Das 4. Buch George. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844283785
Скачать книгу
aus, der auf ihrem Schoß ruhte. Sie nickte mir zu und ich betrachtete verstohlen ihren Rollstuhl, an dem sie gefesselt war. Also sprichwörtlich, nicht mit Riemen und Gurten, oder so. Um nicht arrogant zu wirken, tastete ich nach einem Stuhl und setzte mich vorsichtig. Das Ding knarrte zwar erbärmlich, hielt aber meinem Gewicht stand.

      »Du gucksttt so entsetttzttt, isttt es mein Alterrr, derrr Qualm, oderrr derrr Rrrollstttuhl?«, fragte sie mit einer rauen, vom Quarzen gut trainierte Stimme.

      »Äh, warum sitzt du im Rollstuhl? Ein Autounfall?«, fragte ich unverblümt.

      Ehe ich wusste wie mir geschah, zog sie die Decke von den Beinen zurück. Es qualmte darunter hervor, als hätte Häuptling Weiße Feder eine Einladung zum Lunch mit anschließendem Verdauungspfeifchen auf den Weg geschickt.

      »Rrraucherrrbeine! Ist so eine Familienerrrbsache. Die habe ich von meinem Grrroßvaterrr geerrrbt«, grinste sie.

      Geschockt und gleichzeitig fasziniert, betrachtete ich die qualmenden Beine...

      »Die sehen auch wirklich wie alte Männerbeine aus! Die brauchte dein Großvater wohl nicht mehr, wie?«, platzte es ganz spontan aus mir heraus. Worauf Helma Schmidt in ein eruptives, heiseres Raucherlachen ausbrach. Dabei röchelte sie dermaßen, dass in mir der Verdacht aufkeimte, es ginge gleich mit ihr zu Ende.

      »Jo, mien Jung, das könnte man vermuten. Ich mag es, wenn jemand kein Blatt vorrr den Mund nimmt, die meisttten spppielen nur den Betrrroffenen, aberrr du bisttt witzig, das mag ich«, tätschelte sie mir die Wange. Dabei fragte ich mich, seit wann mir eigentlich neuerdings so oft die Wange getätschelt wurde. Irgendjemand musste doch damit angefangen haben, und bemerkte wohl dabei, dass ich ihm nicht den Arm brach. Normalerweise lasse ich mich von niemanden gern anfassen. Aber anderthalb Jahre bei Salomons Ring, und schon ließ ich mich wie ein dressierter Hund tätscheln. Fehlt nur noch, ich beginne spontan mit dem Schwanz zu wedeln... Aber so gesehen, hatte Helma Schmidt eine Art von Welpenschutz bzw. Greisenschutz. Wir Nordmänner verehren unsere Seherinnen. Sie waren schon immer hoch angesehen, weil sie in direkter Verbindung mit den Göttern stehen.

      »Du bist auch witzig. Jetzt bin ich aber doch betroffen! Musst du dir schon wieder eine Kippe anzünden? Das Rauchen ist doch schlecht für die Gesundheit!«, gab ich zu bedenken. »Hast du es schon mal mit Nikotin-Pflastern versucht?«

      Das rauchende Orakel warf mir einen vernichtenden Blick zu: »Ja, natürrrlich, was denksttt du denn! Klarrr habe ich schon Nikotin-Pflasttter verrrsuchttt! Aberrr die stttanken bestialisch, als ich sie anzündete, und geschmeckt haben sie mir auch nicht!«

      Ob das nun ein Witz sein sollte, ließ ich mal so im Raum stehen, zuckte lediglich mit den Schultern und guckte ratlos. Helma machte eine Geste, die sie von oben bis unten einbezog.

      »Meinsttt du, ich sollte in meinem Alterrr mit dem Rrrauchen aufhörrren? Ich bin fast siebzig...«

      Kaum merkbar zog ich eine Braue hoch.

      »Na ja, du hasttt mich durchschaut, das isttt gelogen, eine Dame schwindelt immerrr ein wenig, wenn es ihrrr Alter betrrrifft. Gut, ich bin neunzig. Nun rrrechne mal: Nikotin ist errrsttt nach zwanzig Jahrrren vom Körrrper abgebaut, oder warrr es Teerrr? Sehe ich wie eine Optimistttin aus? Meinsttt du, ich sollttte mich noch an meinem Lebensende mit einem Entzug quälen? Es gibt nurrr einen Weg zur Lunge... Lass ihn mich teerrren!«

      Mein lieber Scholli, das war mal ein Statement! Ich nickte und war leicht irritiert. Doch sie war noch nicht am Ende, schien sogar genervt, weil ich ihr das Rauchen abgewöhnen wollte. »Außerdem rrrauche ich nicht, weil es mir schmeckt. Ich rrrauche, damit die Luft nicht so schlecht isttt, wenn meine Beine die ganze Zeit überrr rrrauchen. Was meinsttt du, wie übel meine Nächte sind. Stttändig muss ich Gefahrrr laufen, mein Bettzeug könnte brennen.«

      »Hm, gut, deine Nächte sind gerettet, wir haben hier Sprinkleranlagen und an den Betten Notrufknöpfe. Helma, es war nett, dich kennenzulernen. Wenn ich etwas für dich tun kann, dann sag es mir, ja?«, machte ich mich für den Aufbruch bereit. Die Luft bekam mir nicht sonderlich gut. Meine Augen begannen zu tränen und ich befürchtete, meine Haare und Klamotten würden diesen Geruch annehmen. Mein Sohn Gungnir ist auch ein starker Raucher. Allerdings pafft er nur Zigarren, aber die stinken ebenso widerlich.

