„Ich habe vom Kaiser die Erlaubnis erbeten, fünfzigtausend Mann auszuheben“, erklärte mir Wallenstein, „damit ich zwanzigtausend haben konnte. Mit weniger Truppen wäre ich nicht in der Lage, sie zu finanzieren. Aus eigenen Mitteln hätte ich das für zwei Monate gekonnt, mit der Hilfe des Bankiers de Witte ein Jahr, danach wäre die Armee aufgelöst worden. Aber der Herr hatte Recht, zwanzigtausend Mann sind eine Macht, die in der Lage ist, Kontributionen einzutreiben. Der Krieg finanziert eben den Krieg, wie der Herr gesagt hat.“
Wo immer wir auf unserem Marsch auf ein Dorf oder eine Stadt trafen, sandte Wallenstein eine Abordnung voraus, die als Steuer entweder die gesamte Jahresernte forderte oder den entsprechenden Betrag in Geld, damit er seine Truppen ernähren und ausrüsten konnte. In den meisten Fällen öffneten die ängstlichen Bürger ihre Scheunen und Schatzkammern und gaben, was er verlangte. In einigen Städten allerdings regte sich Widerstand.
„Wir werden ihm weder unsere Ernte noch unsere Schätze ausliefern“; ließen sie antworten.
Mit kaltem Blick wählte der General dann eine Truppe aus und ermächtigte sie, die Stadt zu überfallen, einzunehmen und zu plündern. Nur den fünften Teil dessen, was sie raubten, brauchten sie beim Heere abzuliefern, den Rest dürften sie behalten. Die Teilnahme an solchen Aufträgen war sehr beliebt, konnten die Soldaten doch ihre eigenen Säckel füllen.
Wir, die wir danach durch die überfallenen Städte zogen, sahen, dass sie nicht nur geplündert hatten. Sie hatten gemordet, vergewaltigt, gefoltert und wir konnten die Folgen ansehen. Leichen lagen auf den Straßen und Wegen, grässlich verstümmelt, hier und da lebten die Menschen noch, waren aber so gefoltert worden, dass sicher war, sie würden den Tag nicht überleben. Niemand kam auf die Idee, ihnen den Gnadenstoß zu geben.
7.
Ich war schon fast zwei Jahre Schreiber Wallensteins, als ich bei ihm zum ersten Mal seinen Bankier traf, den er „Hans de Witte von Lilienthal“ nannte. Sie führten geheimnisvolle Unterredungen, die ich zwar von da ab protokollieren, über die ich aber zu niemandem sprechen durfte.
Hans von Witte war Bankier mit weitreichenden Verbindungen von Prag in die großen Hauptstädte, nach Wien natürlich, nach Paris, London, Madrid, Rom und sogar in die frisch begründeten Kolonien. Reich war er, unermesslich reich, er bewohnte das prächtigste Palais in der ganzen Stadt Prag und kam, wenn er meinen Herrn besuchte, in einer Kutsche, die von vier der edelsten Pferde gezogen wurde, die ich je gesehen habe.
„Können wir nicht wieder das Konsortium begründen, das Münzen prägen darf?“, fragte bei einer solchen Konferenz Witte den Generalissimus.
„Nein, das werden wir beim Kaiser nicht noch einmal durchsetzen. Aber warum will der Herr das Recht zur Münzprägung wieder zurückhaben?“
„Eure Fürstlichen Gnaden haben wieder zwei Millionen Gulden für das kommende Jahr angefordert. Ich kann diese Summe zwar als Kredit bei den großen Bankhäusern Europas besorgen, aber Eure Fürstlichen Gnaden mögen bedenken, dass auch mein Kredit nicht unerschöpflich ist. Und da wäre es gut, wieder Silbermünzen zu prägen.“
De Witte und Wallenstein hatten in den vergangenen Jahren das Recht zur Prägung vom Kaiser in Wien für eine gewisse Zeit erhalten. Aus einem halben Pfund Silber waren von alters her neunzehn Silbergulden geprägt worden, was seit jeher dazu geführt hatte, dass der Ausgeber der Münzen die Wertdifferenz zwischen einem halben Pfund Silber und neunzehn Gulden als Gewinn einstreichen konnte. Kaum hatten allerdings mein Herr und der Bankier de Witt das Prägerecht, verminderten sie den Silbergehalt. Aus der gleichen Menge Silber prägten sie zuerst 27 Münzen, dann 39 und schließlich 47 Gulden und steigerten damit ihren Gewinn in das Unermessliche. Gleichzeitig überschwemmten sie Böhmen und Österreich mit immer mehr Münzen, sie kauften alles Silber ein, dessen sie habhaft werden konnten. Die folgende Inflation stürzte Böhmen und Österreich in eine dramatische Hungerkrise, weil die armen Leute die Brotpreise nicht mehr bezahlen konnten.
