Lodernder Hass. Horst Warnatsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Horst Warnatsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847605270
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morgen entbehren, würde ich mich zur Mittagszeit nochmal mit Friedlaender treffen.

      „Aha...!“ kam es von Stefan, der aber dem ‘Aha’ mit seinem Lächeln die Bedeutung nahm. „Wenn er außerhalb der Büroatmosphäre redseliger ist, soll es uns recht sein, was, Gregor?“

      Im Stadtteil Hoheluft, zwischen Eimsbüttel und Eppendorf gelegen, standen großflächig noch Wohnhäuser aus der Gründerzeit. Dort, wo die Bomben des Zweiten Weltkriegs Lücken gerissen hatten, waren neuere Gebäude errichtet. Die Hoheluftchaussee hatte damals besonders viele Wunden davon getragen, war in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Modernisierung einem ständigen Wandel unterworfen. Die Architekten waren bei der Neugestaltung mit dem Feingefühl von Individualisten vorgegangen, um den ursprünglichen Charakter der Wohn- und Einkaufsmeile zu erhalten und gleichzeitig neuzeitliche Vorstellungen von Zweckmäßigkeit nebeneinander existieren zu lassen. Pergande erinnerte sich, weil seine Großtante früher ein paar Straßen weiter zu Hause war. In dem abgebrannten Asia-Markt war damals ein kleines Kino untergebracht, an der Ecke Eppendorfer Weg das flache Gebäude einer Polizeirevierwache, wo heute ein modernes Wohnhaus stand. Der Bauherr hatte sich damit einverstanden erklärt, zum angrenzenden alten Gebäude entgegen ursprünglicher Planungen einen Abstand zu lassen, weil man bei den Vorbereitungen ein Reklamegemälde aus den zwanziger Jahren an der Seitenwand entdeckte: Fünf Zwerge, die Dr. Thompson’s Bleichmittel „Seifix“ anpriesen.

      Das alles musste Henningsen sich anhören, als sie bei Rot an der Ampel Eppendorfer Weg zu warten hatten.

      Inzwischen standen sie vor einem Asia-Shop, der eine deutlich kleinere Verkaufsfläche hatte, als der Supermarkt von Sriwan Friedlaender. Vor dem Geschäft, unter einer Markise, waren Kisten mit exotischem Gemüse ausgestellt. Und drinnen verloren sich ein paar Kunden zwischen den schmalen Regalreihen. Etwa hundertsiebzig Meter trennten die beiden Märkte. Inhaber hier war ein Pakistani, wie Pergande vorher noch mit einem Anruf beim Gewerbeamt geklärt hatte. Mit der Polizei hatte der Mann selbst bisher nichts zu tun gehabt.

      Im Abstand von einigen Sekunden betraten sie den Laden, spiegelten Interesse für das Warenangebot vor und ließen sich den würzigen und süßen Wohlgeruch Asiens um die Nase wehen. Sie wurden vom Personal schon wenig später interessiert beäugt, aber die beiden Pakistani mittleren Alters waren zu sehr damit beschäftigt, Kartons aufzureißen und Dosen und eingeschweißte Gewürze einzusortieren; die Frau am Tresen führte mit ausladender Gestik ein Kundengespräch. Einer der Männer - braunhäutig, braunäugig, schwarz gelockt und mit grobporigem Gesicht - löste sich vom Boden und trat auf Pergande zu. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Akzentfreies Deutsch.

      Pergande, dem man mit einiger Fantasie türkische Wurzeln in den Stammbaum dichten könnte, setzte Kennermiene und ein Lächeln auf. “Ich mache mich gerade mit Ihrem Angebot vertraut.“

      „Bitte schön.“ Der Verkäufer vollzog eine einladende Geste.

      Pergande ging sofort in die Offensive. „Ich wusste gar nicht, dass es Sie hier gibt.“

      „Wie das?“ Der andere war sichtlich erstaunt. „Unser Geschäft gibt es schon seit 15 Jahren.“

      „Ich habe immer in dem Asia-Markt weiter oben eingekauft.“

      Der zweite Verkäufer, etwas jünger als der andere, hatte sich beinahe unbemerkt hinzu gesellt. „Der hat dort erst vor gerade mal zwei Jahren eröffnet.“ Seine Gesichtszüge waren ähnlich, seine Haut aber reiner, und ein schmaler Bartstrich zog sich an Kieferknochen, Kinn und Oberlippe entlang. Wahrscheinlich waren sie Brüder. Er stand provozierend breitbeinig da und wischte sich die Hände in einem karierten Tuch.

      „Aber er ist größer und die Beschilderung etwas auffälliger.“

      „Dafür sind die Waren viel zu teuer.“ Er wischte seine Hände immer noch. Pergande schoss einen Moment durch den Kopf, dass er vielleicht gerade dabei war, Spuren von Qualm zu entfernen, die ihn als Brandstifter entlarvt hätten, musste dann aber innerlich über diesen Gedanken schmunzeln.