      »Wenn du mirrr beim nächsten Mal eine Flasche Aquavit mitbrrringen könntesttt, würdesttt du meine Rankinglisttte anführen«, rollte und konsonierte sie mir zwinkernd zu. Offensichtlich hatte es sich herumgesprochen, dass ich nicht in ein Glas spuckte. Aber selbst wenn nicht, Helma Schmidt ist das Orakel, und sie sieht Einiges.

      »Okay, Helma, wenn du willst, besorge ich dir auch noch einen Feuerlöscher. Gut, ich bringe dir beim nächsten Mal eine Flasche Lebenswasser mit. Ja, ich weiß. Sie sehen es hier nicht gern, wenn die Mitarbeiter Alkohol trinken. Aber du bist schon so alt, da kann das Tröpfchen dir wohl kaum geschadet haben. Alkohol konserviert. Bis bald!«

      »Ach, ja... Pass gut auf deine Frrrau auf, Rrragnorrr!«, meinte sie noch.

      Da ich mich schon im Gehen befand, drehte ich mich heftig um. »Was meinst du damit? Was siehst du?«, fragte ich gereizt.

      »Ach nur so, ich sehe nichttts Konkrrretes, aberrr sollttten wirrr nicht alle gut auf die aufpassen, die uns am Herrrzen liegen, meinsttt du nicht auch?«, fragte sie weise.

      Nickend schloss ich die Tür hinter mir, nicht mal sicher, ob sie mein Nicken durch den dichten Qualm überhaupt erkennen konnte.

      *

      Gerade als Ragnor die Seherin verließ, öffnete sich auf der anderen Seite, genauer gesagt, auf dem Nordamerikanischen Kontinent, eine kleine Erdspalte. Laut Ortszeit war es gerade kurz vor 9.00 Uhr. Natürlich nahm um diese Zeit niemand dieses außergewöhnliche Ereignis sonderlich zur Kenntnis. Erstens, weil alle damit beschäftigt waren, möglichst pünktlich auf der Arbeitsstelle zu erscheinen; der zweite Grund war der, dass dieser Vorgang in einer abgesperrten Baustellengrube vonstatten ging, die alle schleunigst und leicht verärgert umgingen. Nicht gerade ansehnlich, grub sich daraus ein Mann hervor, der nicht nur durch die New Yorker Erde, sondern auch mit dem Ruß der Hölle beschmutzt war. Und eins konnte man ihm ansehen: Er musste augenscheinlich eine Menge durchgemacht haben. Seine fast schon bläulich-weiße Haut verriet, dass er schon lange kein Sonnenlicht mehr gesehen hatte. Doch mit List und Tücke war er seinen Peinigern entkommen. An seiner statt, saß jetzt irgendein namenloser, armer Teufel im Gefängnis und beteuerte, nicht Loki zu sein. Selbstredend würde ihm sowieso niemand glauben. Da könnte jeder Inhaftierte mäkeln, er sei nicht derjenige, der diese harte Strafe verdient habe. Und Loki war nicht nur verschmutzt, obendrein auch noch tierisch angefressen. Er war verraten und verkauft worden. Und ausgerechnet von dem, der vorgab wie ein Bruder für ihn zu sein. Dabei konnte er ohnehin niemals glauben, der Allvater Odin würde ihn wie einen der Seinigen behandeln, wo er, Loki, doch ein Sohn Odins Feinde war. Trotz des Blutschwurs glaubte Loki dem Asen Odin immer nur bedingt. Dieser aufgeblasene Übergott drosch leere Phrase, tat sich wichtig und wusste selbstverständlich alles! Alles? Na, da hatte er sich wohl gründlich geirrt, wie die Sache mit dem Mistelzweig wohl nur zu fundamental bewies. Doch ihn für diesen kleinen Scherz dermaßen abzustrafen, das hatte er nicht verdient. Dies war selbstredend Lokis Meinung, nur um Missverständnisse auszuräumen. Doch nun war er frei wie ein Vogel und konnte seine eigenen Pläne verfolgen. Er würde nicht nur durch die Befreiung des Fenrirwolfs und der Midgardschlange seinem Gottvater das Jüngste Gericht bereiten, sondern auch denen, die ihn vergessen haben und damit seine Macht schwächten. Und Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. - Ja, das gefiel im. Aber auch der schöne Spruch: Rache wird immer zur Hure. Ja, eine Hure würde er jetzt auch dringend vergenussferkeln wollen; wieder die warmen Schenkel einer Frau spüren. Das aber später. In erster Linie müsste er erst mal peilen, wo er sich hier überhaupt befand. Mit gesteigerter Vorsicht spähte er über die Abbruchkante.

      »Na, scheiß einer die Wand an! Wo bin ich denn hier herausgekommen?«, fragte er mit leicht nordischem Akzent. Zuerst sah er nur Füße samt Beinen, die sich eilig von hier nach dort bewegten. Doch als er seinen Blick gen Himmel richtete, bemerkte er riesige Gebäude und nur bedingt ein kleines Stückchen Himmel. Schnell zog er wieder den Kopf ein und resümierte: »Na, so was! Ich bin in New York!