Das 4. Buch George. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844283785
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von meinem Sohn!), doch als ich dann das erste Mal mit dem Wagen fuhr, überlegte ich es mir anders. Das war eindeutig ein Spielzeug für mich. Nichts für eine ältere Dame, denn das Geschoss fährt sich wie ein Römischer Kampfwagen. Dringend musste ich mal ein paar Takte mit Annie sprechen...

      »Gut, dann kann es ja losgehen. Und überlege dir schon mal, wie du wieder das Fell von Karl-Heinz sauber bekommen willst.«

      »Ach, Männo!«, sprach´s, trat an das Einhorn heran, das bereitwillig den Kopf senkte. Agnir fasste das Horn, hielt sich daran fest, während Karl-Heinz ihn auf den Rücken hievte. Das sah wirklich nach einem eingeübten Stück aus. Der Junge wickelte seine Hand in die lange weiße Mähne und gab Bescheid, dass er soweit wäre. Endlich konnte wir los zuckeln. Karl-Heinz nahm mir die Jutetasche ab und ließ sie an seinem Horn baumeln.

      »Hurra, wir gehen jetzt fischen!«, jubilierte Agnir.

      »Ja, aber erst gehen wir zur Zentrale, danach fischen wir, klar?«

      Wieder kam ein »Ach, Männo!«, doch wenn er den Grund unseres Besuchs erfuhr, würde er darauf anders reagieren. Sehnsüchtig blickte er dem kleinen See hinterher, an dem wir vorübergingen. Von der Villa Ballerburg bis zur Zentrale ist es schon ein gutes Stück Fußmarsch. Endlich angekommen, nickte ich den Wachposten zu, verschaffte uns mit meiner Mitarbeiterkarte Einlass und blickte zum Einhorn. »Gehst du mit rein?«

      »Nein, ich gehe nicht mehr zu Dr. Dr. Gütiger. Ich bin austherapiert, er bekommt nur meinetwegen auch noch Depressionen. Ich geh mal zu Yak, dem Ripper rüber, mal sehen, was es Neues gibt. Man sieht sich!«, seufzte er.

      Wir winkten ihm hinterher. Er wischelte mit dem Schweif, trottete seines Weges, nicht ohne vorher noch zu versuchen, sich von einem Jeep anfahren zu lassen. Nur kannten wir alle unseren Depri-Karl-Heinz. Wenn er sich nähert, werfen alle sofort die Micke rein, damit sein Selbstmord keinen Erfolg hat. Armer Kerl.

      Agnir ist, so wie seine Schwester Sascha, der Liebling aller Mitarbeiter. Kaum einen Meter kommen wir weit, nicht ohne von jemanden angesprochen zu werden. Agnirs Kopf wird mehr getätschelt, als Ernestine, das kleine Socken-Monster. Außer Agnir, Sascha und die Tochter von Simon und Delia, die den obskuren Namen »Nevia Navi« trägt, gibt es keine weiteren Kinder in unseren Reihen. Natürlich haben andere Mitarbeiter auch Kinder, doch ist ihnen der Zutritt unserer geheimen Zentrale verwehrt. Niemand würde glauben, was hier bei uns alles herumläuft. Außerdem müssen alle Mitarbeiter eine Schweigeklausel unterschreiben, was ihre Angehörigen betrifft. Annie weiß zwar, dass ich ein Vampir bin, denn wie anders hätten wir ihr erklären können, wieso unser Agnir wie Unkraut wuchs? Mir fiel es nicht leicht, ihr dieses Geständnis zu machen, doch tätschelte sie mir lediglich die Wange und sagte: »Ich wusste gleich von Anfang an, dass du etwas Besonderes bist. Es ist schön, einen starken Mann im Haus zu haben, der die Gläser aufschrauben kann, aber eins sage ich dir, Freundchen! Wenn du jemanden von uns beißt, dann ergeht es dir schlecht. Und dies ist keine leere Drohung!«

      Ja, das ist Annie. Doch merkte sie sehr bald, dass ich keinerlei Interesse an ihrem, oder am Blut meiner Lieben hatte. Es war sehr kompliziert ihr das Wichtigste zu erläutern, doch ging sie damit relativ gelassen um. Sascha dagegen wusste es schon, sie begleitete ihre Mutter öfter mal zur Arbeit und ist auch das Patenkind von Cornelius, zu dem sie ein inniges Verhältnis hegt, was ihr daraufhin ein Pony einbrachte. Und Kinder gehen wie selbstverständlich mit Abnormitäten um. Offenbar erstaunt sie nichts so schnell und sie legen eine Toleranz an den Tag, von der wir Erwachsenen uns noch einen Scheibe abschneiden können. Vielleicht liegt es am Fernsehen, weil sie dort alle möglichen CGI-Effekte sehen und schnell abgebrüht gegenüber Absonderlichkeiten sind. Immerhin wachsen sie mit Hobbits, sprechenden Mäusen, singenden Chipmunks, und blauen Schlümpfen auf. Selbstverfreilich nicht das depressive Einhorn zu vergessen, das ständig um unser Haus herumlungert. Ich nahm Agnir auf dem Arm, damit er nicht von Ogern, Zentauren, oder Orks niedergetrampelt wurde. Für ihn war es jedes Mal wie ein Besuch im Disneyland.

