Das 4. Buch George. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844283785
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New York zu unternehmen. Hä hä, und da ich schon mal hier bin, werde ich auch um 15.30 Uhr, der Börse einen kleinen Besuch abstatten. Mir dünkt, es sieht nach einem formidablen Spaß aus!«

      Zuerst musste er für ein unauffälliges Äußeres sorgen. Sofort müsste er Aufsehen erregen, wenn er wie ein Moddermonster daherkam. Mit der göttlichen Gabe eines Gestaltwandlers ausgerüstet, gab er sich das adrette Aussehen eines Geschäftsmannes. Ein dunkler Anzug, eine Aktentasche und glänzend polierte Lederschuhe. Der Teint seiner Haut wurde gesünder und sauber, gleich so, als wäre der Schmutz von ihm einfach nur herabgerieselt. Das fast silbrig weiße Haar wurde kürzer, dunkel und erhielt den Glanz von Pomade. Seine durchscheinend blauen Augen nahmen einen satten Braunton an. Schimpfend bewegte er sich aus der Baugrube, acht gebend, nicht wieder schmutzig zu werden.

      »Verdammte Baustellen! Das hat uns hier gerade noch gefehlt! Der Verkehr bewegt sich ohnehin schon an seine Grenzen!«

      Leute, die in New York vor sich hin schimpfen, wird in der Regel niemals Beachtung geschenkt. In New York schimpft jeder - und das ständig. Mal ist das Wetter zu kalt, dann ist die Hitze unerträglich. Man findet kein freies Taxi, oder der Hotdog ist mit zu viel Kraut belegt und enthält einfach nicht genug Würstchen. Und wenn er genug Wurstanteile hat, ist das Brötchen definitiv zu klein und es kleckert Ketschup auf die Kleidung. Und das sind nur ein paar Gründe, weshalb in New York stetig und mit wachsender Begeisterung gemeckert wird. Politik ist hier ausgeklammert, darüber können die Menschen einfach nie genug meckern.

      Was selbstverständlich auch unabdingbar ist: Loki brauchte Geld und eine integere Identität. Als aufmerksamer Beobachter entging ihm der gut angezogene Herr nicht, der aufgeregt in sein Handy blökte. Sein Ringfinger war frei, also nicht verheiratet. Ein lediger Mann muss es sein. Eine Ehefrau macht nur Ärger, vor allem, wenn ihr eigener Ehemann sie nicht erkannte. Sofort heftete er sich an dessen Fersen und folgte ihm unauffällig. Und wer in seinem Leben so aufgeregt ist und dazu noch dem Kaffeegenuss frönt, der meistens in XXL-Bechern dargereicht wird, kann bestätigen, wie schnell sich in so einer Situation die Blase zu Wort meldet. Wenn der Anzugmann nicht bald eine Toilette erreicht, platzt er, oder bekommt gelbe Augen!, dachte Loki und konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Wie heißt es immer so schön? Wasser hat so einen Kraft, selbst der stärkste Mann kann es auf Dauer nicht halten. Die Natur forderte immer ihren Tribut. Der Kerl mit dem Handy verschwand in eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Loki witterte die Gunst der Stunde. Die Tür war noch nicht ins Schloss gefallen, da setzte er dem Mann schon nach, stieß die Tür auf, schlüpfte hinterher, checkte kurz die Begebenheiten. Die Luft war rein - im übertragenden Sinne gemeint -, woraufhin er den Nichtsahnenden von hinten überfiel und in die nächste Kabine zerrte. Der Fremde war nicht mal in der Lage einen Mucks von sich zu geben. Mit dem trainierten Geschick eines Kriegers brach Loki ihm lautlos das Genick. Sofort wurde der Anzugmann schlaff wie ein leerer Sack. Und da ein leerer Sack nicht stehen kann, setzte ihn der listige Gott auf der Toilettenbrille ab, wo er in aller Seelenruhe gefilzt wurde. Nachdem er die Brieftasche des Toten gefunden hatte, las er aufmerksam die Ausweispapiere.

      »Aha, George Weston, Investmentbanker. Schade, George, dass du niemanden mehr erzählen kannst, wie mies dein Tag war«, kicherte der Listige. Danach nahm er das Handy und die Schlüssel an sich. Und die Krawatte entwendete er auch noch, weil sie ihm besonders gut gefiel. Er konzentrierte sich und nahm das lebendige Aussehen des Toten an, der ihn jetzt aus leblos-trüben Augen anstarrte. Dieser Blick beinhaltete einen gewissen Vorwurf, deshalb schloss Loki ihm die Augen. Nicht, weil es ein schlechtes Gewissen in ihm hervorrief; es war eher so, dass er einfach nicht von dem Deppen so unverschämt angeglotzt werden wollte. Nochmals warf er einen Blick auf die Papiere und wusste nun seinen Wohnort. Auch erfuhr er, wo er in Zukunft arbeiten würde. Und da war noch etwas. Er hatte Hunger. Einen animalischen und ungebändigten Hunger. Die Hölle ist eben nicht das Holiday Inn. Mit einer knappen Handbewegung machte er aus dem ehemaligen Investmentbanker ein undefinierbares Häufchen Asche, dem er eine Seebeerdigung angedeihen ließ. Als er den Spülknopf drückte, salutierte er zackig mit militärischem Gruß. George hat mir viel gegeben, einfach alles... Was für ein großzügiger Mensch!, dachte Loki. Er wusch sich die Hände in Unschuld und verließ die Räumlichkeiten.

