Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241334
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nicht einmal erinnern, wie ich hierhergekommen bin. Vielleicht ist das auch besser so.“

      „Es... es ist alles in Ordnung.“ sagte Sara unsicher. „Ich meine, es gibt nichts was ihr... also... ihr habt hier nur geschlafen, sonst nichts und...“

      „Und was?“

      Betreten dachte Sara an die vergangenen Stunden. Sie dachte daran, wie Lennys unter ihren Händen eingeschlafen war und wie ein nie gekanntes Verlangen in ihr aufgestiegen war. Daran, dass Lennys zwar lange Zeit kein Wort gesagt hatte, aber ihr auch nicht Einhalt geboten hatte, als ihre Berührungen ganz offenkundig nicht mehr die einer medizinischen Massage waren. Daran, wie sie am Atem ihrer Herrin gehört und an ihrem leichten Beben gespürt hatte, dass die diese Momente genoss. Und daran, wie sie all ihre Selbstbeherrschung aufgeboten und die Schnürung der Corsage ihrer Herrin wieder zugezogen hatte, um Lennys anschließend mit einem der Seidenlaken zuzudecken, kaum dass diese eingeschlafen war. Und auch daran, wie sie die Zeit bis zum Morgengrauen nur damit verbracht hatte, bewegungslos auf einem Stuhl zu sitzen und Lennys zu beobachten, stets bemüht, alle Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, die ihr nicht erlaubt waren.

      „..und es tut mir leid.“ antwortete sie schließlich. „Es war meine Schuld, dass ihr hier ward. Ich hätte wissen müssen, dass … also... dass das nicht sein sollte.“

      Misstrauisch starrte Lennys Sara an. Tatsächlich konnte sie sich nicht mehr an die vergangenen Stunden erinnern. Kopfschmerzen und Übelkeit verrieten ihr den Grund dafür. Waren es wirklich zwei Flaschen Sijak gewesen, wie es ihr lückenhaftes Gedächtnis gerade noch verriet? Was war hier geschehen? Warum war sie hier, warum war sie nur noch leicht bekleidet in Saras Bett aufgewacht und warum roch es hier nach Rosenöl? Sie wollte nicht nachfragen. Es gab wohl kaum eine Antwort, die sie beruhigt hätte.

      „Wir werden nicht mehr davon sprechen.“ sagte sie endlich, doch die Worte schmeckten ebenso bitter, wie das schmerzstillende Pulver, dessen Wirkung immer noch auf sich warten ließ. „Bis zum Mittag kannst du tun, was du willst. Dann erwarte ich dich im Kaminzimmer, damit wir mit unserer Arbeit weiterkommen.“

      Rahor wartete in einer Leseecke im hinteren Teil der Bibliothek, doch kaum trat Sara ein, erhob er sich und eilte ihr entgegen.

      „Lass uns nach nebenan ins Kartenarchiv gehen. Dort sind wir ungestört. Bitte...“

      Angespannt folgte Sara dem Cas in den Nebenraum. Er sah nervös und müde aus und als sich die Tür hinter ihnen schloss, verstärkte sich dieser Eindruck noch.

      Sie befanden sich in einem geräumigen Zimmer, dessen Wände ringsum durch Regale verdeckt wurden, in denen hauptsächlich große Pergamentrollen lagerten. In der Mitte stand ein quadratischer Tisch mit mehreren Stühlen. Erschöpft ließ sich Rahor nieder.

      „Bitte setz dich. Du fragst dich sicherlich, was ich von dir will und warum ich so ein großes Geheimnis darum mache.“

      Sara nickte.

      „Bevor ich dir das sage... es tut mir leid, aber ich muss noch einmal auf .. auf diese unangenehme Situation in deinem Zimmer zurückkommen.“

      „Sie möchte sicher nicht, dass wir davon sprechen.“

      Schuldbewusst zuckte Rahor die Achseln. „Da hast du recht. Aber manchmal muss ich anderen Umständen als nur ihrem bloßen Willen Bedeutung beimessen. Ich will auch gar nicht wissen, was ihr... also warum sie bei dir war.“