      »Siehst du da die Topfpflanze in der Ecke?«, fragte ich ihn. Er schaute mich an und nickte.

      »Wenn ich nicht mit meinem Aurenblick geguckt hätte, wäre mir der Kerl gar nicht aufgefallen. Wer verkleidet sich schon als Ecke eines Raumes?«, meinte Agnir verwundert.

      »Das ist unser Spezialist der Abteilung ›Tarnen, Trügen und Täuschen‹ er nennt sich ›Will Inkognito‹, er will in cognito bleiben. Manchmal gibt er sich aber auch die Namen: ›Mister X‹, ›John Doe‹, und ›Dr. Strange‹, wobei er es deutsch ausspricht, und nicht englisch. Letztens war er ›Wer? Meinen Sie mich?‹ Wenn du mich fragst, hat der Kerl eine Persönlichkeitsstörung! Damit du es verstehst, der Typ ist balla balla!«

      Ich flüsterte dem Kleinen etwas ins Ohr und er grinste. Wir liefen an der getürkten Zimmerecke vorbei, während Agnir winkte und rief: »Hallo, Herr Inflagranti!« Worauf ein leise gemurmeltes: »Ach! So ein Mist!« ertönte. Ja, bei Salomons Ring laufen schon die absonderlichsten Leute herum. Und wenn sie nicht herumlaufen, sitzen sie in irgendwelchen Büros.

      »Agnir? Wollen wir erst mal Anna Stolz besuchen? Ich kann jetzt einen Kaffee gebrauchen, mit dir kleinem Quälgeist kommt man ja zu nichts!«

      »Klar, ohne Kaffee kann man nicht kämpfen!«, grinste er und tätschelte mir die Wange.

      »Wo hast du den Spruch schon wieder aufgegabelt?«, fragte ich erstaunt.

      »Von Nana, den sagt sie immer, wenn sie sich einen Kaffee eingießt.«

      Bereitwillig ließ Agnir sich von mir in die Kantine tragen. Er besuchte diese Räumlichkeiten nur zu gern, weil Anna, meine Diätassistentin, immer eine kleine Überraschung für ihn parat hat. Als sie uns beide sah, strahlte sie über beide drallen Backen. »Ja, wer kommt denn da? Wenn das nicht unsere beiden Hünen sind! Was kann ich für euch tun? Eine Portion Blut für jeden?«, fragte sie und drehte sich schon halb in Richtung des Schranks, in dem sie das Blut aufbewahrte.

      »Hallo Anna, für mich einen Blut-Kaffee, halb und halb.« Ich sah Agnir fragend an. »Möchtest du etwas?«

      »Nee, ich trinke doch keinen Kaffee!«, beschwerte er sich.

      Anna machte mein Getränk fertig. »Agnir, wie wäre es mit der Überraschung des Tages?«, fragte sie lächelnd.

      Agnir war Anna gegenüber immer ein wenig zurückhaltend. Wahrscheinlich aus reiner Kalkulation. Wenn er es sich mit ihr verscherzte, wäre es mit den Überraschungen des Tages aus für ihn.

      »Ja, bitte!«, meinte er schüchtern und drückte sein Gesicht an meine Brust.

      »Aha, bei Anna kannst du plötzlich ›Bitte‹ sagen. Hey, warum denn so zurückhaltend, das kenne ich gar nicht von dir!«, grinste ich und zwinkerte der Köchin zu.

      Sie reichte Agnir ein Wassereis über die Theke. Eigentlich kein herkömmliches Wassereis, sondern ein Bluteis. Der Kleine ergriff es und bedankte sich höflich.

      »Ach, Agnir. Du bist so ein süßes und höfliches Kind! Das hast du aber nicht von deinem Papa«, meinte sie lachend, tätschelte Agnirs Gesicht und ging wieder an die Arbeit. Wir setzten uns an einen Tisch. Schon allein aus Gründen der Sicherheit. Dieses Geklecker geht nämlich ganz schlecht wieder aus den Klamotten heraus. Agnir braucht durch sein rasches Wachstum sowieso ständig neue Kleidung. Deshalb war es vernünftiger, nicht auch noch die passende zu ruinieren. Eine kleine bärtige Zwergin erblickte uns, winkte und hielt direkt auf unseren Tisch zu. Trixie Eisenfaust ist die Mutter der musizierenden Zwerge bzw. Möhrchen. Eine sehr resolute Person, die das Zwergenregiment mit strenger Hand führt. Eine kleine Matriarchin, mit der man sich nicht anlegen sollte, zumindest nicht als Zwerg. Nein, ich korrigiere: Auch anderer Gestalt nicht.

      »Na, ihr beiden?« Sie setzte sich auf einen Stuhl und konnte kaum über die Tischkante gucken.

      »Na, du eine? Was gibt´s Neues?«, fragte ich.

      »Hallo Trixie! Ich heiße jetzt Triple A!«, grüßte Agnir und widmete sich wieder seinem Eis.

      »Ach wirklich, Triple A? Zu mir sagen sie immer: ›Aua, du hast mich heftig in den verlängerten Rücken getreten!‹«, grinste die Zwergin. »Ragnor, hast