      Ganz in der Nähe erspähte er einen typischen Diner, auf den er sofort und schnurstracks Kurs hielt. Die Ladenglocke klingelte fröhlich als Loki das Restaurant betrat. Die Tresenkraft wischte lustlos die hölzerne Theke mit einem Tuch sauber. Als sie des gutgekleideten Herrn gewahr wurde, knipste sie sofort ein professionelles Lächeln an. Loki, jetzt George Weston, nahm an einem Fenstertisch Platz. Emsig kam die uniformierte Serviererin, ganz Gewehr bei Fuß, an seinen Tisch. Block und Stift aufmerksam gezückt, nickte sie dem Gast freundlich zu.

      »Guten Morgen Sir. Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte sie, mit noch immer professionell gebleckten Zähnen.

      »Hm, was essen hier die Götter?«, fragte George Weston und musterte die Bedienung gerade so, als vermutete er, sie könne an einer Gesichtslähmung leiden.

      Die Servicekraft ließ Block und Stift sinken, sah sich verstohlen um, gleich so, als würde sie nach einer verborgenen Kamera suchen. Sie überlegte angestrengt und machte einen Gesichtsausdruck, als wolle sie ein Ei legen. Doch dann strahlte sie doppelt so grell über ihren eigenen Geistesblitz: »Vielleicht Götterspeise? Die könnte ich Ihnen anbieten. Ob Götter sie hier essen, das kann ich nicht sagen. Bisher war hier noch keiner von dieser Sorte«, verriet sie im vertraulichen Ton. Loki verzog eine Braue und überlegte.

      »Okay, aber eine große Portion, klar? Ich bin total ausgehungert!«

      »Rote, oder Grüne?«, hakte die Serviererin nach.

      »Was? Igitt! Wer isst denn grüne Sachen! Das ist doch total ungesund! Bring mir Rote, holde Maid, aber zügig!«, befahl er und die Kellnerin eilte von dannen.

      Als sie wieder am Tisch erschien, hielt sie die wacklige Masse auf einem Teller bereit. Grinsend stellte sie den Pudding vor ihren Gast und wünschte ihm einen guten Appetit. In Windeseile schaufelte Loki die wabblige Masse in den Mund. Zumindest versuchte er es, denn die großen Portionen, die er mit dem Löffel ausstanzte, fielen teilweise wieder zurück auf den Teller. In Nullkommanix war der Teller blank. Loki war immer noch nicht befriedigt und warf den Teller hinter sich, worauf die entsetzte Kellnerin sofort mit Schaufel und Besen erschien. »Oh, das macht doch nichts, das kann jedem mal passieren!«, schwatzte sie und kehrte auf.

      »Widerliches Zeug, da waren noch nicht mal Knochen drin! Bringe Sie mir Brot! Viel Brot! Und Schinken, viel Schinken! Und ein paar gebratene Eier!...«

      »Lassen Sie mich raten: Viele Eier! Richtig? Und etwas zu trinken dazu?«, fragte die Serviererin freundlich.

      »Ja, irgendwas! Ist mir egal! Nur soll es schnell gehen! Laufe Sie! Hurtig!«

      Noch immer mit Kehrblech und Besen bewaffnet, eilte sie in Richtung Küche. Schon als sie heute Morgen aufwachte, wusste sie, dass dieser mal wieder einer dieser ganz verrückten Tage werden würde. Das sagte jedenfalls ihr Großer Zeh, der empfindlich bis zum Ballen schmerzte. Blieb nur zu hoffen, dass der Kerl ein ordentliches Trinkgeld gab.

      Kurz darauf kam sie beladen mit einem vollen Teller Rührei mit gebratenem Schinken, einer Brotplatte und einer Kanne Kaffee zurück, und kredenzte die Speisen. Mit offenem Mund verfolgte sie, wie der Gast alles in sich hinein schlang. Und als ihr das bewusst wurde, schenkte sie schleunigst Kaffee ein. Da ihr der Herr immer unsympathischer wurde, ließ sie die Kanne direkt auf dem Tisch stehen. Sie hatte das Gefühl sich schnellstens eine Beschäftigung suchen zu müssen, die von diesem Tisch fortführte. Und der Kerl bedankte sich noch nicht einmal, sondern mampfte und soff wie ein Bierkutscher. Was völlig konträr zu seinem Äußeren stand. Schnellstens suchte sie Schutz hinter der Theke und widmete sich wieder der Wischerei. Als die Türglocke klingelte und sie aufsah, war der Kerl verschwunden. Auf dem Tisch lag ein Hundert Dollarschein...

      *

      Um etwas zu erschaffen, müssen ein oder mehrere Dinge gleichen Wertes zerstört werden.

      (Weinbrecht Ulferdingen)

      Nun kam es mir nicht mehr besonders merkwürdig vor, als ich wieder zu Amanda zurückkehrte,