Das 4. Buch George. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844283785
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Ton.

      »Und, sieht sie gut aus?«, fragte ich. Bei Delia, die unser vorheriges Orakel war, handelt es sich um eine echte Ausnahmeerscheinung. Jung, blond, blauäugig. Eine fast schon Nordisch zu nennende Schönheit.

      Trixie kicherte sich ungehalten in den Bart: »Rechne mit dem Schlimmsten und leg dann noch mächtig eins drauf! Aber sieh selbst. Ach ja, den Kleinen würde ich nicht mitnehmen. Sie ist echt ein bisschen gruselig und dort herrscht ziemlich dicke Luft. Lass ihn mal lieber bei Amanda!«, gab sie besorgt zu Gehör.

      Ich verstand die Zwergin nicht ganz. Nun, ich wollte ohnehin zu Amanda. Mich für die letzte Nacht entschuldigen und diese Gelegenheit gleich nutzen, ihr mein kleines Präsent zu überreichen. Es war immer so: Wenn ich nur mal kurz in die Zentrale gehen wollte, ergab sich meistens etwas Größeres daraus. Ich treffe unterwegs so viele Leute, dass ich gar nicht meinen direkt eingeplanten Weg gehen kann, sondern immer ein paar Stunden dranhängen musste.

      »Okay Trixie. Ausnahmsweise berücksichtige ich mal deinen Ratschlag. Bist du soweit, Agnir? Warte, du hast da etwas am Mundwinkel!«

      Mit einer Serviette wischte ich ihn sauber.

      »Dann macht´s mal gut. Man sieht sich!«, nickte Trixie und kicherte wieder.

      Selbst wenn ich nicht Amandas Dienstplan kennen würde – ich könnte sie jederzeit in diesem großen Gebäude finden. Quasi immer der Nase entlang. Ihr Duft ist so betörend, dass er mir schon fast als bunte, in der Luft hängende Girlande vorkam. Mittwochs hielt sich meine Angebetete immer in der Leistungskontrolle auf. Dort wurde ich auch schon etliche Male getestet, gewogen und vermessen. Wir traten ohne zu klopfen ein, denn bei diesem Lärm, den die Geräte veranstalteten, hörte sie ohnehin nichts. Als sie uns sah, blitzte ein kurzes Lächeln auf, bevor sich wieder die Maske ihres Pokerface herabsenkte. Sofort nahm sie mir den Jungen ab, gab ihm einen Kuss und setzte ihn an ihren Schreibtisch. »Na, meine beiden Männer? Wir war euer Tag?«, fragte sie und gab mir ebenfalls einen Kuss. Und ich fühlte mich durch diesen Kuss so unendlich geadelt, wodurch mir fast vor Stolz die Brust schwoll. Argwöhnisch blickte ich mich um, doch die Probanden waren alle auf ihre Aufgaben konzentriert.

      »Wir waren bei der dicken Frau, die schenkte mir ein Eis und nannte uns Hühner!«, erzählte Agnir aufgeregt. »Warum nennt sie uns Hühner? Wir legen doch keine Eier und gackern?«, fragte er gleich darauf, was wieder bewies, dass es keine Frage auf dieser Welt gab, die er nicht zu stellen imstande war.

      »Die dicke Frau heißt Anna Stolz, ist nicht dick, sondern vollschlank. Und sie sagte nicht Hühner zu uns, sondern Hünen. Hünen sind große Leute. Aber du bist ja noch ein kleiner Kerl, sozusagen ein Hünchen«, grinste ich.

      »Ach so! Also keine Hühner!« Diese Antwort befriedigte unseren Sohn und er versank sofort in einer anderen Tätigkeit. Er hatte sich einen Bleistift genommen und malte auf einem Block herum. Da Junior jetzt beschäftigt war, zog ich Amanda etwas von ihm weg, denn auch er verfügt über ein ausgezeichnetes Gehör.

      »Amanda, es tut mir wirklich leid, wie ich mich heute Morgen benommen habe. Ich hoffe du kannst mir verzeihen. Nur schade um die schönen Blumen!«, bedauerte ich und gab ihr die Schachtel mit den Ohrringen. »Nein, das ist kein Bestechungsversuch, die habe ich schon erstanden, bevor ich diesen verbalen Ausrutscher beging. Na ja, wenn du sie nicht haben willst... Ich würde sie ja selbst tragen, doch Blümchen sind nicht ganz mein Stil.«

      Amanda öffnete das Kästchen und betrachtete die Ohrringe, dann warf sie mir einen strengen Blick zu, der mir die Ohren erröten ließ. Dann lächelte sie.

