Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241334
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      „Wie geht es dir?“ fragte der Heiler. „Es tut mir sehr leid, dass wir noch nicht viel Zeit füreinander hatten. Was hältst du davon, wenn wir uns auf eine Tasse Tee im Lesesaal der Bibliothek treffen? Da können wir uns ungestört unterhalten...“

      „Das ist wirklich nett.“ sagte Sara. Dann fügte sie aber bedauernd hinzu: „Leider habe ich noch etwas Wichtiges zu erledigen. Vielleicht morgen?“

      „Ja... gern...“ erwiderte Menrir verwirrt. „Darf ich fragen, was du...?“

      „Bitte nicht. Vielleicht bin ich auch schnell zurück, dann komme ich gern. Aber ich kann es nicht versprechen.“

      „Na gut, ganz wie du meinst. Ich werde mit Imra sicher noch eine ganze Weile dort sein. Die Bibliothek liegt genau ein Stockwerk unter dem Großen Saal, du kannst sie gar nicht verfehlen.“

      „Danke.“

      Sara wartete, bis Menrir und Imra als Letzte den Gang verlassen und die breite Treppe am Flurende hinabgestiegen waren. Dann setzte sie sich auf einen kleinen steinernen Absatz in einer dunklen Nische, die sie bereits Tags zuvor bemerkt hatte und lauschte. Es dauerte nicht lange bis sich Schritte näherten.

      Ein junges Mädchen in dunkelrotem Umhang, wie er für die Dienstboten der Burg üblich war, kam die Stufen hinauf. In den Händen trug sie ein rundes Silbertablett mit einem schlichten Kelch und einer Flasche Sijak darauf. Sie hielt direkt auf die Flügeltür des Kaminzimmers zu.

      „Warte!“

      Die Dienerin zuckte erschrocken zusammen, als Sara plötzlich aus dem Dunkel hervortrat. Doch kaum hatte sie die Mittelländerin erkannt, wurde ihr Mund schmal.

      „Ich mache das.“ sagte Sara und deutete auf das Tablett.

      „Nein.“ erwiderte das Mädchen kurz und schickte sich an, achtlos an Sara vorbei zu gehen, doch die verstellte ihr den Weg.

      „Was soll das?“

      „Ich sagte: Ich mache das.“

      „Es ist meine Aufgabe. Der Kämmerer hat ausdrücklich mich hinaufbefohlen.“

      „Und ich bin die Leibdienerin der Shaj. Es ist mein gutes Recht, ihr selbst das Gewünschte zu bringen.“

      Die Dienerin machte ein ärgerliches Gesicht.

      „Na schön!“ zischte sie und reichte Sara das Tablett so schwungvoll, dass die Sijakflasche bedenklich ins Schwanken geriet. „Aber du weißt sicher, dass die Herrin es gar nicht schätzt, wenn man bestehende Regeln einfach über den Haufen wirft. Wirst schon sehen, was du davon hast, wenn sie dir ordentlich den Marsch bläst!“

      Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und stolzierte mit hocherhobenem Haupt davon.

      Kaum waren ihre Schritte verklungen, klopfte Sara sachte an die Tür.

      „Herein!“

      Lennys saß wieder auf ihrem Lehnstuhl direkt vor dem Feuer. Der runde Tisch, der einst in der Ecke gestanden war, war von einem Diener zum Stuhl gerückt worden und verschwand nun fast völlig unter einem großen Berg von Papieren. Daneben stapelten sich auf dem Boden zahlreiche Bücher. Die Shaj hatte sich über ein langes Schreiben gebeugt und nahm von ihrer Umgebung keine Notiz.

      Vorsichtig schob Sara einige Pergamente zur Seite, um so Platz für Kelch und Flasche zu schaffen. Das Tablett lehnte sie an ein Tischbein. Dann blieb sie stehen.

      „Worauf wartest du noch?“ fragte Lennys ungeduldig, ohne aufzusehen.

      „Ich hätte gern gewusst, ob ich euch helfen kann.“

      Endlich hob Lennys den Kopf.

      „Was machst du denn hier?“ fragte sie erstaunt.