Mit den Gewinnen finanzierte Wallenstein die Bildung seiner Armee vor und verlangte von dem Bankier die Kreditierung weiterer Mittel mit dem Versprechen, sie zurückzuzahlen, sobald er mächtig genug sei, die Kontributionen einzutreiben.
„Nein“, erwiderte Wallenstein auf die Frage de Wittes, „der Kaiser wird die Münze nicht noch einmal verpachten, nicht einmal für sehr viel Geld. Zu hoch waren unsere Gewinne und der Kaiser oder seine Räte haben das erfahren. Nein, der Herr wird Geld aus Kredit schöpfen müssen, wenn die Armee des Kaisers nicht zerfallen soll.“
„Aber, Fürstliche Gnaden, wann werde ich die Kredite zurückzahlen können?“
„Der Herr beunruhige sich nicht, wir werden in Kürze marschieren, die Kontributionen werden fließen und der Herr wird sehen, alles wird auf Heller und Pfennig zurückgezahlt werden. Der Krieg finanziert den Krieg“
Besorgt wischte sich Hans de Witte die Stirn mit einem riesigen Seidentuch, das er immer bei sich trug. Er war wie immer sehr blass, aber heute schien er von Sorgen besonders gequält zu sein. Ich verstand ihn. Dem Vernehmen nach hatte er aus dem Münzgeschäft einunddreißig Millionen Gulden erlöst, aber das war vor sechs Jahren gewesen, 1623. Inzwischen hatte er diese Summe sicher an Wallenstein als Kredit gegeben, wie viel er zurückerhalten hatte, wusste ich nicht.
Aber eines war mir klar: Je länger der Krieg dauerte, desto schwerer war es, die Maxime, er finanziere sich selbst, aufrecht zu erhalten. Nichts mehr war aus dem ausgebluteten Land herauszuholen, viele Dörfer, durch die unser Heer zog, waren zwei,- drei- oder viermal geplündert worden. Für unser Heer war da nichts mehr, was der General hätte einziehen können.
Und so blieb der Generalissimus seinem Bankier eine große Summe schuldig, eine Summe, die sich jährlich steigerte, weil mein Herr immer mehr und mehr Geld verlangte. De Witte wurde immer blasser, immer dünner, immer drängender verlangte er die Rückzahlung.
Er müsse inzwischen für neue Kredite, die die alten verlängerten, Wucherzinsen zahlen, wenn Wallenstein ihm nicht größere Summen zurückzahlte, könne er, de Witte, das nicht überleben.
Wallenstein blieb hart. Er konnte kein Geld auftreiben, den Kaiser fragte niemand, jeder wusste von dem schlechten Zustand der kaiserlichen Kasse. Aber allen unsicheren Finanzierungen zum Trotz: Noch stand das Heer des Generalissimus.
8.
„Sie sollen zum General kommen, und zwar sofort.“ Wie immer korrekt gekleidet, stand Jean, die schwach leuchtende Laterne in der Hand, neben meinem Lager in der kleinen Kammer, die uns zugewiesen war in dem Dorf, in dem wir logierten. Mitternacht musste vorbei sein, ich hatte schon fest geschlafen. Die Kerze in der Lampe beleuchtete das Gesicht des Dieners von unten und gab ihm flackernd einen unheimlichen Schein. Die gerade Nase wurde durch den Schatten verlängert, die Wangen bekamen einen hageren Eindruck, das im Licht fahle Gesicht ließ an einen Totenkopf erinnern.
„Was will er denn?“, fragte ich, indem ich mich erhob und den ersten Schrecken überwand.
„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, er ist mit Seni in der Astronomenkammer. Sie haben den ganzen Abend die Sterne betrachtet und nun hat er mich gerufen und verlangt, ich solle Sie bringen.“
Schnell kleidete ich mich in meine bescheidene schwarze Schreiberkluft und folgte dem Diener durch die nur schwach erleuchteten Gänge nach oben, wo unmittelbar unter dem Dach das von dem Gesinde „Astronomenkammer“ genannte Giebelzimmer lag, in dem Wallenstein mit seinem Astronomen und Leibarzt Seni seine Studien betrieb, wie man sich erzählte.
Kurz klopfte Jean an die Tür und öffnete sie nach einem herrisch gerufenen „Herein“, um mich in die Kammer zu schicken. Hinter mir schloss sich die Tür.
Das Zimmer war nur schwach erleuchtet, von zwei einfachen Kerzen, die an den gegenüberliegenden Wänden hingen, wie ich bei einem schnellen Rundblick bemerkte. Mitten im Zimmer stand ein Tisch mit einer schwarzen Decke, darauf stand eine einfache Karaffe, gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, und drei Gläsern. Mir gegenüber erkannte ich meinen General, neben ihm den schon damals berüchtigten und leise gefürchteten italienischen Leibarzt