      „Es ist nicht so, wie du denkst.“

      „Dann glaube ich dir das natürlich, wobei es für mich keine Rolle spielt. Und ich euch beide verstehen könn... lassen wir das. Für mich ist etwas anderes viel wichtiger. Nämlich ihre Sicherheit. Deine natürlich auch, aber du musst mich verstehen. Meine oberste Pflicht ist es, unser Land und auch unsere Shaj zu beschützen. Du kannst noch nicht alles begreifen, was mit unserem Land und seinen Herrschern zusammenhängt. Aber du hast schon vieles gesehen. Und deshalb... Sara, ich weiß, es geht mich nichts an. Aber Lennys hat die Nacht heute in einem recht ungeschützten Bereich der Burg verbracht. Ohne dass jemand es bemerkt hat. Ich muss wissen, ob euch wirklich keiner gesehen hat. Und warum sie das überhaupt getan hat. Verstehst du? Ich kann sie nicht beschützen, wenn sie so unberechenbar ist. Sie sagt immer, dass sie keinen Schutz braucht, aber du weißt genauso gut wie ich, dass… das nicht stimmt. Es sind gefährliche Zeiten. Denk an Makk-Ura. Als Lennys vor einigen Wochen, ohne uns etwas zu sagen, nach Süden gereist ist....meine Güte, du glaubst nicht, was wir durchgemacht haben. Wir wussten nicht, wo sie ist, ob sie entführt wurde oder vielleicht sogar schon tot ist. Erst nach einigen Tagen erhielten wir eine Nachricht. Und in den Wochen danach fielen die Berichte immer spärlicher und unregelmäßiger aus. So etwas hätte nie geschehen dürfen und eigentlich wusste sie das. Sie neigt manchmal dazu, die Gefahr zu unterschätzen, in der sie selbst schwebt. Und heute nacht... Zahlreiche Krieger umstellen die Burg, um jeden Eindringling sofort zu überwältigen, aber ich kann nicht persönlich für jeden die Hand ins Feuer legen, der sich hier bereits aufhält. Natürlich war es mein Fehler. Ich müsste Wachen in der Festung postieren, aber das will sie nicht. Sie will nicht überwacht werden. Aber wie sonst soll ich sie beschützen? So etwas wie heute nacht hätte nie geschehen dürfen. Natürlich bin ich jetzt erleichtert, dass sie bei dir war, nachdem ich sie die ganze Zeit gesucht hatte. Aber wer weiß, wo sie das nächste Mal ist und dann kommt mir vielleicht kein Zufall mehr zur Hilfe.“

      Sara spürte, dass Rahor ernsthaft besorgt war. Hier konnte sie niemand hören. Wenn sie Rahor, dem höchsten Cas, nicht vertrauen konnte, wem dann? 'Shajs können niemandem vertrauen.' hatte Lennys gesagt. Aber sie war keine Shaj. Sie war eine mittelländische Tempelnovizin und hier ging es um mehr als um ihren Stolz.

      „Es war nicht deine Schuld.“ sagte sie dann. „Sondern meine. Lennys und ich waren bis spät in der Nacht im Kaminzimmer und haben gearbeitet. Sie hatte zu viel getrunken. Ich habe ihr einfach nur eine Massage angeboten und da ich nicht in ihre Gemächer darf, kam sie mit zu mir. Das ist alles. Sie hat in meinem Zimmer geschlafen bis heute morgen. Ich bin sicher, dass uns niemand gesehen hat.“

      Rahor wirkte eine Spur erleichterter. „Danke. Lennys wird zuweilen etwas unvorsichtig, wenn sie getrunken hat. Sie weiß, dass das eine ihrer Schwächen ist. Aber sie hat eine Stärke, die vieles wieder ausgleicht. Und ich spreche nicht davon, dass sie im Zweikampf so gut wie unbesiegbar ist.“

      „Ist sie das wirklich?“

      Rahor lächelte stolz. „Ja, ich denke schon. Hast du sie nie kämpfen sehen?“

      „Doch.... schon. Aber ich verstehe nicht viel davon.“

      „Du hast sie gegen eine Handvoll Hantua gesehen. Hättest du sie, so wie ich, einmal in einer wahren Schlacht erlebt, dann würdest du keinen Zweifel mehr hegen. Aber wie gesagt, davon spreche ich nicht. Lennys... traut niemandem. Das weißt du, oder?“

      „Ja, sie hat es gesagt.“

      „Diese Tatsache hat ihr vielleicht bisher mehr als alles andere das Leben gerettet. Und deshalb spreche ich hier mit dir.“

      „Ich verstehe nicht...“

      „Ich will ganz ehrlich sein. Seit ich weiß, dass du seit dem Nebeltempel an ihrer Seite bist, habe ich mich gefragt, warum sie dies zulässt. Und warum du all diese Strapazen auf dich nimmst. Für Letzteres hatte ich nur zwei Antworten. Entweder du spionierst sie aus oder wartest gar auf eine günstige Gelegenheit, sie zu töten oder aber... du bist ihr so treu ergeben, wie es sonst nur ein Cycala sein kann. Doch inzwischen habe ich keinen Zweifel mehr. Sie vertraut niemandem, das ist richtig, aber ich weiß, dass du zuverlässiger bist als all ihre anderen Untergebenen. Ich kann in niemanden hineinsehen, an wen also sollte ich mich wenden? Aber allein schaffe ich es nicht mehr. Und wenn es jemanden gibt, der mein Vertrauen verdient und der mir helfen kann, dann bist du das, Sara. Deshalb bist du jetzt hier.“

      „Wobei helfen?“

      „Ihr Leben zu schützen.“

      Sara schüttelte den Kopf. „Ich bin keine Kämpferin. Ich kann sie nicht gegen Angreifer verteidigen oder sie...“

      „Das sollst du auch nicht.“