      „Meine Arbeit.“

      „Unsinn. Dafür haben wir die Burgdiener. Wir sind hier nicht im Nebeltempel.“

      „Ich tue es gern.“

      „Du solltest deine Zeit sinnvoller nutzen.“

      „Indem ich euch helfe?“

      „Mir helfen? Mach dich nicht lächerlich.“

      „Ihr könntet jemanden brauchen, der all diese Schreiben ordnet und das Wichtige von dem Unwichtigen trennt.“

      „Woher willst du wissen, was wichtig ist?“

      „Wenn ich nicht sicher bin, kann ich fragen.“

      Lennys schüttelte den Kopf. „Das meiste hier ist Cycalanisch, das verstehst du ohnehin nicht.“

      „Nein, ist es nicht. Ich habe es gesehen. Nur die Tempelschriften kann ich nicht lesen.“

      „Das ist auch besser so. Abgesehen davon brauche ich keine Hilfe.“

      Sehr zu Lennys' Erstaunen wurde Saras Ton nun schärfer.

      „Ich bin vielleicht keine Cycala, aber das heißt noch lange nicht, dass ich dumm und nutzlos bin. Und vor allen Dingen bin ich nicht blind. Seit wir Valahir überquert haben, habt ihr so gut wie nicht geschlafen. Und so wie ich euch kenne, werdet ihr euch keine Ruhe gönnen, solange ihr diesen Haufen nicht durchgearbeitet habt. Und deshalb werde ich euch dabei helfen, ob es euch passt oder nicht!“

      „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?“ fuhr Lennys sie zornig an. „Ist dir deine Ernennung zum Ratsmitglied zu Kopf gestiegen?“

      „Nein. Und ich habe auch nicht darum gebeten. Ich weiß nicht, warum Mondor mich für wichtig hält oder was ich mit eurer Religion zu tun haben soll! Aber ich weiß, dass ich immer noch eure Dienerin bin und dass jeder das tun soll, wozu er bestimmt worden ist. Ich kann keine Säbel schmieden oder Dämonen beschwören. Aber ich weiß, dass ich andere Dinge tun kann! Und deshalb bin ich hier.“

      Und noch ehe Lennys die Sprache wiedergefunden hatte, kniete sich Sara neben dem Tisch auf den Boden und griff nach einer Notiz die oben auf dem Stapel lag.

      „Eine Rechnung eines Priesters über sechsundachtzig Pergamentrollen?“ fragte sie verwundert. „Und so etwas ist wichtig für den Kampf gegen Zrundir?“

      Resigniert ließ sich Lennys in ihren Stuhl zurückfallen. „Du musst auf die Unterschriften und Siegel achten.“ erklärte sie matt. „Manchmal sind scheinbar unwichtige Schreiben bedeutsam, wenn man sie in Zusammenhang mit anderen Schriftstücken aus der gleichen Quelle betrachtet.“ Doch Sara hatte inzwischen weitergelesen.

      „Meine Güte, das ist ja ein Wucherpreis! Wieso bezahlt eine Turmwache Askaryans zweieinhalb Deben Gold für einen Korb voll Pergament? Und warum lässt er es aus Zarcas schicken?“

      Sofort schnellte Lennys' Hand nach vorn und entriss ihr das Schreiben. Ungläubig überflog sie die Zeilen.

      „Wenn man sich ansieht, wie hier Pergament verschwendet wird, kann es doch eigentlich gar nicht so teuer sein. Aber hier wurde ein Vermögen bezahlt!“ meinte Sara.

      „Es ist nicht nur die Summe. Etwas anderes ist viel seltsamer. Und ich spreche nicht von der Lieferung an sich.“ Lennys konnte den Blick nicht mehr von dieser mysteriösen Rechnung lassen. „Und nach allem, was du über Cycalas weißt, müsste es dir eigentlich auch sofort auffallen."

      Erst jetzt begriff Sara.

      „Gold....“

      „Eben. Hier gibt es kein Gold. Wir handeln mit Silber oder anderen Wertgegenständen. Gold hat für uns keinerlei Nutzen und du wirst es auch nirgends auf den cycalanischen Märkten finden. Ganz abgesehen davon, dass ein Priester damit nichts anfangen könnte, wäre es für einen gewöhnlichen Wachsoldaten vollkommen unmöglich, an eine solche Menge heranzukommen.“

      „Vielleicht hat er es von den Shangu?“

      „Theoretisch ist das zwar möglich. Aber für die Shangu ist Gold ein ähnlich begehrtes Zahlungsmittel wie im Mittelland. Ich wüsste nicht, wodurch er sich zweieinhalb Deben hätte verdienen können, wenn