      „Spionieren Sie sich denn gegenseitig aus?“

      „Das ist doch normal. Wir haben uns über ihr Angebot informiert. Die Frau vom Asia-Markt war ziemlich sauer darüber.“ Dann erstrahlte sein Gesicht in einem breiten, glänzenden Lächeln. „Aber welchen Wunsch können wir Ihnen denn jetzt erfüllen?“

      „Wahrscheinlich sind Sie froh darüber, dass der lästige Konkurrent jetzt weg ist, richtig?“

      Sein Lächeln erstarb jäh. „Warum sagen Sie das?“ Eine steile Falte entstand über seiner Nasenwurzel, als das Misstrauen in ihm wuchs.

      Pergande grinste provozierend. „Nur so. Interessehalber. Dass ein ganzer Supermarkt abbrennt, kommt ja nicht alle Tage vor.“

      „Oh nein!“, rief der jüngere Pakistani aus, und Knobigeruch kam aus seiner Richtung, „das Geschäft war doch kein Konkurrent für uns! Die Frau von da oben war viel zu hochnäsig und eingebildet. Sie hat ihr Ding gemacht, mit Lieferservice und so weiter, wir sind für die Laufkundschaft ja viel preiswerter und kommen damit bestens über die Runden. Die Laufkundschaft hat die wahrscheinlich gar nicht interessiert. Oder sie hatte keine Ahnung vom Geschäft.“ Ärger lag in seinem Blick, als er über Pergandes Gesicht flog. „Sie sind vom Ordnungsamt, hab ich Recht?“

      Pergande begegnete ihm jetzt mit einem heiteren Gesichtsausdruck. „Ich frage zu viel, nicht?“

      „Und Sie haben noch nie asiatisch gekocht.“

      Damit hatte er Recht. Pergande klappte seine Brieftasche auf, hielt dem Pakistani den Dienstausweis unter die Nase und nannte seinen Namen. „Das ist mein Kollege, Herr Henningsen“, stellte er Stefan vor, der in dem Augenblick mit einem gewinnenden Lächeln hinzu kam.

      „Wir können unsere Herkunft einfach nicht verheimlichen“, stellte er mit eingeübter Verlegenheit fest.

      Der ältere Pakistani sagte in seiner Landessprache etwas zu dem jüngeren, lachte und legte dabei zwei gelbe Zahnreihen frei.

      „Was führt Sie nun zu uns? Doch wohl nicht die Frage, ob wir einen ungeliebten Konkurrenten ausgeschaltet haben könnten.“

      „Nein, auf gar keinen Fall“, erwiderte Pergande mit übertriebener Betonung, „wir wollten nur etwas plaudern und mal hören, was man sich hier in der Geschäftswelt so erzählt.“

      Die ältere Frau, vielleicht die Mutter ihrer Gesprächspartner, hatte den Tresenbereich verlassen und bediente eine junge Kundin, die eine Kinderkarre durch den schmalen Gang bugsierte, während gerade zwei Asiatinnen den Laden betraten. Der Pakistani mit dem Designer-Bart zog sich mit einem entschuldigenden Lächeln zurück und trat auf sie zu, um sie nach ihren Wünschen zu fragen.

      „Sie beide sprechen auffallend gut Deutsch“, merkte Henningsen an. Sein Tonfall war dabei so unverfänglich, dass sogar den Pakistani Zweifel kommen mochten, wer sie waren und in welcher Mission sie sich in dem Geschäft aufhielten.

      „Natürlich. Mein Bruder und ich sind in Hamburg geboren. Auch unsere Eltern sind seit Jahren im Geschäft. Haben in Barmbek einen Supermarkt.“

      „Ich dachte, die ältere Dame dort wäre Ihre Mutter“, gestand Pergande.

      „Eine Bekannte meiner Mutter. Hilft ab und zu aus, spricht aber nicht gut Deutsch.“

      „Das Geschäft läuft also gut - ab heute vielleicht sogar noch besser - und der Asia-Markt war kein Konkurrent.“ Pergande nahm wahllos eine Konservendose aus dem Regal und studierte das Etikett. „Das sind ja alles chinesische Schriftzeichen. Wie soll einer wissen, was die Dose enthält?“

      „Auf dem Deckel gibt es einen Aufkleber mit der Übersetzung.“

      „Aha.“ Er drehte sie hin und her, machte sich aber nicht die Mühe zu lesen, weil die Schrift zu klein war und seine Brille bei der etwas schwachen Beleuchtung nicht ausreichte. Pergande stellte die kleine Konserve ins Regal zurück. „Aber man kann es essen...?“

      „Sauergemüse. Für einen kleinen Imbiss zwischendurch. Mit Jasminreis sehr schmackhaft.“