Talmir. „..in diesem Punkt übereinstimmen. Aber darum geht es vielleicht gar nicht. Es geht nicht darum, dass wir fürchten müssen, dass Ash-Zaharr dem Sichelland voll und ganz den Rücken kehrt und plötzlich ein Gott Zrundirs wird. Aber wir sollten uns auch nicht zu sehr auf seine Hilfe verlassen. Er hat uns einst als sein Volk erwählt und ohne ihn wären wir nicht das, was wir heute sind. Auch darüber sind wir uns sicher einig. Wir existieren nur, weil er es uns gestattet und unsere zahlreichen Stärken und Fähigkeiten sind nur deshalb so ausgeprägt, weil er sie uns vermittelt hat. Aber wir haben ihn erzürnt. Wir haben seine Wut geweckt und diese währt bis heute. Doch wir leben. Sogar jene, die in seinen Augen verflucht sind. Verräter. Nicht wert, in seiner Gunst zu stehen. Aber immer noch am Leben. Wie lange noch? Und nun begebe ich mich zugegebenermaßen ins Reich der Spekulationen und Mutmaßungen. Ich glaube, dass Iandal Kontakt zu Ash-Zaharr aufgenommen hat. Er hatte genug Wissen, um dies zu tun. Ein sehr gefährliches Unterfangen, aber möglich. Und ich glaube auch, dass er versucht, sich Ash-Zaharrs Wut und seine Rachegelüste zu Nutze zu machen. Er wird den Blutdämon nie dazu bringen, das Volk Cycalas' zu vernichten. Doch wie viel braucht es, um den Zorn des Gottes so weit zu entfachen, dass er die von ihm Verdammten auf tödliche Art und Weise straft? Es gibt Rituale, Anrufungen, Opfer... Seit Urzeiten in den alten Schriften überliefert und ich habe Grund zu der Annahme, dass Iandal sich einen beachtlichen Teil dieses alten Wissens angeeignet hat. Ash-Zaharr lässt sich nicht von einem abtrünnigen Größenwahnsinnigen hinters Licht führen. Er ist ein Gott. Aber er könnte sich auf einen Handel einlassen. Könnte sich dazu hinreißen lassen, seine Rache zu vollenden. Gnade liegt nicht in seiner Natur. Hatten wir bislang nur Glück? Iandal hatte schon immer ein Talent dafür, zu erkennen, wie er das Wohlwollen seiner Herren gewinnen kann. Erinnert euch nur an seinen schnellen Aufstieg zum Cas. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass Ash-Zaharr uns in jeder Situation zur Hilfe kommt. Wenn Iandal mit seinen Bemühungen Erfolg hat, erwartet uns vielleicht eine viel größere Gefahr als nur eine Bündnisarmee. Und ich denke, die meisten von euch wissen, wovon ich spreche. Ihr wisst, wen er verdammt. Ihr wisst, dass er nicht ein ganzes Volk auslöschen muss, um Genugtuung zu erfahren. Und ihr wisst, dass unsere Zukunft sehr verwundbar ist.“
Niemand sagte etwas. Selbst Talmir, dem man förmlich ansah, dass er Mondors düstere Ahnung für übertrieben hielt, presste die