      »Du bist ein unverbesserlicher Quatschkopf! Danke, die sind wirklich wunderschön. Nein, ich bin dir nicht wirklich böse. Wie könnte ich, wenn du so lieb, wie ein großer, dummer Junge vor mir stehst und mir diesen Dackelblick zuwirfst? Aber, wie würdest du reagieren, wenn ein schwer angetrunkener, schielender und keinesfalls kleiner Kerl vor deinem Bett stünde?«, machte sie mir mit ruhiger Stimme klar. »Und dann dieses Lied! Du weißt, ich bin dir körperlich nicht gewachsen, also gehe ich lieber woanders hin, ehe die Situation eskaliert. Zum Glück bist du betrunken eher ein wenig anhänglich und tapsig, jedenfalls nicht aggressiv. Aber um die Blumen war es keineswegs schade, denn sie waren schon schwer verwelkt und hinfällig.«

      … Oh, ich vergaß: Blumen halten in meiner Gegenwart nicht lange. Es liegt einfach an meiner negativen Aura. Von mir aus, nennt es ein schlechtes Karma. Blumen welken, Spiegel zerspringen und selbst die Milch wird in meiner Gegenwart sauer. Aber wenn ihr mich fragt, gibt es weitaus Schlimmeres. Z. B. eine Ehefrau, die nicht in der Lage ist, einen kleinen Fehltritt ihres Ehemanns zu verzeihen. Zu meinem Glück zählte mein Herzblatt nicht zu dieser Kategorie...

      »Puh, danke Liebes! Ich bin dir wirklich dankbar, weil du es mir nicht krumm nimmst. Normalerweise bin ich jemand, der einen Shitstorm provoziert, der ihm anschließend um die Ohren fliegt«, erwiderte ich erleichtert.

      »Schade nur, dass die zu den Ohrringen passende Kette verschwunden ist. Ich kann mich aber auch nicht daran erinnern, sie verloren zu haben. Zuletzt war sie in meinem Schmuckkästchen. Dort hat sie sich anscheinend einfach in Luft aufgelöst!«, bemerkte sie leicht betrübt.

      »Ja, irgendetwas geht bei uns zuhause nicht mit rechten Dingen zu. Aber ich werde mich darum kümmern, das verspreche ich dir, Liebes!«

      »Das ist nett von dir. Hast du schon mit Cornelius geredet?«, erinnerte sie mich.

      »Ja, zu dem grauen Zausel wollte ich gleich hin, aber erst will ich mir unser neues Orakel ansehen. Trixie meinte, ich solle Agnir bei dir lassen. Kann er ein paar Minuten bei dir bleiben? Ich hole ihn nachher ab, es dauert nicht lange.«

      Amanda wusste wohl mehr als ich, sie nickte und kurz blitzte wieder dieses wissende Lachen auf. »Na ja, Agnir ist vorerst schwer beschäftigt. Aber schraube deine Erwartungen ein wenig zurück. Helma ist nicht die Spur so wie Delia. Ach, und noch etwas... Nimm eine Gasmaske mit!«

      Offensichtlich hatte Amanda einen Clown gefrühstückt. So gut gelaunt habe ich sie selten erlebt. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu, gab ihr noch einen Kuss, winkte meinem Sohnemann und machte mich auf den Weg. Hinter mir hörte ich noch meinen Sohn brüllen: »Tschüss Papa, bis nachher!«

      *

      Die Zukunft ist etwas, das meist schon da ist, bevor wir damit rechnen.

      (Unbekannter Verfasser)

      Ja, und da war es wieder, das mir bekannte Schild, das verriet: »Bitte Ruhe! Orakel bei der Arbeit!«

      Unschlüssig, ob ich sie jetzt stören sollte oder nicht, entschloss ich mich gerade anzuklopfen, als von innen eine brüchige Stimme ertönte: »Du brauchsttt nicht anzuklopfen, Rrragnorrr. Komm einfach rrrein!«

      Schon von außen war mir ein ziemlich markanter Geruch aufgefallen, doch als ich die Tür öffnete, wurde er hundertmal intensiver. Und die Sicht betrug gleich null – jetzt verstand ich auch den Witz mit der Gasmaske. Dichter Tabakrauch versperrte mir die Sicht, so dass ich meinen Aurenblick einsetzen musste, um festzustellen, wo sich Frau Helma Schmidt aufhielt. Zum Glück wurden diese Räume recht gut belüftet, sonst hätte ich diese dicke Luft in Würfel schneiden und auf dem Wochenmarkt als Nikotin-Konzentrat an den Mann bringen können. Die Absauganlage röchelte mit Frau Schmidt um die Wette. So weit es mir möglich war, bewegte ich mich in das Epizentrum des Rauchs. Und da saß sie nun, Frau Helma Schmidt. Schnell packte ich auf meine enttäuschten Erwartungen noch heftig eins drauf. Diese Frau war alt – ach was! Uralt... Sie sah aus, als wäre sie schon Noah beim Bau der Arche behilflich gewesen.

      »Du bisttt also Rrragnorrr. Falls du es noch nicht weißttt, mein Name isttt Helma Schmidttt, das rrrauchende Orrrakel«, stolperte sie über den spitzen Stein. Das klang eindeutig Hanseatisch. Und irgendwie kam sie mir bekannt vor, nur wusste ich nicht, an wen sie mich erinnerte. Irgendjemanden, den ich schon öfter in Bild und Fernsehen sah. Anscheinend waren dem lieben Gott die Backformen ausgegangen, denn es gibt immer jemanden, der einem anderen ähnlich sieht. Und wenn man so alt wie ich ist, dann hat man schon sehr viele Leute gesehen.

      »Ich brauche dich wohl nicht erst zu fragen, woher